6. Februar 2017

Nimm meinen Text!

Nur weil Poetry Slams eine junge, studentische Zielgruppe nachgesagt wird, heißt das nicht, dass jede_r im Publikum aufgeklärt und fortschrittlich ist. Auch unreflektierte Menschen mit konservativen Rollenbildern bewerten gerne Slammer_innen. Was passiert, wenn man rollenkonservativen Köpfen erlaubt, die Leistung von Frauen* zu bewerten? Und wie fühlt sich es sich für Slammerinnen an, sich immer wieder beweisen zu müssen?

 

Ich habe eine Vagina zwischen meinen Beinen, trage schlapprige Kleidung, unter der mein Bauch wabbelt, und verstecke mich hinter einer ungepflegten Lockenmatte. Mit meiner ‚unfemininen‘ Erscheinung trete ich auf Bühnen und will, dass meine Gedanken und Gefühle gehört und gespürt werden. Viel zu oft merke ich, dass mir das nicht gelingt, dass sich nicht mein Text in Gehirne beißt, sondern meine Oberfläche.

Seelenstriptease gegen Oberflächlichkeit

Natürlich sollte sich jede auftretende Person bewusst sein, dass man, als Teilnehmende_r einer Slamshow, eigene Perfomances als Angriffsfläche für Urteile, Anmaßungen und Kritik bietet. Das Schöne am Spoken Word ist jedoch, dass ich als Vortragende ein Nest aus Worten basteln kann, in dem sich Zuhörende heimelig fühlen und sich niederlegen wollen. Sozusagen ein kleiner Kurort für Alltagsentfliehende. Das ist eine Bindung, um die es schade wäre, wenn sie gebrochen werden würde.

Zuhörende legen ihre Aufmerksamkeit auf die Gesamterscheinung einer Person, die gerade eine Bühne betritt. Es fallen Begrüßungsworte, sonstige Lückenfüller, bis der_die Poet_in endlich den Mikrofonständer adjustiert hat und es wird nervös gelächelt. Hier schon stellt man sich als im Publikum Sitzende_r vor, welche Art von Text wohl kommen mag. Man mustert das Aussehen, bekrittelt die zu hohe Tonlage der Stimme und wartet darauf, dass die eben gebildeten Vorstellungen, doch auch genauso passieren mögen. Da ist ein junges Mädchen, es wird sich seichte Liebeslyrik erhofft. Jetzt kommt was Lustiges, denn da steht ein lässiger Kerl! 

Tereza Hossa, eine Slammerin aus Wien teilt dieselbe Erfahrung:

Ich persönlich werde nach Texten, die von zwischenmenschlichen Interaktionen sexueller Natur handeln, des Öfteren angesprochen und zwar auf einer Art, die mir vermittelt, dass ich ganz klar sexualisiert und von Männern als leichte Beute angesehen werde.

We know where we stand y’all!

Oberflächlichkeit trifft beide Geschlechter. Oberflächlichkeit bedingt auf Geschlecht trifft mit Sicherheit überwiegend Frauen*. Texte sind aber nicht abhängig vom Erscheinungsbild. Sie sind nicht abhängig vom jeweiligen Köper, aber davon wie man diesen Körper benutzt, um einem Text Kraft zu geben. Welche Mimik verwendet man, welche Bewegung legt man in Gestik? Legen Zuhörende ihre Beachtung darauf, gewinnt die Aufnahme des Dargebotenen an mehr Bedeutung und man kann sich entgegen eigener Erwartungen überraschen lassen und wertschätzen.  Dann hört man den Text und kann damit verbundene Emotionen aus Mimik und Gestik herauslesen, findet sich wieder und legt sich in das Nest, bucht sich ein Hotelzimmer im Kurzentrum.

Von der Mädchenlyrik und vom Aufbruch

Speziell die Sensibilität spaltet Geschlechter. Ein Mann*, der Lyrik schreibt, gilt als romantischer Held und wird sabbernd angeschmachtet. Eine Frau*, deren Performance und Text nicht minder gut war, wird á la „war ja klar, dass die Mädchenlyrik macht“ abgestempelt. „Mädchenlyrik“ hat sich als Unwort in der deutschsprachigen Slamszene etabliert und wird verwendet um Texte mit viel Pathos, Kitsch und gezwungenen Reimen abzuwerten.

In einem Bühnenmedium wie Slam, das sich mit Sprache beschäftigt, ist es unverständlich, dass platte Genderklischees für Benennungen verwendet werden. Vergleichbar grauenhaft im englischen Alltagsgebrauch „Don’t be a pussy and act like a man!“, eine Phrase die verwendet wird um auf eine vermeintliche Verweichlichung eines Mannes hinzuweisen. Wenn wir also Geschlechtermerkmale in den Sprachgebrauch, in Definitionen einfließen lassen, dann versperren wir uns selbst Möglichkeiten, diese fixierten Rollenbilder aus unseren Köpfen zu löschen.

Frauen* auf der Bühne sind sich dieser Klischees bewusst und sind daher auch ständig darauf bedacht sie zu brechen. Das ist ein zusätzlicher Druck, der Bühnensicherheit von Poetinnen einschränken kann, der sie aber auch zusätzlich motiviert über ihre eigenen Grenzen hinaus wachsen zu können und an mehr Stärke zu gewinnen. Poetinnen nutzen ihre eigenen Rollenkonstrukte, setzen sich zynisch in die Rolle des sexualisierten Objekts, schreiben derbe Texte mit Humor und Sarkasmus, der eigentlich für ihre männlichen* Kollegen reserviert wäre.

Christine Teichmann, die Königin des Grazer Slams meint dazu:

Ich habe oft ein schlechtes Gewissen, wenn ich zu sentimental bin. Allerdings helfen mir da mein Alter und meine Lebenserfahrungen, die ich außerhalb des Slams sammeln konnte, daher schei* ich mir nicht so viel und schreibe dagegen an und versuche Erwartungshaltungen im Publikum zu widersprechen.“

Support the Sistaz!

Slam Poetinnen drängen sich also mit aller Kraft aus den Ecken heraus, in die sie gedrängt wurden. Was können wir tun, um das Frauen* zu erleichtern? Wie können wir den Druck der Erwartungshaltungen, den Druck des bewussten Erwartungshaltungenbrechens, um wahrgenommen zu werden, niederschlagen? Wer sind „wir“ eigentlich?

Rollenbilder müssen aus Köpfen verschwinden. Aus den Köpfen des Publikums. Innerhalb der Slamszene. Frauen* brauchen niemanden, der ihnen das Mikrofon auf der Bühne auf die passende Höhe stellt, Frauen* brauchen den Mut, von selbst ihre Stimmen laut sein zu lassen.  Als Slamszene müssen wir dazu beitragen. Liebe Moderator_innen! Wir sind nicht „süß“, „frech“, „super lieb“ und „schön“- wir sind Poetinnen, mit Texten in unseren Hosentaschen, die für euch vielleicht nur fünf Minuten eures Line-Ups füllen, für uns aber goldschwer sind. Wir schreiben mit Verstand, Gefühl und mit Witz. Wir sprechen hoch, tief und ab und zu nuscheln wir. Als Veranstaltende auf Bühnen mit Mikrofon habt ihr die Macht breitere Massen zu prägen und ihnen zu zeigen, was Slam alles sein kann. Facettenreichtum. Individuen, mit vielfältigen Stärken und ausgeprägten Charismen- unabhängig von Geschlecht.

It’s all about the love!

Auch Fanny Famos selbst Wiener Slamveranstalterin und Moderatorin des „Stille Post- Loft Slams“ äußert, dass Frauen*förderung im Slam nicht dadurch getan ist, dass nur auf Gendern in der Moderation geachtet wird, sondern dass das lediglich ein Weg ist, Bewusstsein zu schaffen. Dass aber noch mehr Schritte gemacht werden, indem in jedem Line Up jedes Individuum Platz finden kann. Ausgeglichenheit von Geschlechtern, Ausgeglichenheit von Slam Genres, um diese Individualitäten zu feiern.

Wir dürfen nicht müde werden immer und immer wieder zu zeigen, dass Slam ein Format ist, dass keine Grenzen vorgibt, keine Grenzen zwischen Mann* und Frau*.
Die Bühne soll mir weiterhin die Möglichkeit geben, mich wie ein kleiner erbärmlicher Wurm zu fühlen, aber wegen meiner Texte, nicht wegen meiner Vagina. Damit jede Frau* sich beim Verlassen der Bühne gut fühlen kann, nicht des Fames wegen, aber der Wertschätzung, ach Gott, ja: Wegen der Liebe.