Die Top 10 der dümmsten Sprüche nach Auftritten
Als Slammerin* ist es dein Job, aufzutreten. Vor Leuten. Mit Leuten. Das ist prinzipiell ein schöner Job, führt aber auch dazu, dass man nach Auftritten ungefragt Sprüche zu hören bekommt. Folgende Sprüche wurden tatsächlich schon so geäussert – und viele davon leider nicht nur einmal.
1. „Für ´ne Frau bist du ganz witzig.“ / „Eigentlich mag ich Texte von Frauen nicht so, aber du warst gut.“
Wer sagt’s?
Irgendein*e Zuschauer*in, als „Kompliment“.
Warum nervt’s?
Schön, wenn dir mein Text gefallen hat und du lachen konntest. Das darfst du mir auch gerne sagen. Aber warum muss das zusammen mit einer generalisierenden Sexismus-Aussage passieren? Ich bin nicht lustig für eine Frau oder gut obwohl ich eine Frau bin. Wahrscheinlich hast du schon zehn Frauen gesehen und fandest fünf davon gut und 20 Männer, von denen dir 10 gefielen. Wenn lustige Frauen in deinem Kopf die Ausnahme sind, wirst du weiter nur Ausnahmen aufreihen, obwohl die Wahrheit anders aussieht. Es gibt keine Hormone, die Männer biologisch betrachtet lustiger machen. Falls du Männer generell lustiger findest, solltest du also besser drüber nachdenken, welche Annahmen und Mechanismen dich dazu bringen.
2. „Der Text hat mir nicht gefallen, aber ich würd´ dich knallen.“
Wer sagt’s?
Meist nur der Internet-Troll, ab und zu (und etwas geschickter formuliert) aber auch ein sich selbst überschätzender Typ, der in seinem Leben vermutlich noch nicht viel geschafft hat, außer sich eine Eintrittskarte für den Slam zu kaufen.
Warum nervt’s?
Wenn ich eine Bewertung für meinen Körper möchte, geh ich zu GNTM. Beim Poetry Slam geht es darum, Texte vorzutragen und bewerten zu lassen. Objektifiziert werde ich als Frau schon genug. Und guess what? Auf sexistische Arschlöcher steht niemand!
3. „Das kannst du so nicht sagen!“
Wer sagt’s?
Ein unerschrockener Mann, der sich noch traut, für die korrekte Darstellung der Geschlechterverhältnisse einzustehen und wahrscheinlich ein richtig erfolgreicher Slammer wäre, wenn er denn schreiben würde.
Warum nervt’s?
Ich führe ja manchmal sogar ganz gerne Diskussionen über die Inhalte meiner Texte. Man darf ja unterschiedlicher Meinung sein. Aber dass mir auffällig oft Typen vorschreiben wollen, was ich wie auf einer Bühne sagen kann, wenn es um feministische Themen geht, löst in mir mittlerweile nur noch ein müdes Augenrollen aus. Denn: Doch, ich kann das so sagen. Das geht nämlich 2018, dass Frauen auf Bühnen ihre Meinung sagen. Und wenn du anderer Meinung bist, dann schreib doch selbst einen Text oder diskutier mit mir, aber schreib mir gefälligst nicht vor, was ich zu sagen habe!
4. „Und davon kann man leben?“
Wer sagt’s?
Jemand, der* oder die* das Gehörte nicht so berauschend fand und jetzt ganz schön erstaunt ist, dass ich trotzdem Gage bekomme.
Warum nervt’s?
Eine interessierte Frage ist ja kein Problem. Wenn in der Frage aber mitschwingt, dass du findest, meine Leistung sei nicht mal deinen ermäßigten Eintritt wert, dann ist das keine Frage, sondern eine Beleidigung. Jan-Philipp Zymny antwortet darauf immer: „Man nicht, ich schon.“ Und das ist vielleicht auch schon das Einzige, was ich dazu sagen kann. Wenn es dir nicht gefallen hat, tut mir das leid, aber das schmälert meine Kunst nicht und dein persönlicher Geschmack nimmt mir nicht die Berechtigung, Geld für meine Arbeit zu bekommen.
5. „Wenn du dir ´n weißes T-Shirt anziehst und nichts drunter, gewinnst du vielleicht auch mal.“
Wer sagt’s?
Ein Sexist. Genau den Spruch hat eine ALPHAS-Kollegin tatsächlich schon zu hören bekommen, wir kennen aber leider alle ganz ähnlichen Mist, den uns selbsternannte Gewinn-Coaches meinten, mitgeben zu müssen.
Warum nervt’s?
Das ist offensichtlich, oder?
6. „Hast du zugenommen/abgenommen?“
Wer sagt’s?
Eine vollkommen fremde Person aus dem Publikum. Oder jemand im Backstage, mit dem man den ganzen Abend und auch davor noch kein Wort gesprochen hat.
Warum nervt’s?
Noch mal zum Mitschreiben: Mein Körper ist nicht deine Sache. Und vor allem hat dein Urteil über meinen Körper nichts auf einem Poetry Slam zu suchen. Kann sein, dass du Videos von mir gesehen hast, auf denen ich dünner aussah, kann sein, dass du dachtest, ich war beim letzten Auftritt hier noch dicker. Aber weißt du was? Das interessiert mich gar nicht. Wenn du mich nicht kennst und was sagen willst, sag was zum Text! Fertig.
7. „Du benutzt zu oft Wiederholungen. Außerdem solltest du das Ende ändern und das in der Mitte lieber witzig sagen als so ernst. Dann würde der Text richtig reinhauen!“
Wer sagt’s?
Oft ein Kollege, manchmal auch ein Zuschauer, auf jeden Fall sagt er das ungefragt.
Warum nervt’s?
Beim Slam ist es klar, dass man Feedback bekommt. Das trägt das Format schon in sich und das ist auch in Ordnung. Doch gänzlich ungefragtes Feedback – gerade zu persönlichen Angelegenheiten wie Texten – ist immer schwierig. Wenn sich bei mir dann noch der Eindruck breit macht, es seien auffällig oft Typen, die jüngeren weiblichen Slammerinnen* ihren Senf hinklatschen und dabei immer denken, sie wüssten es besser, wird´s ganz schwierig. Nhi Le hat hier schon mal aufgeschrieben, warum das nervt.
8. „Hast du schon mal drüber nachgedacht, ein Buch zu schreiben/ deine Texte jemandem zu zeigen/ zu touren?“
Wer sagt’s?
Erstaunlich oft ein Newcomer/Local, der dich gerade zum ersten Mal gehört hat, selbst weniger erfolgreich unterwegs ist und trotzdem der Meinung ist, dich bestens beraten zu können.
Warum nervt’s?
Wie so oft, kommt es auf den Kontext an. So eine Aussage kann total empowernd sein und die ermutigen, die noch nicht viel Erfahrung haben oder bisher nicht den Mut hatten, ihre Texte jemandem zu zeigen. Die großspurige „Ich bring dich ganz groß raus, Baby“- Attitüde ist aber vor allem dann unangebracht, wenn der selbsternannte Gönner viel weniger Erfahrung und Erfolg hat, sich aber trotzdem nicht zu schade ist, alle jungen Hüpfer um sich rum zu beraten.
9. „Netter Auftritt! Wenn du älter wirst, schreibst du dann vielleicht auch mal über andere Themen.“
Wer sagt’s?
Kolleg*innen mit mehr Lebenserfahrung. Und zwar direkt, wenn man von der Bühne ins Backstage zurück stolpert.
Warum nervt’s?
Hier greift dasselbe Prinzip. Natürlich kann das gut gemeint sein, manchmal vielleicht sogar ein wertvoller Tipp. Das Abtun von Themen, die für die einzelne Poetin* bzw. den einzelnen Poeten* relevant sind, wird aber schnell und auch zurecht als arrogant und entmutigend empfunden. Ein guter Text ist nicht nur dann gut, wenn er deinen Vorstellungen von interessanten Thematiken entspricht. Mit Alter hat das nicht unbedingt was zu tun. Und selbst wenn: Das Geile am Format Slam ist doch, dass verschiedene Menschen aus verschiedenen Lebenskontexten ihre Themen auf die Bühne bringen. Am Ende haben wir im besten Fall eine Vielfalt an Motiven.
Besonders scheiße wird dieser Spruch übrigens, wenn er auch noch an das Geschlecht gekoppelt wird. „Früher hab’ ich auch so geschrieben wie du, dann ist mir ein Penis gewachsen.“, war in dieser Hinsicht mein persönliches Highlight.
10. „Bleib lieber bei Mädchenlyrik!“
Wer sagt’s?
Irgendeine Person, die glaubt, am besten zu wissen, welches Genre wem am besten steht.
Warum nervt’s?
Where do I start? Allein das Wort „Mädchenlyrik“ ist eine Unverschämtheit. Weil es in den meisten Fällen abwertend benutzt wird, weil das Geschlecht (dann auch noch verniedlicht) mit der Textform so rein gar nichts zu tun hat, weil es in die „Männer sind witzig, Frauen stellen ihre Gefühle auf die Bühne“-Kerbe schlägt, weil es das Bild von der typischen U20-Poetin* weiterzeichnet, die gefühlstriefende leise Lyrik mit Zeilensprüngen vorträgt, weil es auch Männern* entgegen geschleudert wird, die Lyrik vortragen, um sie zu diffamieren. Du wirfst wie ein Mädchen (also schlecht), du rennst wie ein Mädchen (also schlecht) und jetzt reimst du auch noch wie ein Mädchen, aber das ist jetzt gar nicht abwertend gemeint? Das glaubst du doch selbst nicht.
Außerdem entmutigt dieser Satz diejenigen, die gerade zum ersten Mal einen lustigen Text ausprobieren (der übrigens auch in gereimter Form lustig sein kann!) oder darüber nachdenken, mal Storytelling auszuprobieren. Es gibt vermutlich keine Person, deren Bühnentexte alle immer sofort ein Knaller waren. Es ist okay, auch mal zu scheitern und das hat nicht zwingend damit zu tun, dass dir das Genre nicht steht. Darüber hat niemand zu urteilen, außer du selbst. Ein freundliches „Ich persönlich mag deine lyrischen Texte lieber“ ist akzeptabel und kann vielleicht sogar der Anfang für ein von beiden gewolltes konstruktives Feedbackgespräch sein. Der Ton macht die Musik.
Ich setze mich auch deswegen bei SLAM ALPHAS ein, weil ich hoffe, dass irgendwann klar wird, dass Poetinnen* ihren Kollegen* in nichts nachstehen. Im Gegenteil: So mancher Kerl wäre gut damit bedient, zu reimen, wie ein Mädchen.