4. Februar 2019

Über emanzipatorische Bewegungen in der Radbot*innen- und Slamszene

Die Slamszene kennen wir alle, die Slam Alphas inzwischen sicherlich auch. Aber wusstet ihr, dass es eine internationale Radbot*innen Szene gibt, die bei näherer Betrachtung gar nicht so unähnlich ist? Auch dort hat sich zur selben Zeit, als sich die Slam Alphas gegründet haben, etwas ganz Ähnliches entwickelt: StarBMA. Hier ein Vergleich der beiden Szenen und die Vorstellung der Vereine, die vor allem Frauen und alle nicht cis männlichen Menschen ansprechen wollen.

Bei jedem Wetter? Du hast diesen Text geschrieben? Und davon kann mensch leben?

Die häufigsten Fragen, die mir gestellt werden, wenn ich sage, dass ich als Radbotin arbeite, sind: „Ist das nicht gefährlich?“, „Wie viele Kilometer fährst du täglich?“ Fragen über das Wetter, die Härte dieses Alltags, die Bezahlung, über Frauen im Beruf. Die Antworten sind schon so sehr verinnerlicht, dass ich nicht mehr viel darüber nachdenke.

Diese Forderung nach einer Erklärung des eigenen Tuns, der Berufung, der Leidenschaft und des Commitments zu einer (Sub)kultur – das alles erinnert mich an die neugierigen Fragen gegenüber der Slamszene. Dieser gehöre ich zwar schon länger an als der Radbot*innenszene, aber bei näherer Betrachtung gibt es noch viel mehr Gemeinsamkeiten.

Beide Szenen sind international aktiv, es gibt eine cis-männliche Dominanz und die Wettbewerbe sind Mittel zum Zweck (in der Radbot*innenszene gibt es jährliche nationale und internationale Wettbewerbe, die überall auf der Welt stattfinden und die internationalen Familientreffen gleichen *1). Beide Szenen sehen sich als weltumspannende Familie (Slamily/Messfam) und ziehen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen an, deren kleinster gemeinsamer Nenner Slam oder eben Rad ist, die meisten davon sind vielseitig interessiert und begabt und beide Tätigkeiten müssen nach wie vor erklärt werden, obwohl sie schon lange existieren (Radbot*innen seit den 1970ern in den USA, Slam seit 1986 in den USA und von dort ausgehend in die ganze Welt).

Das für mich Spannende: In beiden Szenen entstand zur gleichen Zeit ein Verein für Frauen und nicht cis-männliche Personen.

Mainracestart CMWC 2018, Riga, © Janis Pipars

 

StarBikeMessengerAssociation (*BMA) und Slam Alphas

Beide Vereine sind vor allem aus der Notwendigkeit heraus entstanden, einen geschützten Raum innerhalb einer Szene zu schaffen, in dem es sich offen reden lässt und ein Austausch stattfinden kann, wo Erfahrungen geteilt werden können, seien sie arbeitstechnischer oder privater Natur. Es geht um Unterstützung und Vernetzung. Jede Person im Verein ist eine Bereicherung, die es in ihrem Tun und ihrer Entfaltung zu unterstützen gilt. Gerade auch im konkurrierenden System, das es in beiden Bereichen trotz großen Communitygefühls gibt, ist es schön, diese Unterstützung zu spüren und zu geben. Ich persönlich musste diese Wertschätzung und gegenseitige Unterstützung erst kennenlernen. Im Rückblick bin ich dafür sehr dankbar.

Top 5 WTF der CMWC 2018, Riga, © Collage Siri Tolander

In der Entwicklung der *BMA führte das unterschiedliche Verständnis von Identität zwischen den USA und Europa zu Diskussionen im Formungsprozess. Diese Diskurse erinnerten mich an meine literaturwissenschaftliche Forschungsarbeit, in der ich die deutschsprachige und die us-amerikanischen Slamszene verglich. Dabei waren die Ähnlichkeiten zwischen den *BMA Treffen und der Fragestellung nach der Identität innerhalb der Slamszene signifikant. Wenn die Treffen in einem nordamerkianischen Kontext stattfanden, war vor allem die Frage prägend: wer angesprochen wird, wer sich angesprochen fühlt, wer sich nicht angesprochen fühlt. Die Treffen im europäischen Kontext waren dazu vergleichsweise homogen. Wobei auch dort die Fragen wichtig waren, wen *BMA repräsentieren soll und wer sich davon repräsentiert fühlt. Das funktioniert natürlich nicht ohne Reibungen und Enttäuschungen sowohl innerhalb des Vereins als auch von Kritiker*innen außerhalb. Das Ziel sollte das Gleiche sein: Wir sind ein elementarer Teil der Szene, der schon zu lange für seine wertschätzende Stellung kämpfen musste. Der kleinste gemeinsame Nenner war bei so vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten nicht leicht zu finden, für *BMA formte sich folgender Slogan: we exist to connect, empower and support anyone who don‘t benefit from cis male privilege in the messenger community.

 

Wahrnehmung und Errungenschaften

Durch die Slam Alphas und *BMA ist es gelungen, einen wichtigen Anteil der Menschen, die es in beiden Szenen gibt, sichtbarer zu machen und wertzuschätzen, wie sie die Szene bereichern. Denn Tätigkeiten sind geschlechtsunabhängig. Mensch kann Rad fahren und Dinge von A nach B bringen. Mensch kann Texte schreiben und sie auf Bühnen vortragen. Unterschiede in der Art und Weise gibt es zwar, die Ausführung ist nicht immer die Ansprechendste und nicht für jede Person gleich, für den einen oder die andere trifft es aber mitten ins Herz.

Bei den Slam Alphas gibt es auf der Homepage zum einen die Landkarte auf der verzeichnet ist, welche Vielfalt an Slammerinnen* es gibt und wie ein Line Up bereichert werden kann und zum anderen diesen Blog, der unterschiedlichste Aspekte der Slamszene aus der Sicht von Frauen* beleuchtet und Hilfestellung bietet.

Bei der *BMA wurde ein Veranstaltungsleitfaden entworfen, der von allen Veranstalter*innen angewendet werden kann und der darauf aufmerksam macht, was wichtig ist und warum. Zum Beispiel gleiche Preise für alle Gewinner*innen nach einem Rennen. Bislang gab es zwei Kategorien (M/F); früher bekam der männliche Gewinner beispielsweise einen Fahrradrahmen, die Frauen/LGBTIQ* Menschen einen Jutebeutel oder oft auch gar nichts. Die strikte Unterteilung in männliche und weibliche Kategorien wird zum Glück nun aber immer mehr aufgelöst. So kann sich inzwischen jemensch entscheiden, in der Kategorie open oder wtf zu fahren und wird nicht automatisch einem Geschlecht zugeordnet.

 

Visionen

Wir sind noch nicht am Ziel. Es braucht noch viele wertschätzende Gespräche innerhalb der Szene, die einladend und nicht ausschließend sein müssen, damit eine sensibilisierte Wahrnehmung und eine noch größere Selbstverständlichkeit dafür entsteht, dass wir Teil dieser Szenen sind. Dass wir uns nicht rechtfertigen müssen, warum wir tun, was wir tun. Dass wir nicht die Begleitung von XY, sondern selbst die Person im Rampenlicht sind. Dass wir es wert sind, das goldene Rad zu bekommen und das goldene Mic zu droppen.

Zum Schluss möchte ich euch einen Gedanken weitergeben, den Sookee in ihrem Track vorläufiger Abschiedsbrief nicht treffender hätte formulieren können:

Wann hat ein Mann je gezweifelt, ob es ihm zusteht, zu rappen?

PS: Ein Video von der diesjährigen Radbot*innenweltmeisterschaft in Riga. Etwas kitschig, aber die Atmosphäre einfangend.

 

*1: Weltmeisterschaften: CMWC (CycleMessengerWorldChampionship) seit 1993, bspw. 2017 in Montreal, 2018 in Riga, 2019 in Jakarta. Europameisterschaften: ECMC (EuropeanCycleMessengerChampionship) seit 1996, bspw. 2017 in Wien, 2018 in Stettin/Szczecin, 2019 in Brüssel.