3. Juni 2019

Lass mich dir was über meine Körperbehaarung erzählen.

Für viele Frauen* ist die sommerliche Jahreszeit mit viel Arbeit verbunden. Arbeit am eigenen Körper. Gewicht reduzieren, Teint perfektionieren, Achsel, Bein und Schritt glattrasieren. Alles, damit Frau* dem Werbeplakat, der Influencerin, der Kylie Jenner entspricht. Unter keinen Umständen sind Aussehen oder Körper einer Frau* gut so wie sie sind. Es gibt immer was zu tun. Aber was geschieht, wenn man diese Arbeit niederlegt?

Die Ausweisung des Einwegrasierers

Seit bald zwei Jahren habe ich meine Beine nicht mehr rasiert. Seit gut einem halben Jahr auch die Achseln nicht. Mein persönlicher Anstoß dafür lässt sich in Emer O’Toole’s „Girls Will Be Girls“ finden. (Ein fantastisches Buch, für alle und jede*n.)

Neben einleuchtenden Theorien und Beobachtungen zum Konstrukt ‚Geschlecht‘ und zum binären Rollenspiel, das jenes mit sich bringt, legt O’Toole in ihrem Werk auch Zeugnis davon ab, was sie in den Jahren, in denen sie ihre Körperhaare wachsen ließ, erlebt hatte und von ihnen mitnahm.

Fasziniert und gefesselt von den Gedanken und Erfahrungen der irischen Autorin, beschloss ich, meinen Rasierer ebenfalls komplett aus dem Badezimmer zu verbannen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich „lediglich“ mit dem Rasieren meiner Beine aufgehört und höllische Paranoia vor diesem Selbstexperiment. Deshalb behielt ich sämtliche Rasierer selbstverständlich auf – nur für den Notfall.

Mit den ersten sichtbaren Stoppeln begann also der Prozess. Das aktive Nicht-rasieren. Bei der Wortwahl dürft ihr mir glauben – es handelt sich tatsächlich um einen intensiven Prozess:
Seit ich 12 war, hatte man mich nur mehr mit glatt rasierten Beinen angetroffen und niemand hat das jemals in Frage gestellt. Es wurde zu einer Selbstverständlichkeit. So kam es, dass sich meine langsam aber sicher gedeihenden Beinhaare anfühlten, wie ein in grellen Farben blinkendes Neonschild, das ich um meinen Hals trug und auf dem sowas wie „MIT MIR STIMMT WAS NICHT“ zu lesen war.

Mit dem allgegenwärtigen Unwohlsein und der Unsicherheit kam das Bedürfnis, meine Absichten mit diesem „Experiment“ zu erklären, ja zu rechtfertigen. In gewisser Weise fühlte es sich an, als würde meine unkonforme Beinbehaarung andere belästigen, sie nahezu beleidigen.

So ging kein Tag in kurzen Hosen vorüber, ohne dass mir eine Art Entschuldigung über die Lippen kam. Auch, oder vielleicht vor allem, wenn niemand danach gefragt hatte. Jeder Blick, egal ob lediglich schweifend oder durchbohrend, schien mir auf der Haut zu brennen.

Dieser selbstauferlegte Erklärungsbedarf begleitete mich für eine wahnsinnig lange Zeit, wurde letztendlich jedoch durch eine kuriose Mischung aus Trotz, Stolz und Unsicherheit ersetzt.

Immer wieder überwand ich Grenzen, die ich dachte zu besitzen:

Ging mit kurzer Hose aus dem Haus. Zunächst befremdlich – aber geschafft.
Entschied mich dazu, anstatt meiner kaschierenden Anzughose ein knielanges Kleid zu meiner Maturafeier zu tragen. Überraschend schwer aber dennoch… machbar.

Der Thermenausflug. Geprägt von Paranoia, über die ich im Nachhinein herzhaft lachen kann.

Jede dieser Empfindungen, bei der ich meine Komfortzone weiter ausdehnen musste, brachte denselben wiederkehrenden Gedanken mit sich: So. Aber jetzt fühl ich mich wohl in meiner Haut. Jetzt bin ich angekommen.

Während das zwar eine äußerst bestärkende Selbstwahrnehmung ist, täuschte diese mir jedoch gleichzeitig vor, mein “Selbstexperiment” sei damit vorüber. Wie anfangs erwähnt, befand – und befinde ich mich nach wie vor – inmitten eines langen Prozesses. Und noch weiß ich nicht, was – oder wer – an dessen Ende steht.
Ich suche nach wie vor noch nach Wegen, meine eigene Weiblichkeit zu finden. (Caroline Kraft hat dazu in der Zeit* etwas Sagenhaftes verfasst.) Denn mit jener, die mir bisher angeordnet wurde, kann und will ich nicht.
Es gilt, allerhand Dinge, die man unter anderem äußerlich an sich verändert, zu hinterfragen. Es geht darum zu differenzieren, was man tatsächlich für sich selbst tut, was ein von außen auferlegter Zwang ist und – am Schwierigsten zu erkennen – wobei es sich um einen internalisierten Druck oder eine internalisierte Erwartungshaltung handelt.
Wir haben das Recht und die Pflicht gesellschaftliche Erwartungen zu hinterfragen, zu kritisieren und letzten Endes Wege zu finden, wie wir tatsächlich jene Frauen* sein können, die wir sein wollen.

Representation is everything

Weibliche Körper – ob eigen oder fremd – als unrein, ekelerregend und permanent verbesserungswürdig (!) zu denunzieren, wird uns allen schon seit Jahrhunderten anerzogen. Sich aktiv dagegen zu stellen, kann demzufolge nicht innerhalb weniger Wochen oder anhand einiger einschneidender Erlebnisse geschehen.

Jedes Medium, mit dem man sich auseinandersetzt, repräsentiert ein- und dasselbe weibliche äußerliche Erscheinungsbild, das durch Idealisierung längst zur gesellschaftlich anerkannten Norm herangewachsen ist.

Diese absolut einseitige Charakterisierung femininen Aussehens lässt wenig Platz für Nuancen, für Abweichungen, für uns.

Diesen gestohlenen Platz in Medien, in der Öffentlichkeit und im Schlafzimmer müssen wir uns zurückholen, unsere Körper in ihrer Vielfalt entmarginalisieren.
Das Konstrukt Weiblichkeit, insbesondere im Zusammenhang mit Natürlichkeit, ist sehr engstirnig und toxisch geprägt. Es ist an der Zeit, diese “Gegebenheiten” herauszufordern. Während das auch bedeutet, das gesamtgesellschaftliche Verständnis dieser Begriffe auszuweiten, beginnt es mit der eigenen Wahrnehmung von Feminität: Was sie uns bedeutet und woraus wir sie beziehen.

So schwierig dieser Schritt aus der eigenen, patriarchal bedingten Komfortzone auch sein mag, mit den Körperhaaren wachsen auch Selbstvertrauen, Persönlichkeit und das Bewusstsein für Selbstbestimmung.