19. März 2018

Und schön bist du ja auch noch!

Wenn man etwas Neues anfängt, heißt das oft erst einmal, viele Erfahrungen zu sammeln. Während die meisten davon richtig schön sind, gibt es leider auch immer wieder sehr unangenehme Situationen. Zum Beispiel, wenn es im Kund*innengespräch plötzlich um ganz andere Qualitäten geht, als die, mit denen ich als freiberufliche Texterin überzeugen will.

Von Selbstständigkeit und Kundengesprächen

Während ich abends als Slam-Poetin auf der Bühne stehe, bin ich tagsüber seit ein paar Monaten dabei, mich als Texterin selbstständig zu machen. Mit Mitte zwanzig und bisher vor allem „Teilzeit-neben-der-Uni-Texter-Jobs“ zwar nicht ganz einfach, aber dafür ist meine Motivation umso größer. Zu dieser ganzen Selbstständigkeit zählen dann aber natürlich nicht nur das Schreiben, sondern auch Kundenakquise, Bewerbungen auf ausgeschriebene Projekte und Kund*innengespräche.

Ich habe viele Artikel dazu gelesen, dass Kund*innen vor allem bei weiblichen Texterinnen gerne mal dazu neigen, den Preis drücken zu wollen. Deswegen habe ich versucht, mich auf schwierige Tagessatz-Verhandlungen vorzubereiten. Darauf, dass es auch heute noch Kund*innengespräche gibt, die an Unprofessionalität und Fremdscham nur schwer zu übertreffen sind, allerdings nicht.

Was geht dich mein Aussehen an?

Da war nun also diese Freelancer-Ausschreibung, bei der ein kleines Hamburger Start-Up nach textlicher Unterstützung für’s Reisebloggen gesucht hat. Nach meiner Bewerbung folgte ein erstes Telefonat, das zwar nicht außerordentlich nett, aber dennoch vollkommen in Ordnung war. Wir vereinbarten einen Termin zum Kennenlernen und Probe-Texten.

Ich, in Bluse, Jeans und Sneakers, komme also zu unserem vereinbarten Treffpunkt in einem Gruppenarbeitsraum einer Bibliothek und werde direkt von oben bis unten gemustert. Mein potenzieller Auftraggeber? Etwa Anfang 50, also Typ „könnte-mein-Vater-sein“ und auf den ersten Eindruck leider ganz und gar nicht sympathisch. Nach einem ellenlangen Monolog seinerseits war schnell klar, dass das Unternehmen weniger eine*n Texter*in braucht, sondern viel mehr eine Teilzeit- oder Werkstudentenstelle hätte ausschreiben sollen. Auch, was die Erwartungen der Bezahlung betraf, die mit gängigen Sätzen wenig zu tun hatte. Dennoch wollte mein Gegenüber gern mit mir zusammenarbeiten, weil er Arbeitsproben und Lebenslauf ebenso wie meine Person sehr überzeugend einschätzte – und weil ich „ja auch noch schön aussehe“.

Moment! Was?!

Ziemlich genau das hat er gesagt, tatsächlich. Kurz darauf nochmal dieselbe Aussage mit seiner Idee, man könne mich dann ja direkt auch zur Videobloggerin machen, das passe optisch ja sehr gut. Seine Blicke wurden anzüglicher und als ihm eines meiner Tattoos auffiel, wurde das auch direkt noch gelobt.

Auch Selbstsicherheit ist Übungssache

Ich hätte aufstehen und gehen sollen, ja. Allerdings hatte ich in diesem Moment keine Ahnung, wie man in einer solchen Situation am besten reagiert und wollte im Vergleich zu ihm ganz und gar nicht unprofessionell wirken. Also bin ich sitzen geblieben und habe den Probe-Text geschrieben, in der Annahme, dass es wohl kaum noch schlimmer werden könne. Wurde es aber doch. Nämlich in Form seiner Einladung zu WordPress. Die landete direkt in meinem Spam-Ordner, Absender: Sexytim123[1]. Aus einem Impuls heraus fragte ich ihn, ob sein Nutzername ein schlechter Scherz sei. Beantwortet wurde meine Frage mit einem entschuldigenden Grinsen und ausweichenden Eingeständnissen digitaler Inkompetenz. Wie sehr kann man eigentlich danebenliegen?

Nachdem diese unangenehme Situation, für die ich tatsächlich zwei Stunden meiner Zeit verschwendet hatte, endlich vorbei war, saß ich zuhause und ärgerte mich ohne Ende, dass ich nicht schon nach dem ersten komischen „Kompliment“ meine Sachen geschnappt hatte und gegangen war. Aber auch die Selbstsicherheit, in solchen Momenten so direkt sein zu dürfen, musste ich mir erstmal noch aneignen.

Hallo Retourkutsche

Ich konnte und wollte die Situation dennoch nicht einfach so stehen lassen, zumal der potentielle Kunde mich gebeten hatte, mir eine Zusammenarbeit (wenn nötig auch unter meinen Bedingungen bzgl. vollkommen flexibler Zeiteinteilung meiner Arbeit) nochmal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich setzte mich also am nächsten Tag an den PC, formulierte eine vermutlich viel zu neutrale Mail und erklärte ihm, dass mir Professionalität sehr wichtig sei und ich mir keine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen vorstellen könne, in dem der zwischenmenschliche (und vor allem zwischengeschlechtliche) Umgang auf diesem Niveau stattfinde. Was folgte, war eine trotzige und beleidigende Retourkutsche von Sexytim123: Meine Auffassungsgabe wurde kritisiert, meine Einschätzung der Situation als empfindlich abgetan und dazu kam die Unterstellung seitens des Auftraggebers, dass mein Probetext in seinem Ranking-Raster sowieso durchfallen würde. Tat er – zu meiner inneren Befriedigung – allerdings nicht, sondern rankte mit 4 von 4 möglichen Punkten.

Was mich an dieser ganzen Erfahrung am meisten ärgert? Einerseits bestimmt meine eigene Unsicherheit darüber, wie mit so etwas am besten umzugehen ist. Andererseits aber auch einfach die Tatsache, dass sich Menschen auch heutzutage noch erlauben, ihr Gegenüber in derlei unangenehme Situationen zu bringen.

Ich habe keine Lust darauf, mich in meinem Job mit Alltagssexismus rumzuschlagen. Ich will bei meinen Kund*innen mit richtig guten Texten hängenbleiben, nicht mit meinem Äußeren. Leben wir nicht in einem Zeitalter, wo genau das schon längst selbstverständlich sein sollte?

[1] Vorname des Auftraggebers geändert