4. März 2019

I am, what I am. And what I am needs no excuses. Von Erwartungshaltungen und Rollenzwängen auf der Bühne.

Sei einfach du selbst. Naja, wer sollte ich denn sonst sein? Ich bin Ich – das ist eine Tatsache und wird wohl das gesamte Leben lang eine bleiben. Es sei denn, Merlin steht eines Tages auf der Fußmatte meiner Wohnungstür und verwandelt mich in einen Frosch. Bis dahin bin ich aber vorerst einmal Ich, so wie alle anderen auch sie selbst sind. Das klingt so einfach. Trotzdem scheint gerade die Frage nach dem Selbstbild ständig zur Komplexität zu werden, vor allem auf Bühnen. Hier gilt: Der Vergleich mit anderen ist die giftige Zutat für den Zaubertrank der Verwirrung. Und diesen flößen uns nicht etwa Merlin oder die böse Hexe ein, sondern wir uns selbst.

Wir vergleichen – und weichen unserem Selbst

Es ist doch so, dass wir uns den lieben langen Tag mit anderen Menschen vergleichen. Kein Wunder, es gibt so viele von uns. So viele, deren Beine länger sind als unsere, deren Job besser bezahlt ist, die mehr Kinder haben, glücklicher, hübscher, erfolgreicher sind. Wir vergleichen die absurdesten Dinge miteinander und verlieren uns dabei in einer Spirale des unendlichen Mehr-Sein-Wollens. „Sei besser!“, „Schreib endlich kreativere Texte!“, „Sei einmal in deinem Leben lustig, ohne billige Wortspiele zu Hilfe zu nehmen!“ Ehe wir uns versehen, verkrampfen wir uns durch einen inneren Aufstand gegen uns selbst. Das passiert nicht nur im Alltag, sondern erst recht, wenn wir als Künstler*innen vor ein Publikum treten. Wir verbiegen uns, um eine Version von uns zu werden, die es nicht gibt, mit Charaktereigenschaften, die nicht unsere sind und das alles nur, weil wir den menschlichen Drang, alles verbessern und optimieren zu wollen, nicht ruhen lassen können. 
Wer hingegen authentisch bleibt, hat es nicht nur im Leben, sondern auch auf der Bühne leichter. Wenn sich Künstler*innen für Publikum zu sehr verbiegen, fällt das in 9 von 10 Fällen negativ auf. Das einzige Verbiegen, das während eines Auftritts stattfinden sollte, ist das Verbiegen vor Lachen in den Publikumsrängen. Alles andere stresst eigentlich einfach nur.

 

Was, wenn ich aber komisch bin?!

Tu der Welt einen Gefallen und versuch, einfach du selbst zu sein. Es wird immer irgendjemand irgendetwas über dich denken, das nicht stimmt. Diese Tatsache kann einerseits beunruhigend, andererseits aber auch befreiend sein. Ich finde mich immer in Phasen meines Lebens wieder, in denen ich unglaublich viel darauf gebe, was andere Menschen von mir denken. Das bringt einen total unruhigen und unsicheren Vibe in mir hervor, der eigentlich nicht zu mir gehört. Vor ein paar Jahren bin ich mir damit so auf die Nerven gegangen, dass ich beschlossen habe, mich bewusst einer Menschenmasse auszusetzen, die sich ein Bild von mir macht und dieses Bild dann auch noch bewertet. Mit einer Papptafel und Zahlen zwischen Eins und Zehn. Ich habe mich auf eine Bühne gestellt und meinen ersten Poetry Slam Text vorgetragen. Und ich habe mich gehasst dafür. Zumindest währenddessen. Bühnen sind knallhart. Sie ziehen dich aus. Auf einer Slam-Bühne öffnen wir uns einem meist fremden Publikum, das uns und unsere Leistung bewertet. Es braucht schon starken Charakter, um da standhaft und authentisch zu bleiben, habe ich mir gedacht. Blödsinn – es braucht nur die Erlaubnis, die du dir selbst geben musst; die Erlaubnis, dir genug wert zu sein, dich so zu feiern wie du bist und auch andere dich dafür feiern zu lassen.

 

Durch Imitation ist noch keiner berühmt geworden. (Samuel Johnson)

Ich bin mir sicher, dass jede*r Slammer*in sich schon einmal gefragt hat, wen oder was er oder sie dort auf der Bühne überhaupt verkörpert. Sobald wir dann aber versuchen, krampfhaft irgendjemand anders sein zu wollen, schlagen wir einen Weg ein, der mit Verwirrung und Frustration gepflastert ist. Zu sehr versuchen jemand anders zu sein, anstatt mit sich selbst in Kontakt zu bleiben, geht nie gut aus. Warum tun wir es trotzdem? Meistens aus dem simplen Grund, von möglichst vielen Menschen gemocht und akzeptiert zu werden. Aus Angst vor Ablehnung analysieren wir, was das Publikum von uns erwartet, um es ihnen dann zu geben. Ich habe mich schon mehr als einmal mit Gedanken erwischt wie: „Hübsche, gestylte Frauen auf Slam-Bühnen findet das Publikum nervig und eingebildet. Ich zieh mir lieber die alte Jeans und das hochgeschlossene T-Shirt an, sonst denken die noch, ich nehme den Auftritt viel zu ernst.“ – obwohl ich mich im neuen, lässigen Kleid eigentlich viel wohler gefühlt hätte. Wie traurig ist das denn?! Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass alles gut ist, solange der Spaß und die Freude bei einer Sache im Vordergrund stehen. Darauf möchte und will ich meinen Fokus legen. Denn wer sich freut, strahlt von Innen. Da ist die Kleidung dann sekundär.

 

Liebe dich selbst

Dann werden es auch andere tun. Und ganz ehrlich: Falls nicht, dann liebst du dich selbst einfach so sehr, dass es dir egal sein wird. Nichts fühlt sich grauenhafter an, als das Gefühl nach einem Auftritt, währenddessen du nicht du selbst warst, während eines Gesprächs, bei dem du die ganze Zeit neben dir standst, and so on.
Nichts ist entspannender, als einfach zu sein. Sein zu können. Zu existieren. Als Mensch, als einzigartiges, einmaliges Exemplar. Und das auch zu feiern.

 

Praktische Tipps zum Ein-Mal-Eins des Ich-Bin-Ichs:

  • Leg dir eine Playlist zu, deren Songs dein Gespür für dich selbst unterstützen – oder einfach nur pure Freude auslösen
  • Schreibe Texte für dich und zwar so, als ob du sie nie performen wollen würdest – du wirst sehen, zu wie viel mehr du fähig bist, wenn du nicht daran denkst, was gut ankommen könnte
  • Setze dich morgens oder abends hin und schreibe deine Gedanken auf, ohne zu überlegen – dadurch wirst du viel über dich selbst lernen
  • Mach dir vor Auftritten bewusst, für wen du das machst; schließlich nämlich für dich selbst und für deine Erfahrungen

Sei du selbst – und habe Spaß daran!