Selbst schuld! Wirklich?
Also sprach Sartre: „Halb Opfer, halb Mitschuldige, wie wir alle.“
Beschäftigt man sich mit dem Begriff der Schuld, stösst man bereits in der ersten Bedeutungsübersicht des Dudens auf ihren Partner in crime: die Verantwortung. Schuld eingestehen, heisst Verantwortung übernehmen. Klingt erwachsen. Klingt nach all den Banker*innen die 2008… ups falsches Beispiel.
Aber weiter im Text – noch werden nicht alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Das Reflektieren über diesen Status Quo und dessen Überwindung nenne ich Feminismus. Kurze Warnung vorab: Trotz dieser breit gefassten Definition, gestaltet sich meine Themensetzung hier sehr subjektiv, was wohl Erbe meiner diversen Privilegien ist. Man möge es mir verzeihen.
Ich gebar, also bin ich.
Frauen* gebären Kinder. Diesen Fakt findet nicht nur die Wirtschaft umständlich, auch ich selbst möchte keine Kinder. Oft muss Frau* das erklären. Was mich stets wundert, denn bei den meisten Menschen, welchen ich den ganzen Tag so begegne, denke ich jetzt nicht gerade „please reproduce, you’re awesome!“ Kinder zu produzieren ist selbstbewusst. Ein grosses, fettes, wortwörtlich laut schreiendes Ja zum eigenen Genmaterial. Und doch fragte ich mich letztens: Was, wenn ich so ein Zellbündel hochzüchten müsste? Was, wenn es weiblich wäre? Würde ich Unterschiede machen? Sollte ich? Was würde ich ihr mitgeben wollen?
Das Resultat dieser feministisch angehauchten Reflexion sprach nicht gerade für mich, denn unterm Strich kam ich bloss auf: „Don’t become me!
Denn in Wahrheit bin ich vieles, aber ganz bestimmt keine stolze, starke Feminist*in. Zumindest auf der Handlungsebene. Schliesslich schlief ich bereits mit hoffnungslos untalentierten, weil nicht zuhörenden Männern, bloss weil ich ein Zurückrudern ab einer bestimmten Stelle als äusserst „unhöflich“ empfunden hätte. Ich bat auch noch nie ungefragt um eine Gehaltserhöhung, spreche oft von „den Ärzten“ und meine unrasierten Achselhöhlen sind kein Statement, sondern einzig Zeichen meines momentanen Rekordtiefs an Selbstachtung. Allein dieser Satz schreit so einiges, einzig nicht Feminist*in.
C’est le ton qui fait la musique.
Fest steht, die Autorin dieses Textes trägt Schuld. Schuld daran, dass die Gleichberechtigung aller Geschlechter noch immer Zukunftsmusik in den Ohren unbeirrbarer Idealisten ist. Es ist jedoch keine alleinige, absolute und von Strukturen unabhängige, mir von Geburt an inhärente Art der Schuld. Kriegen wir doch oft gerade für angepasstes Verhalten subtil Bestätigung. In der Schule. Auf der Arbeit. Ich lernte, niemandem Ärger bereiten zu wollen. Möchte als gute, gleich unbewusst folgsame, effiziente Mitarbeiterin* gelten. Will unkompliziert wirken. Da passt konstruktive Kritik an eingesessenen Machtgefügen dann plötzlich nicht mehr ins Konzept. Dieses Verhaltensmuster durchbrechen muss allerdings ich selbst. Da kann ich noch so lange anprangern, dass wir als Gesellschaft bereits fast komplett akzeptiert haben, dass man sich als zukünftige Chefärztin oder CEO den eigenen Uterus genauso gut gleich mit Sekundenleim zu kleben kann – das ändert an der aktuellen Lage schlichtweg nichts. Intelligenter wäre, man würde sich in der Kommunalpolitik für mehr Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt engagieren oder dem firmeneigenen Mitarbeiterrat beitreten und bessere Kinderbetreuungsangebote fordern. Dies ist dann jedoch wiederum vielen (auch mir) zu anstrengend. Und nein das war gerade KEIN Victim Blaming. Sexuelle Gewalt widerfährt einem, überfährt einen, macht Mensch sprachlos. Dass Täter meinen davonzukommen, wenn Sie sagen: „Öh, äh, was kann ich denn bitte dafür, dass XY Kleider getragen hat?“, ist schlicht lächerlich und einfach zum Kotzen. Grenzüberschreitungen werden noch viel zu häufig mit einem einzigen, flapsigen „Och-hätt-sie/er/es-mal-nicht…“ gerechtfertigt, verharmlost und zur Bagatelle heruntergespielt. Punkt. Doch darum geht’s mir hier nicht. Mir geht es darum, Verantwortung für mein eigenes Handeln zu übernehmen. Denn erst wo dies geschieht, ist Veränderung möglich. And boooy we need to change!
Insbesondere den Ton, mit welchem wir aktuell in den Wald rufen. Ich finde, wir müssen weg von dieser „Mob-Mentalität“, denn sie verwischt wichtige Nuancen, verhärtet bereits bestehende Ressentiments und verunmöglicht so den dringend nötigen sachlichen Diskurs über Rollenbilder, Macht und Sexualität. Sollte es denn theoretisch nicht prinzipiell darum gehen, Frauen* und Männer* gleichermassen zu empowern, sexuelle Übergriffe sofort den zuständigen Behörden zu melden? Richten sollte danach die bestenfalls unvoreingenommene Judikative und nicht fucking Facebook, Boulevardblätter oder die Kirche! Verurteilte Straftäter*innen im Endeffekt als solche zu benennen und ihnen Plattformen zu entziehen, darf dann gerne Teil entsprechender Sanktionen sein. Solange dabei zeitgleich auch der Art. 190 des StGB umgeschrieben wird. Denn das reine geschlechtsneutrale Formulieren dieses Artikels, würde ihm nichts an Präzision nehmen, es würde ihn spezifizieren!
„Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut!“ Karl Valentin
Das Lesen des nun folgenden Abschnittes könnte, ähnlich wie das Hören mittelmässiger TED-Talks, bedeutungsejakulative Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen.
Mein Verhalten (mit Blick auf meinen imaginären Fötus) noch präziser analysierend, fiel mir plötzlich auf, wie vieles davon seinen Ursprung im Wunsch nach Anerkennung hat. Ich möchte gefallen. Anderen. Nicht mir. Mich degoutiere ich eher. Und hier liegt die Slammer*in begraben. Denn wer damit beschäftigt ist, Erwartungshaltungen zu erfüllen wird nie Format haben, geschweige denn Zeit, das Patriarchat zu stürzen. (Und wieder: Nein, ich will es nicht durch ein Matriarchat ersetzten, ich bin schlicht für einen Chat auf Augenhöhe).
Ähnliche Tendenzen zeigte ich in meiner Anfangszeit im Poetry Slam. Kaum zwanzig Auftritte hinter mich gebracht, hörte ich damit bereits wieder auf und pausierte 4.5 Jahre lang. Schuld daran war meiner Meinung nach nicht die Szene; die gibt einem wohlwollend Plattform, selbst wenn man kolossal abkackt. Nein. Als Ursache identifiziere ich heute, nebst meiner andauernden „Performance-Untauglichkeit“, eher diese fiese, miese kleine Kopie meiner selbst, die es sich auf meinem Ohramboss thronend regelmässig zur Aufgabe macht, mich selbst zu zerfleddern. Das, zusammen mit dem Fakt, dass ich die Noten viel zu ernst genommen habe. Dadurch verlernte ich, unbequem zu sein. Ich verlernte, danach zu suchen wie ich eigentlich klinge und das ist nicht nur schade, sondern ähnlich dumm wie die Tatsache, dass wir das Wort Sex umgangssprachlich nach wie vor mit dem Akt der Penetration gleichsetzen, aber alles was unseren Klitorides potenziell besser gefallen könnte, zum Vorspiel degradieren.
Nun denn. Dass Sprache wichtig ist, wissen wir schon länger. Dass wir Stimme brauchen, um für uns einzustehen auch. Neu war mir, dass man sich diese nur selbst nehmen kann. Ob, wie und unter welchen machtstrukturellen Voraussetzungen sie schlussendlich gehört wird, ist wiederum Teil einer anderen Diskussion.
Weiterführende Links zum Thema:
https://www.skppsc.ch/de/themen/sexuelle-uebergriffe/sexuelle-uebergriffe-missbrauch/
http://www.respekt.unibe.ch/was_ist_sexuelle_belaestigung/das_sagt_das_gesetz/index_ger.html