5. Dezember 2016

Traut Euch!

Einen selbst geschriebenen Text vor vielen hundert Menschen vorzutragen und sich danach von eben jenen auch noch bewerten zu lassen ist völliger Wahnsinn. Nur Todesmutige tun sowas freiwillig. Und Poetry Slammer_innen. Warum ich mich trotzdem seit Jahren auf die Slam-Bühne wage und andere Frauen ermutige, das gleiche zu tun.

Wie ich zu Poetry Slam kam oder Poetry Slam zu mir

Vor über sieben Jahren habe ich in Göttingen studiert. Ich spielte Theater und dachte, das sei so alles, was man an darstellerischer Kunst auf der Bühne machen könnte.

Ich schrieb auch. Aber allein und für mich. Manchmal, wenn ich einen Text besonders gut fand, stellte ich diesen ins Internet. Ein paar Menschen lasen ihn, fanden ihn gut oder schlecht und damit hatte es sich dann auch schon erledigt. Ich fand das schade.

Denn: Niemals im Traum wäre ich auf die Idee gekommen, dass sieben Jahre später Menschen ein Buch von mir kaufen würden oder Videos meiner Texte immer und immer wieder anschauen, weil sie ihnen so gefallen.

Eines Tages hing im Seminar ein Poetry-Slam-Plakat. Ich googelte, ich fand es spannend und wenige Tage später saß ich mit zwei Freundinnen und 400 anderen Zuschauer_innen in der Crowd im Theater im OP. Unten, auf der Bühne, Menschen, die Texte vortrugen. Und was für welche! Über Liebe und Gemeinsamkeiten, über Freund_innen und Fremde, über alle Themen, die Menschen bewegen können. Und im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, die ich schon auf Bühnen sah, wirkten diese gar nicht abgehoben. Sie waren eben da, weil sie diese Texte geschrieben haben und wollten, dass Menschen ihnen zuhörten.

Und dann konnte ich nicht mehr aufhören

In mir keimte die Idee, dies doch auch mal zu probieren. Und nur einen Monat später steckte ich mit schweißnassen Händen und zitternden Beinen diesen Zettel mit meinen Namen in das Glas, mit dem sich spontane Freiwillige anmelden können.

Mein Text war furchtbar. Kein Mensch weiß, wieso ich diesen Text damals gut fand. Aber das war egal. Mein Auftritt wurde mit Applaus honoriert und ich hatte das erste Mal hinter mich. Das erste Mal meine eigenen Worte vor 400 Leuten vortragen. Und dann konnte ich nicht mehr aufhören.

Denn so ist das beim Poetry Slam: Wenn du einmal infiziert bist, kannst du nicht mehr aufhören. Du schreibst und schreibst und schreibst und liest und liest und liest. Du lachst, weinst und ärgerst dich und schwebst auf einer Wolke von Daueraufregung.

Ich trat immer öfter in Göttingen auf und wurde dann auch in andere Städte eingeladen. Ich schrieb Slamveranstalter_innen, stellte mich kurz vor und fragte nach einem Startplatz bei einem ihrer nächsten Slams. Und das, obwohl ich mich vor jedem neuen Auftritt fast übergeben musste. Ich war so aufgeregt! Jedes verdammte Mal!

Ich bin heute immer noch aufgeregt, aber ich hab gelernt, dieses Gefühl unter Kontrolle zu kriegen. Und, ganz ehrlich: So ganz ohne Aufregung wär das doch nichts. Die gehört einfach dazu.

Warum nur für sich schreiben, wenn man für andere vortragen kann?

Wenn ihr auch nur ein winziges bisschen so seid wie ich, dann kenne ich euch. Ihr schreibt. Schon immer. Ihr müsst manchmal plötzlich nach Hause gehen oder nur mal eben kurz das Notizbuch oder das Handys rausholen und diesen einen Satz, weil dieser Satz nun mal eben sehr schön war, diesen einen Satz aufschreiben. Um später was draus machen zu können. Ihr verschwendet keine Worte. Ihr hebt sie auf, dreht und wendet sie und verpackt sie dann in einen schönen Text. Und wie schade wäre es um diese Texte, wenn sie niemals jemand zu Gehörbekommt!

Nichts ist so schön wie das Gefühl überwundener Angst!

Wenn ihr erst mal auf dieser Bühne steht, strahlt euch das Licht so an, dass ihr eh keine einzige Person aus diesem Publikum, das da wartet, erkennen könnt. Und sie sind ja für euch da. Sie wollen euch hören. Glaubt mir, ein Auftritt vor 1.000 fremden Menschen ist tausendmal weniger schlimm, als einen Text dem eigenen engsten Freundeskreis vorzulesen.

Sucht euch einen Workshop in eurer Umgebung, bei dem ihr nicht nur lernt, was gute Texte ausmacht, sondern auch, dass das Mikro eure Freundin ist und was eigentlich Performance bedeutet.

Sucht euch Verbündete, die euch zum Auftritt begleiten oder mit denen ihr das gemeinsam machen könnt. Erzählt den Slam-Kolleg_innen im Backstage, dass das euer „erstes Mal“ ist und ihr werdet sehen, wie sie euch mit Erfolgswünschen und Schulterklopfern überschütten.

Heute ärgere ich mich, dass ich Slam nicht früher kennengelernt habe. Ich war damals schon am Ende meines Studiums und konnte nicht mehr so viel reisen, wie ich es gerne getan hätte.

Besser jetzt als nie

Deshalb kann ich euch nur sagen: Traut euch! JETZT! Warum zögern? Ich hab beste Freund_innen, kreative Superheld_innen und Menschen kennengelernt, mit denen ich jede Nacht durchquatschen oder –feiern kann.

Lasst euch von dieser kleinen Nebensache mit den Bewertungen nicht abhalten! Ich bin schon mit ein- und demselben Text Erste und Letzte geworden. Geschmäcker sind verschieden, Verlieren nicht schlimm und Gewinnen nicht wichtig. Viel wichtiger ist der Mensch, der am Ende einer Veranstaltung zu euch kommt, um euch zu sagen, dass er euren Text am besten fand. Wichtig sind die Menschen, auf die ihr euch immer wieder freut, wenn ihr sie im Backstage eines Clubs oder Theaters wiedertrefft. Wichtig ist, dass ihr euch euren Platz auf der Bühne holt und diesen füllt, mit was auch immer ihr zu sagen habt!

Dazu gehört in jedem Fall auch, mutig zu sein und euch bemerkbar zu machen. Habt keine Scheu, Veranstalter_innen anzusprechen oder anzuschreiben und zu fragen, wann ihr auftreten dürft. Stellt euch kurz vor und erzählt vielleicht, wo ihr schon aufgetreten seid. Seid laut! Und habt keine Scheu, auch bei Facebook oder auf Veranstaltungen zu erzählen, dass ihr gerne touren wollt und Bock habt, viel aufzutreten.

Und wenn ihr jetzt immer noch unsicher seid, schreibt uns! Und fragt uns, was euch auf der Seele brennt. Und dann sehen wir uns hoffentlich bald auf einer dieser Bühnen bei eurem ersten, zweiten, dritten oder hundertsten Slam-Auftritt.