9. September 2019

This is for the Sisters*

Etwas, das an Feminismus und an Frauen*verbünden immer wieder kritisiert wird, ist der Mangel an gelebter Solidarität. Der Vorwurf ist so alt wie oft gehört: Die coolen Girls* pushen sich nur gegenseitig und alle anderen bleiben auf der Strecke. Wahrer Gemeinschaftssinn? Fehlanzeige. Aber warum sollten wir uns eigentlich solidarisieren? Wie können wir Solidarität unter Frauen* schaffen und was soll das mit dieser Solidarität eigentlich heißen?

Was heißt hier bitte Solidarität?

Solidarität bedeutet für mich Zusammenhalt, Zusammengehörigkeit, Eintreten füreinander und praktische sowie ideelle Unterstützung.

Warum sollten wir uns solidarisieren?

Wir sind stärker, wenn wir uns gegenseitig beistehen.
Ich denke, wir waren alle oft genug die einzige Frau* im Line-Up oder diejenige, die im Backstage vor lauter männlichem Ego-Schwanzvergleich lieber nichts gesagt hat und deswegen nicht beachtet wurde. Jede von uns hatte schon mal die Sorge, dass der eigene Text unter «Mädchenlyrik» aufgefasst wird.
Das Patriachat und die sexistischen Strukturen in der Gesellschaft und innerhalb der Szene aufzubrechen, ist anstrengend und zermürbend genug. Mit Schwestern* und verbündeten Kolleginnen* wird es nicht nur leichter, sondern auch effektiver.
Sisterhood und Frauen*solidarität bedeutet für mich also nicht, sich gegenseitig lieben zu müssen, es setzt nicht voraus, super dicke mit allen zu sein und es führt auch nicht automatisch dazu, sich gut zu verstehen (auch wenn es dabei helfen kann).
Solidarität zeigt sich für mich dadurch, dass ich andere Frauen* unterstütze und dass ich mich für andere Frauen* einsetze, wenn (und optimaler Weise bevor) diese Opfer von sexistischen Strukturen werden. Dieser Einsatz füreinander ist auch (und gerade) dann zentral, wenn ich die betroffene Frau* nicht leiden kann, wenn wir unterschiedliche Auffassungen von verschiedenen Themen haben oder wenn wir keine Freundinnen* sind.
Gelebte Solidarität bedeutet für mich nicht, dass wir uns gegenseitig nicht kritisieren dürfen – im Gegenteil. Sexistisches Verhalten ist nicht nur bei Kollegen* zu finden und sollte prinzipiell, unabhängig von Freundschaft oder Geschlecht, angesprochen werden.

Solidarität leben – aber wie?

Die Idee von Solidarität klingt zuerst einfach, wird aber meist schwierig, wenn sie in Aktionen gekleidet werden soll.
Ich versuche mich z.B. dadurch solidarisch zu zeigen, indem ich Frauen* weiterempfehle, weil ich sie für gute Künstlerinnen* halte – auch wenn sie nicht mit mir befreundet sind. Sowieso empfehle ich grundsätzlich fast ausschließlich Frauen*, außer ich werde konkret nach der Empfehlung einer männlichen oder nichtbinären/genderqueeren Person gefragt. Ein weiterer Punkt, der mir sehr wichtig ist, ist Menschen zu sagen: „Ich möchte nicht, dass du so über diese Slammerin* sprichst. Über männliche Kollegen würde so nie gesprochen werden.“ Und das, auch wenn ich die betroffene Person selbst nicht ausstehen kann.
Ich denke, wir wissen alle, wie verletzend Worte hinter dem Rücken und Getratsche im Allgemeinen sein können. Ich möchte nicht, dass genau dieses Gerede größer wird als es eh schon ist und wenn ich in solchen Fällen anderen Frauen* beistehen kann, dann tue ich das.
Ich versuche in jedem der von mir gebuchten Line-Ups mindestens 50% Frauen* zu buchen und Aufträge, die ich weiterleite, eher an Frauen* als an männliche Kollegen zu vergeben, da diese meist
sowieso schon mehr Unterstützung erfahren.
Ein weiterer, wenn auch in der Umsetzung heikler Versuch, sich für Frauen*solidarität einzusetzen, ist Veranstaltende darauf anzusprechen, warum keine oder nur eine Frau im Line-Up ist, gerade wenn sich in dem Punkt eine Regelmäßigkeit abzeichnet.
Der Hinweis auf ein Ungleichgewicht im Line-Up ist heikel, weil viele Veranstaltende sensibel darauf reagieren und man selbst, gerade wenn man oft als «Quotenfrau» gebucht wird, davon profitiert, die einzige gebuchte Frau* zu sein und in Gefahr läuft nicht mehr eingeladen zu werden. Trotzdem ist es ein Zustand, den ich für unhaltbar erachte und deshalb gerne versuche, aktiv und respektvoll zu ändern, z.B. durch Empfehlungen von Frauen* an besagte Veranstaltende.
Proaktiv andere Frauen* zu unterstützen, geht aber auch mit weniger Konfliktrisiko: In dem man nämlich die Veranstaltungen, Soloprogramme oder Lesungen anderer Slammerinnen* und Veranstalterinnen* besucht, Posts von Kolleginnen* teilt und auf die kreative und/oder politische Arbeit von Kolleginnen* aufmerksam macht oder das neue Buch der Kollegin* kauft – und so weiter und so fort.

Vom Vorwurf der Stutenbissigkeit oder dem Bienenkönigin-Phänomen

Wie oft ich, seit ich Slam mache, vor einigen erfolgreichen, starken Frauen* der Szene gewarnt wurde, kann ich nicht mal mehr an zwei Händen abzählen. Die Warnungen reichten von «falsch», «illoyal», «gehen mit anderen Frauen* schlecht um», «sind im Backstage nur arrogant» bis hin zu «die mag eh niemanden in der Szene außer den coolen Boys». Und ganz ehrlich: Was für ein Bullshit.
Mit den meisten der Frauen*, vor denen ich gewarnt wurde, habe ich ein hervorragendes Verhältnis, einige sind Freundinnen geworden und alle schätze ich für ihre Arbeit auf und hinter Bühnen, sie inspirieren mich, dienen als Vorbilder und von ihrer Arbeit in der Szene, die es als aktive Frau* benötigt, um mit sexistischen Strukturen umzugehen und diese aufzubrechen, profitieren alle Slammerinnen*.
Geringschätzung von Frauen* und ihrer Arbeit ist etwas, dass durch patriarchale Muster das gesellschaftliche Verhalten geprägt hat und sich deshalb natürlich auch bei uns Frauen* niederschlägt. Das bedeutet, dass Frauen*, die dasselbe Auftreten wie ihre männlichen Kollegen an den Tag legen, dafür anders bewertet werden. Ein Beispiel: Ein Tourpoet, der im Backstage am Handy hängt und wenig mit den anderen Auftretenden interagiert oder schroff ist, wird vielleicht als arrogant wahrgenommen, eine Frau* die dasselbe tut, ist bitchy und es wird ihr zum Vorwurf gemacht.
Schuld an diesem Phänomen ist auch der Konkurrenzdruck unter Frauen*. Wenn eh nur Platz für eine oder zwei Frauen* im Line-Up ist, dann wird eine weitere Frau*, die am Schluss noch jünger, hübscher oder erfolgreicher ist, oft als Gefahr für den eigenen Platz gesehen.
Grundsätzlich gilt für mich aber: Eine weitere Frau* im Line-Up ist nicht meine Konkurrenz, sondern eine Bereicherung und die einzige Frau* im Line-Up zu sein, ist grundsätzlich shitty – sowohl für die Stimmung als auch für die Außenwirkung aufs Publikum.
Eine weitere Frau*, die ähnliche Texte macht oder Themen bedient wie ich, erzeugt keine Drucksituation, sondern ist eine Person mehr, die dieses bescheuerte «aber es gibt einfach nicht genug gute Frauen*, die Slam machen» Argument aushebelt und mit der ich mich solidarisieren kann.

Uns gegenseitig zu fördern, uns gegenseitig für unsere Erfolge zu feiern, uns gegenseitig respektvoll zu kritisieren und nach außen hin zu verteidigen, macht für mich Frauen*solidarität von einer vermeintlichen Worthülse zu gelebtem Verhalten. Ganz ehrlich, wie geil wäre es denn, wenn wir (zumindest innerhalb der Slam-Szene) alle zusammen solidarisch und respektvoll dieses bescheuerte Patriachat zerschlagen würden?