20. März 2017

Groupies für die Girls!

Bühnen machen sexy! Bühnen bringen Fans. Fans sind Balsam für Schriftsteller_innen-Seelen und verschönern den gar-nicht-mal-so-glamourösen Alltag eines_einer Bühnenpoet_in. Dennoch scheinen auftretende Männer eine deutlich größere Anziehungskraft zu haben als ihre Slamkolleginnen. Groupies gelten als Hauptaudienz der egozentrischen Selbstdarstellung. Gleichzeitig fehlt der Mumm, starke Künstlerinnen ebenso schamlos anzuhimmeln.

Nichts zerstört den Traum von einem Leben auf Bühnen schneller als ein Leben auf Bühnen.

Die romantisierte Vorstellung des mitreißenden Strudels aus Rampenlicht, Anerkennung und Champagnerduschen wird allzu schnell von der knallharten Faust der Realität niedergestreckt.

Mit hängenden Schultern, Zweckreimen und schönen Notizheften

Der Alltag eines_einer Slampoet_in besteht aus endlosen Zugfahrten, lauwarmem Bier und halbherzigen Rezensionen der ansässigen Dorfpresse.

Nach der zigsten vergeigten Vorrunde lümmelt man_frau sich, an einem kalten Pizzastück nagend, in den Backstage und murmelt Worte wie „Startplatzpech“ und „Kunstbanausen“ vor sich her. Eine Schriftsteller_innen-Seele ist hochempfindlich und sensibel. Balsam für uns zartfühlende Menschen sind natürlich unsere Fans. Jene tapferen Recken, die unsere sensationell einfallslosen Sprüche auf Facebook liken, die sich in endlose Schlangen reihen, in überfüllten Räumen ausharren und die originellen Sprüche der Moderation ein ums andere Mal über sich ergehen zu lassen. (Gibt es wirklich noch Menschen, die noch nie auf einem Poetry Slam waren? Noch nie? Auf einem Poetry Slam? IM JAHRE 2017?!)

Und dann stehen wir da: Extrem normale Durchschnittspersonen, die sich für mittelmäßige Wortspiele begeistern und keinen Zweckreim auslassen. Ein bisschen schlurfig, die Haare im Gesicht, die Rückenhaltung katastrophal. Wir waren mit Sicherheit nie die angesagten Kinder auf dem Schulhof, hatten aber immer die schönsten Notizhefte.

Hier liegen die Wurzeln des Rockstar-Lebens

Dennoch scheinen einige meiner männlichen Kollegen eine geradezu magische Anziehungskraft zu haben, die sich je nach Intensität von Augenfarbe und Drei-Tage-Bart bis ins Unendliche potenziert. Ich bin wohl nicht die Einzige, die sich nach einem Auftritt plötzlich in einer Traube kichernder Mädchen widerfand, die verschüchtert an einem Bier nuckelten und von allem absolut und restlos begeistert waren.

Hier liegen sie, die Wurzeln des Rockstar-Lebens, das Fundament der Überheblichkeit: Groupies.

Die Attraktivität des Mannes wird im gleißenden Schweinwerfer um ein Vielfaches gesteigert, die Macht des Mikrofons überträgt sich auf sein gesamtes Wesen und lässt ihn in den Augen mancher Damen und Herren zu einem unwiderstehlichen Objekt fleischlicher oder emotionaler Begierde werden. Aus einem schüchternen Lümmel wird plötzlich ein Don Juan.

Bühnen machen sexy. So einfach ist das. Vielleicht kann man sogar ein Buch von dem Poeten kaufen. Umso besser. Der Drang, mit ihm schlafen zu wollen, steigt ins Unermessliche.

Ältere Herren und die hormongesteuerte Jugend

Nun sollte man meinen, dass die einfache Formel Bühnen machen sexy für jedes Geschlecht gilt. Meine Brüste machen mich sexy. Mein Hintern. Mein Humor, meine Intelligenz, mein zweifelhaftes Talent, nach zehn Schnäpsen noch geradeaus laufen zu können. Aber keine der Bühnen, auf der ich stand, hat mich jemals unwiderstehlich gemacht.

Frauen haben schlichtweg keine Groupies. Wenn doch, so sind es seltene Einzelexemplare. Ältere Herren, die einfach gerne mal wieder ungefragt den Arm einer jungen Frau berühren möchten und ihr dabei ihren Hustenbonbon-Atem aufdringlich ins Ohr pusten. Jugendliche, die bei ihrem ersten Schamhaar in einem Funkenregen aus Hormonen explodiert und seither damit beschäftigt sind, alles um sich herum anzubaggern. Abgesehen von diesen sporadischen und meist eher unangenehmen Begegnungen passiert bei uns nicht viel, was erwähnenswert wäre. Zwar gönne ich jedem meiner Kollegen seinen Erfolg und das dazugehörige Maß an Verehrer_innen; dennoch freut es mich immer ein bisschen, wenn sie sich ebenso wie wir anderen Loser alleine im Hotelbett widerfinden. So wie es sich für den_die einfühlsam-exzentrische_n Künstler_in gehört.

Starke, erfolgreiche Frauen machen Angst

Gelegentlich ringen sich Frauen dazu durch, mir auf dem Damenklo einige anerkennende Worte zwischen Hände waschen und Hände an der Hose abwischen zukommen zu lassen. Das ist nett. Ebenso nett wie die Frauen, die mich nur kritisch durch den Spiegel mustern, weil sie mich vermutlich in echt genauso scheiße finden, wie auf der Bühne.

Es ist trotzdem ein Mysterium, dass sich Männer zwischen 15 und 65 schlichtweg nicht trauen, eine Frau anzusprechen, die vor wenigen Minuten noch Hunderte im Publikum begeistert hat.
Wo bleiben die Männer, die am Eingang des Backstages auf uns warten und errötet um ein Autogramm bitten? Wo die Männer, die kichernd ihren Freund_innen in die Rippen stoßen, sobald sie uns sehen?

Vielleicht haben Bühnen eine andere Wirkung bei Frauen. Sie machen uns stark.

Wir gewinnen Kulturpreise, schreiben Bücher und haben Erfolg. Wir brauchen keinen Versorger und keinen Beschützer, denn wir haben ganz gut gelernt, auf uns selbst aufzupassen.

Wir wollen tätowierte Oberarme und Schlüpfer auf Bühnen

Vielleicht wirken Frauen abschreckend, sobald sie Stärke repräsentieren. Vielleicht muss Mann aber auch einfach mal den inneren Teenager wiederfinden und drauf scheißen, was die anderen wohl denken. Außerdem kreischt sich “Leonie” viel besser als “Marc-Uwe Kling”. Aber versteht mich nicht falsch:

Es geht nicht darum, dass ich allabendlich von hyperventilierenden Groupies auf mein Zimmer getragen werden möchte, wo sie mir die Füße massieren und abwechselnd ihre liebsten Zeilen aus meinen Texten vortragen. Für so was hat ja keiner Zeit.

Echte Fans lassen sich außerdem die Zeilen gleich auf den Oberarm tätowieren.

Nein. Es geht um dieses kleine Stück des Rockstar-Lebens. Es geht ums Prinzip.

Um kichernde Männer, an Strohhalmen kauend und um Worte verlegen, begeistert davon, endlich ein Foto mit uns schießen zu dürfen. Die unser Buch kaufen, egal wie schlecht es ist, weil unser Name vorne drauf steht. Es gibt Slammer, deren Fans lecken ihr Mikrofon nach der Show ab. Das ist erschreckend und faszinierend zugleich. Ich hingegen werde gefragt, was denn mein Vater so von meinen Texten hält. (Ziemlich viel übrigens, das gehört zu den Elternpflichten, wenn es sonst kaum wer tut).

Schluss damit!

Wo bleiben die kreischenden Massen, die feuchten Bärte und vor Nervosität durchgeschwitzen Flanellhemden?

Wo bleiben die geblümten Boxershorts, die uns auf die Bühne geschmissen werden?

Männer, traut euch! Wir Frauen haben den Schritt schon lange gewagt.