7. Januar 2019

Touren mit Chronischen Krankheiten – geht das?

Diabetes, Hämophilie A, Hypothyreose, Multiple Sklerose, Lymphödem. Menschen, die von chronischen Krankheiten erwischt wurden, richten sowieso schon ihren Alltag danach. Wenn du eine solche Krankheit hast, sollte es trotzdem kein Problem sein, auf möglichst vielen Poetry Slams aufzutreten und eine wunderbare Zeit zu erleben. Ich bin selbst an Multipler Sklerose erkrankt und dachte am Anfang, das war’s dann wohl mit dem Touren. Ich habe aber ganz schnell herausgefunden, dass es trotzdem kein Problem ist. Wie das geht? Hier habe ich meine Tipps aufgeschrieben.

1. Rüste dich aus!

Viele chronische Krankheiten sind zwar nicht heilbar, aber mit entsprechenden Medikamenten gut zu behandeln oder einzudämmen. Je nachdem, welche Medikamente du benötigst, musst du darauf achten, dass alles bruchsicher und kühl transportiert werden kann. Du schluckst Tabletten? Easy. Leg dir eine kleine Tablettendose oder einen Beutel zu. Denk aber dran, die Tabletten pünktlich zu nehmen und stell dir falls nötig einen Wecker. Viele Präparate zur Bekämpfung chronischer Krankheiten liegen in Spritzenform vor und müssen gekühlt werden (z. B. Insulin, Rebif, Kovaltry, Copaxone). Da es mitunter etwas tricky ist, immer für eine ausreichende Kühlung während der Tour zu sorgen, werde ich mich diesem Thema nun etwas länger widmen. Tablettenpatient*innen können diesen Punkt getrost überspringen.

Kühltaschen

Ich schwöre auf die Kühltasche von Frio, bei der die Kühlung über einen Verdunstungsprozess funktioniert – super praktisch! Es passen alle herkömmlichen Spritzenformate rein, ursprünglich ist die Größe auf Insulinpens ausgerichtet. Ich empfehle die größere Variante, damit sind auch längere Touren kein Problem. Die Frio-Taschen kühlen an heißen Tagen nur auf ca. 26 Grad herunter. Wenn dein Medikament dauerhaft auf der gleichen Temperatur gehalten werden muss, greif lieber zu Kühltaschen mit herausnehmbaren Akkus. Funktioniert wie eine stinknormale Kühltasche, nur in klein und transportabel.

Kühlmöglichkeiten

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Gerade an heißen Tagen ist es wichtig, dass die Spritzen so schnell es geht wieder in einen Kühlschrank kommen. Wenn du es schaffst, noch vor Slambeginn zur Unterkunft zu kommen: Easy. Jede Künstlerwohnung hat einen Kühlschrank, in Hotelzimmern gibt es oft eine Minibar, falls letzteres nicht vorhanden ist, beschrifte deine Kühltasche und gib sie an der Rezeption ab. Falls du es nicht schaffst, vor dem Slam in die Unterkunft zu kommen, leg dein Täschchen in den Backstage-Kühlschrank. Sag den anderen ggf., dass sie nichts draufstellen sollten, und vergiss auf keinen Fall, die Spritzen mitzunehmen, wenn der Slam vorbei ist. Falls es keinen Kühlschrank gibt, kannst du sie an der Bar abgeben. Generell gilt: Fragen kostet nix! Sei so dreist, wie du sein musst. Ich habe mein Medikament schon wahllos in Hostels oder Cafés abgegeben, in denen ich nicht mal zu Gast war, weil es draußen 37 Grad hatte; ich habe im ICE im Bordbistro nach einem Kühlschrank gefragt, ich habe mein Medikament über Nacht in der Location gelassen und am nächsten Morgen abgeholt. Frag die Leute. Rede mit Menschen. Oft ist viel mehr möglich, als du denkst.

Flugreisen

Solltest du eine so krass weite Strecke zurücklegen müssen, dass du absolut keinen Bock auf 10 Stunden Zug hast und in den Flieger steigst, denk dran, dass du deine Spritzen nicht im Großgepäck aufgeben darfst, da es im Bauchraum des Flugzeugs zu kalt ist und die Spritzen bei Minusgraden platzen. Wenn du deine Spritzen im Handgepäck führst, benötigst du einen Medikamentenausweis oder ein entsprechendes Berechtigungsformular, das dein*e Arzt*Ärztin dir auf Anfrage ohne großen Aufwand ausstellt. Dieses Formular darf allerdings nicht älter als 6 Monate sein, achte also darauf, dass es immer aktuell ist.


2. Großzügig packen!

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Nimm auf Tour am besten eine separat gepackte, kleine Medizintasche mit. Darin kannst du alles verstauen, was du benötigst oder dir guttut. Falls du dir dein Medikament injizieren musst, denk an Desinfektionsmittel/-tücher, Tupfer und ggf. Pflaster. Falls du mit verbreiteten Symptomen deiner Krankheit zu kämpfen hast, pack Dinge ein, die dir helfen können, die Symptome zu lindern. Du schläfst unruhig? Baldrian ist das Mittel der Wahl. Bei Muskelschmerzen hilft Kytta-Salbe. Gegen Verspannungen lässt sich gut mit Tigerbalsam arbeiten. Manche schwören auf eine Blackroll. Yoga hilft gut, von stressigen Tourtagen herunterzukommen, denk an bequeme Klamotten. Packe großzügig. Wenn du das Bedürfnis danach hast, ist es besser, zu viel dabei zu haben, als zu wenig. Nimm im Zweifelsfall immer den größeren Koffer/Rucksack. Und: Denk. An. Dein. Gesundheitskärtchen. Falls du auf Tour zum Arzt oder ins Krankenhaus musst, ersparst du dir einiges an Bürokratiemist, wenn du dein Versichertenkärtchen nicht vergessen hast. (Privatversicherte sind hiervon ausgenommen, aber das dürfte bekannt sein.)

3. Informiere deine*n Slammaster*in!

Es bleibt natürlich ganz dir überlassen, wem und in welchem Ausmaß du von deiner Erkrankung erzählst. Ich empfehle trotzdem, im Voraus mit dem*der Slammaster*in zu sprechen, gerade falls man auf bestimmte Dinge (zum Beispiel einen Kühlschrank) angewiesen ist. Falls es bei deiner Krankheit zu gefährlichen Situationen kommen kann, kläre am Besten auch die Menschen, die mit dir touren, darüber auf.

4. Tu, was dir guttut!

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Hör auf deinen Körper. Lern dich selbst kennen. Es ist Sommer und Hitze tut dir nicht gut? Zieh dich in die kühle Lobby oder dein Hotelzimmer mit Klimaanlage zurück, auch dort kann man wunderbar mit den anderen chillen (und reden, Sekt trinken, Spiele spielen, …). Du leidest unter Fatigue und wirst manchmal sehr schnell sehr müde? Chill the fuck out. Du hast hart Bock auf eine kalte Dusche? Tu es. Erfüll dir die Bedürfnisse, die dir dein Körper und deine Krankheit diktieren. Besser, als wenn es dir am nächsten Tag noch beschissener geht. Pauline Füg hat zum Thema Achtsamkeit einen Blogbeitrag geschrieben, den du dir dringend durchlesen solltest.

5. Tipps für Slammaster*innen

Es ist mitunter für Außenstehende nicht ganz einfach, richtig und angemessen auf eine solche Nachricht zu reagieren. Daher an dieser Stelle kurze Tips für Veranstaltende (und allgemein Menschen) für den Umgang mit solchen Nachrichten:

Reagiere cool!

Wenn dir jemand eröffnet, dass er*sie eine schwere chronische Krankheit hat, dann ist es okay, einfach mal „Fuck“ zu sagen. Bitte erzähl diese Neuigkeit nicht überall herum, sondern frag nach, wie die betroffene Person dies handhaben möchte. Sieh davon ab, der betroffenen Person gute Ratschläge erteilen zu wollen. Das tun alle. Geh einfach davon aus, dass die betroffene Person sich mit ihrer Krankheit besser auskennt als du. Wenn du mehr darüber Bescheid wissen möchtest, frag nach. Er*sie gibt dir mit Sicherheit gerne Auskunft. Wenn es dich nicht interessiert – frag nicht. Simple as that. Geheucheltes Interesse bringt keinen von uns weiter.

Schaff ein Alles-Okay-Gefühl!

Dieses Gefühl ist sehr wichtig für eine betroffene Person. Krankheiten sind übermächtig. Betroffene Personen können nichts dafür, sie haben selbst sehr wenig Bock auf den ganzen Scheiß. Die Krankheit diktiert dem Körper Dinge. Gib der Person nicht das Gefühl, anstrengend oder spießig zu sein. Drüber reden ist cool. Zusammen Limo trinken ist cool. Umarmungen sind cool. Was immer euch beliebt. Seid gut zueinander.

Fazit

Touren mit chronischen Krankheiten – geht gut. Es ist absolut möglich. Du bist nicht allein. Es gibt einige betroffene Personen in der Szene, die dir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Probier‘ dich aus, lass dich nicht stoppen. Die Krankheit gehört zu dir, aber sie darf dein Talent und deine Möglichkeiten nicht einschränken.