Achtsamkeit auf Tour
Pauline Füg ist Autorin, Diplom-Psychologin und Poetry Slammerin. Sie hat hier mal aufgeschrieben, welche Tipps und Tricks einem helfen, auf Tour und im Alltag achtsamer zu leben. In Coachings bringt sie Menschen bei, wie man besser auf sich selbst hören kann.
„In Hotelbetten kann ich so schlecht (ein)schlafen.“
„Ich komme nach Auftritten schlecht zur Ruhe und geh dann halt lieber auf die Aftershow-Party statt alleine im Hotel zu sitzen, obwohl ich morgens früh raus muss.“
„Manchmal nehme ich Auftrittstermine an, obwohl ich eigentlich gar nicht weiß, ob ich so viel unterwegs sein will.“
„Wenn mal ein Auftritt nicht so gut lief, zweifle ich an mir selbst.“
„Oft kommt mein Kopf nach Facebook-Slam-Diskussionen gar nicht zur Ruhe, weil mir das alles wirklich nahe geht.“
„Nach ner Tour bin ich immer krank oder muss erstmal zwei Tage schlafen.“
Solche Sätze höre ich oft von Poetry Slammer_innen und freiberuflichen Künstler_innen.
Dir schwirren auch manchmal einer oder mehrere dieser Sätze im Kopf rum? Oder du fängst gerade an zu slammen und willst lernen, wie man entspannt und gesund tourt?
Dann bist du hier genau richtig.
Der Schlüssel heißt nämlich Achtsamkeit.
Was ist Achtsamkeit?
Achtsamkeit (Englisch: mindfulness) ist eine Form von Aufmerksamkeit. Genauer gesagt geht es darum, dass man seinen Fokus auf den aktuellen Moment legt, sich ganz auf diesem Moment – und nicht auf die Vergangenheit oder Zukunft – konzentriert. So kannst du herausfinden, was dir gut tut. Die Idee dahinter ist, dass man wirklich darauf hört, was die eigenen Gedanken gerade sagen. Und der Trick dahinter ist, dass man wiederum die eigenen Gedanken nur wahrnimmt und nicht bewertet. Puh. Kompliziert?!
Ein Beispiel: Wenn du auf Tour merkst, dass du keine Lust auf Pizza am fünften Abend hintereinander hast und überlegst, was du stattdessen essen könntest, dann bist du achtsam. Dabei musst du gar nicht bewerten, ob das jetzt gut oder schlecht ist, dass du keinen Appetit auf Pizza hast. Es ist einfach so.
Ein weiteres Beispiel: Wenn du ein Bauchgefühl hast, dass das Gesprächsthema im Backstageraum dich nur aufwühlt und du dich deswegen daran nicht beteiligst, dann bist du achtsam. Und auch hier gilt: das ist vollkommen wertfrei und sagt nichts über das Gespräch oder dich aus. Es tut dir einfach nicht gut und du hörst auf dich.
Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen, die achtsam sind, zum Beispiel besser mit Stress umgehen können und weniger grübeln.
Was kannst du tun, um achtsamer zu leben? Lerne ein bisschen mehr auf deine innere Stimme zu hören und wahrzunehmen, was dir dein Körper sagen will. Meistens weiß er schon ganz gut, was dir gut tut. Und im Folgenden gebe ich dir noch ein paar ganz konkrete Tipps, wie du Achtsamkeit in deinem Alltag umsetzen kannst.
Fünf Tipps für mehr Achtsamkeit in deinem Leben
Das Leben als Poetry Slammer_in oder Freiberufler_in ist super. Und außergewöhnlich. Und deswegen ist es wichtig, dass wir achtsam mit unserem Geist und unserem Körper sind. Denn ohne ihn: keine Textideen, keine Performance, keine Tour. Und natürlich kannst du diese Tipps auch in deinem ganz normalen Alltag umsetzen.
1. Morgenrituale – Die ersten Minuten des Tages gehören nur dir
In den ersten Minuten des Tages kannst du Kraft sammeln für alles, was du heute noch erledigen wirst. Deswegen überleg dir: Was tut mir gut? Was macht mir den Start in den Tag angenehm?
Eine Freundin von mir lässt sich morgens immer mit ihrem Lieblingslied wecken. Und ein Bekannter geht erstmal im Bademantel auf dem Balkon und atmet die kühle Morgenluft.
Ich trinke morgens zum Beispiel immer einen halben Liter warmes Wasser mit frisch gepresster Zitrone. Das geht auch in den meisten Hotels ganz gut. Ich fühle mich so gleich wacher und fitter. Außerdem esse ich morgens am liebsten warmes Porridge. Ich habe auf Reisen auch immer eine Packung dabei und kann mir das im Hotel beim Frühstück mit warmer Hafermilch oder warmen Wasser selbst machen, wenn ich mal keine Lust auf Brötchen habe.
Du kannst auch einfach mal aufschreiben, wie so ein normaler Morgen bei dir aussieht. Und dann überlegen, was davon dir gut und was nicht so gut tut. Dann frage dich, wie du die Dinge, die dir nicht gut tun, ändern kannst. Du snoozelst immer viel zu lange und musst dann hetzen? Dann versuch mal, ein paar Minuten früher ins Bett zu gehen oder dich wirklich zu überwinden, nach dem ersten Snoozeln aufzustehen. Einfach machen, nicht groß drüber nachdenken. Der Körper gewöhnt sich relativ schnell an solche neue Dinge.
Gehörst du auch zu den Menschen, die morgens als erstes auf ihr Handy schauen? Versuch mal, ob du es schaffst, dein Handy noch ein paar Minuten im Flugmodus zu lassen, sodass die ersten 10-15 Minuten des Tages wirklich nur dir gehören. Du wirst den Rest des Tages noch genügend Zeit haben, um mit Menschen zu reden, Whatsapp-Nachrichten zu schreiben und Nachrichten zu lesen. Mach dir einen Tee und schau aus dem Fenster, überleg dir, was der Tag alles für dich bringen wird und wie er aussehen würde, wenn er perfekt wäre. Das nennt man Visualisieren, dadurch geht man mit einem guten Gefühl in den Tag.
Du kannst dir zum Beispiel auch angewöhnen, dass du beim Zähneputzen immer an drei Sachen denkst, für die du dankbar bist. So bekommst du ein gutes Grundgefühl, auch, wenn du vielleicht einen anstrengenden Tag vor dir hast. Dankbar kannst du für ganz einfache Dinge sein: dass du ne coole neue elektrische Zahnbürste hast, dass dein Duschgel so gut riecht, dass einen tollen Abend auf Tour hattest. Du kannst aber auch zum Beispiel dankbar dafür sein, dass du viele Dinge vor dir hast, sodass dir nicht langweilig wird.
Alles in allem gilt: probiere aus, was gut für dich ist und höre auch hier wieder auf dein Bauchgefühl!
2. Abendrituale – Wie du besser einschlafen kannst
Um besser verstehen zu können, warum man auf Tour abends oft schwer zur Ruhe kommt und woran das jenseits von ungewohnter Umgebung liegen kann, erkläre ich dir ein bisschen die biopsychologischen Ursachen:
Woran liegt das, dass man nach Auftritten Zeit braucht, um runterzukommen?
Weil es natürlich immer – auch für erfahrene Poetry Slammer_innen – eine Herausforderung ist, auf der Bühne zu stehen, reagiert unser Körper in einer solchen Situation so, wie noch in der Steinzeit und schüttet Stresshormone, wie zum Beispiel Adrenalin aus, ganz nach dem Motto: „Obacht, eine Gefahrenquelle! Kampf oder Flucht!“ Warum unser Körper das macht? Weil sich das Jahrtausende lang so bewährt hat.
Nun ist eine Bühne aber überhaupt nicht so lebensgefährlich wie ein Mammut, es kann uns gar nichts passieren. Das weiß nur unser Körper nur noch nicht. Früher wurde das Adrenalin durch Kämpfen oder Fliehen abgebaut. Nach deinem Auftritt braucht dein Körper also erstmal etwas Zeit, um das Adrenalin wieder zu reduzieren. Deswegen fühlt man sich oft wach und müde gleichzeitig und braucht etwas Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Je nachdem, wie sehr wir uns an diese Bühnensituation gewöhnt haben und je mehr unser Körper gelernt hat, dass uns gar nichts passiert, haben wir mal etwas mehr, mal etwas weniger Lampenfieber.
Es gibt ein paar Übungen, um vor dem Auftritt schon etwas das Lampenfieber zu reduzieren: Schüttele dich, den ganzen Körper, abwechselnd Arme und Beine.
Wer später im Hotel vor lauter Adrenalin nicht einschlafen kann, kann zum Beispiel einen Abendspaziergang machen. Durch die Bewegung und die frische Luft kommst du zur Ruhe. Es gibt auch bestimmte Yoga-Übungen, die helfen, müde zu werden und die man gut im Hotelbett machen kann. Ich empfehle dir dazu bei Youtube: 7-Minute-Bedtime-Yoga mit Adriene Mishler.
Deine Gedanken drehen sich trotzdem noch? Dann kannst du auch probieren, in einem Tagebuch alles aufzuschreiben, was dich nervt, so musst du nicht mehr dran denken und hast es einmal niedergeschrieben.
Manche Menschen müssen sich auch erstmal an die fremden Geräusche und Gerüche im Hotelzimmer gewöhnen. Was dagegen hilft: Dusche abends noch schön mit deinem Liebslingsduschgel! Du kannst dir zum Beispiel auch angewöhnen, immer ein Duftöl (gibt es im Reformhaus oder in der Drogerie, zum Beispiel von Primavera https://www.primaveralife.com/shop/duftmischungen ) mitzunehmen, das du vorm Schlafengehen benutzt. Oder du übertönst die Geräusche von außen mit deinem Lieblingshörspiel: auf Spotify kann man fast alle Folgen von Benjamin Blümchen, den drei Fragezeichen oder Bibi Blocksberg hören. Das ist zum einen witzig, das als Erwachsen_r nochmal zu hören, zum anderen kann man mit diesem Gefühl von Kindheit gleich viel besser einschlafen.
Hier gilt: lieber Hörbuch hören als Fernsehen, weil das blaue Bildschirmlicht einen schlechter (ein)schlafen lässt.
3. Es ist okay, „Nein“ zu sagen oder sich Bedenkzeit zu nehmen, wenn du dir nicht sicher bist
„Kommst du mit zur Aftershowparty?“
„Kannst du spontan die nächsten drei Tage auf Tour kommen?“
„Kannst du noch schnell für morgen nen Auftragstext schreiben/XY machen?“
„Hast du Zeit, um diese krasse Tour mitzumachen?“
Wir alle wissen: Touren, Party und Kreativität sind die schönsten Dinge! Und es ist erst recht verlockend zuzusagen., wenn es ne tolle Gage gibt.
Aber: du hast irgendwie so ein Bauchgefühl, dass du lieber mal ein bisschen zur Ruhe kommen solltest? Du warst eh grade schon auf Tour und musst erstmal alle Eindrücke verarbeiten? Eigentlich würdest du schon gerne den Auftritt annehmen, aber du hast da schon einen privaten Termin im Kalender?
Du musst nicht immer alles sofort entscheiden. Du kannst zum Beispiel sagen: „Das klingt super, aber ich muss erstmal schauen ob ich da kann und melde mich morgen/in einer Stunde nochmal und geb dir Bescheid.“
Du kannst auch sagen: „Ich komm gerade von einer Tour und will erstmal zu Hause alles erledigen, was liegengeblieben ist.“ Du kannst noch ergänzen: „Wenn du willst, schick mir doch gerne Termine für einen anderen Zeitpunkt. Vielleicht klappt es da.“
Oder: „Heute bin ich mal nicht bei der Aftershow-Party dabei, ich wünsch euch aber ganz viel Spaß!“
Oder: „Ich bin noch nicht sicher, ob ich zur Aftershow-Party mitkomme, vielleicht komm ich noch nach/ich geb euch später Bescheid.“
Oder: „Bis morgen schaffe ich es leider nicht, das Projekt XY zu machen, das ist leider zu kurzfristig.“
Das gleiche gilt natürlich auch für dein Privatleben, wenn alle was von dir wollen und du merkst, dass es dir zu viel wird. Ich nenne das die Lufthansamethode: im Flugzeug soll man im Falle des Falles auch erstmal sich selbst die Sauerstoffmasken aufsetzen bevor man den anderen Passagieren hilft. Denk daran: nur wenn du selbst genügend Energie hast, kannst du auch für andere da sein!
4. Du bist toll, wie du bist
Dein Auftritt lief nicht gut? Deine Jury-Wertung war unfair?
Die Lösung dafür ist so kurz wie einfach: wir sind alle nur Menschen, niemand ist immer perfekt auf der Bühne. Mach einfach weiter, ärgere dich nicht und überlege, was du beim nächsten Mal anders machen kannst (die Schriftgröße ändern, nochmal vorher üben etc.). Manche Dinge liegen aber auch einfach nicht in deiner Macht, zum Beispiel wenn du einen Text vorgetragen hast, der davon handelt, wie gerne du Fahrrad fährst, das Jurymitglied aber Fahrradfahren überhaupt nicht leiden kann. Passiert. Nächstes Mal wird es anders. Und vergiss nie: du bist gut genauso wie du bist! Eine Wertung sagt nichts über dich aus! Was passiert ist, ist passiert, es macht keinen Sinn, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Was du aber tun kannst, ist deine Haltung gegenüber der Situation beeinflussen. Es ist ein Unterschied, ob du mit einem „Alles war so scheiße!“ durch den restlichen Abend gehst oder sagst „Es ist so ein schöner Tag, ich freu mich schon voll, mit den anderen Slammer_innen noch zu quatschen und in der tollen Location abzuhängen!“
5. Stressige Backstage- oder Socialmediadiskussionen: Wahrnehmen, nicht bewerten
Viele Slammer_innen sind auch bei Social Media sehr aktiv. Und da gibt es eben manchmal Diskussionen, die sich im Kreis drehen. Und am liebsten möchte man manchmal direkt mitdiskutieren oder Kontra geben und merkt dann nach ein paar Stunden, dass man gar nicht mehr abschalten kann.
Dazu gibt es drei Tricks:
- Versuch mal, wie ein_e Wisschenschaftler_in die deine Gedanken erforscht, alles mit Abstand zu betrachten, wahrzunehmen und nicht zu bewerten: „Aha, die diskutieren jetzt also darüber. Ich werde wütend. So fühlt sich das also an. Am liebsten will ich… Wenn ich das machen, dann passiert das…“ Beobachte deine Reaktion und deine Gefühle. Und vergiss nie: du bist nicht deine Gefühle!
- Die 4-6-8 Atemtechnik Es gibt eine Atemtechnik, um die ganze Wut, Ärger und Anspannung abzubauen: Atme langsam und tief ein, zähle dabei innerlich bis vier, halte die Luft an, während du von eins bis sechs zählst, atme langsam durch den Mund aus und zähle dabei bis acht. Wiederhole das mindestens fünf Mal.
- Abschalten! Wenn du merkst, dass dir die Diskussion nicht gut tut, dann schalte ab. Mach den Laptop zu, das Handy in den Flugmodus oder gleich ganz aus, geh eine Limo trinken, mach einen Spaziergang, schau eine Serie. Wenn die Wut verflogen ist, sieht alles schon ganz anders aus.
In diesem Sinne! Sei achtsam! Und viel Spaß auf Tour!
Tipp: Manchen Menschen hilft es auch, mit Stress umzugehen und zur Ruhe zu kommen, indem sie meditieren. Es gibt Apps dafür, zum Beispiel die 7 Mind App, die auch kostenlose Meditationen, die jeweils etwa 7 Minuten dauern, hat. Es sind geführte Meditationen, das heißt, ein Sprecher erklärt dir während der Meditationen, was du mit deinen Gedanken machen kannst und zeigt dir neue Perspektiven und Impulse auf.
Du hast noch Fragen? Ich freu mich gerne über dein Feedback! Du findest mich bei Facebook und Instagram und kannst mir eine Mail schicken an fg.pauline [at] gmail.com