Wie ich mit Poetry Slam angefangen habe und wie es mich verändert hat
Meinen ersten Slam-Auftritt hatte ich im April 2018 in Marburg. Zu diesem Zeitpunkt war mir weder bewusst, was Poetry Slam genau ist, noch wie es mich im Laufe des nächsten Jahres verändern würde.
Schreiben war nie mein Ding.
Ich habe eine Leserechtschreibschwäche, noch nie Interesse an Büchern gehabt und der Deutschunterricht, damals in der Schule, war mein persönlicher Albtraum. In der Zwölften Klasse lag mein Fehlerindex bei 3 oder 4 und ich wurde versehentlich in den Wahlpflichtunterricht “Kreatives Schreiben“ eingewählt.
Na toll.
Ein halbes Jahr lang habe ich es geschafft, mich vor dem Kurs zu drücken und nicht einmal am Freitagabend zu gegebener Zeit in der Schule zu sitzen. Ich hatte Kopfschmerzen, Schwindelgefühle, Durchfall oder Bauchschmerzen. Ganz gelogen war das nicht. Bauchschmerzen hatte ich wirklich jedes Mal, wenn wieder Freitag war und ich wusste, später ist Kreatives Schreiben. Ich hatte Angst, mich unter lauter Poesieprofis und Kurzgeschichten-Schreiber*innen zu blamieren.
Weil ich aber eine gute Abi-Note wollte, musste ich den Unterricht im zweiten Halbjahr wohl oder übel besuchen. Da passierte etwas Unvorhergesehenes: Im Unterricht habe ich gemerkt, dass ich doch gerne schreibe, die Wörter sind aus meiner Seele aufs Blatt gewandert und ab da war ich Freitagabends sogar gerne in der Schule.
Nach dem Abschluss der 12. Klasse hat mich meine damalige beste Freundin zu einem Poetry Slam eingeladen. Eigentlich hatte ich gar keine Lust hinzugehen, aber ihr zuliebe bin ich mit.
Nachdem ich Lars Ruppel und Bo Wimmer auf der Bühne gesehen hatte, war es allerdings um mich geschehen und ich war von nun an jeden Monat als Zuschauerin beim Poetry Slam in Marburg mit dabei.
Privat geschah in der Zwischenzeit viel bei mir: Meine Eltern trennten sich, ich kämpfte mit einer wieder aufkeimenden Bulimie und fühlte mich so zerbrechlich wie eine Seifenblase. In dieser Zeit habe ich angefangen, mir meinen Schmerz und meine Wut von der Seele zu schreiben. Erst nur für mich, dann habe ich damit begonnen, meinen Freunden die Texte vorzutragen. Sie waren begeistert und meinten, ich solle damit unbedingt mal auftreten. Ganz nach dem Motto “wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, schrieb ich Lars Ruppel und fragte, ob ich beim nächsten Poetry Slam mal auftreten könnte – und schon stand ich zum ersten Mal auf einer Bühne. So schnell ging das. Mehr musste ich nicht machen.
Vor meinem ersten Auftritt habe ich meinen Text bestimmt 3-4 mal am Tag über zwei Wochen gelesen und geübt. Als es dann so weit war, hat es trotzdem nicht ganz so hingehauen, wie geplant. Ich bin zwar weitergekommen und durfte im Finale stehen, wenn ich allerdings heute daran zurückdenke, würde ich alles ganz anders machen.
Lars fragte mich nach dem Auftritt, ob ich für Marburg bei den U20 Hessenmeisterschaften antreten wolle. Ich ging davon aus, dass ich da etwas in der Pause lesen sollte und sagte zu. Doch natürlich wurde ich für den Wettbewerb angemeldet – und so kam es, dass mein erst dritter Auftritt an den Hessischen Meisterschaften stattfand.
Nach den Hessenmeisterschaften konnte ich in der Hessischen Poetry-Slam-Szene gut Fuß fassen. Ich tourte viel. Anfangs nur in Hessen, irgendwann aber auch in anderen Bundesländern und in Österreich. Mittlerweile komme ich auf über 140 Slam Auftritte und feiere dieses Jahr mein 1-Jähriges Slam Jubiläum (süß).
Neue Einsichten durch Poetry Slam
Ich war früher sehr engstirnig und in meiner Meinungsbildung ziemlich stur. Doch der Kontakt mit anderen Poeten und der rege Meinungsaustausch veränderte meine Art, zu denken: Ich habe gelernt, dass Wut mich nicht weiterbringt und ich nach vorne schauen muss. Aber auch, dass ich mich mehr in die Lage anderer hineinversetzen muss, wenn ich manche Dinge nachvollziehen will. Man kann sagen, das Poetry Slam mich in vielen Hinsichten zum Positiven verändert hat.
Ich habe mich selber beim Texte schreiben besser kennengelernt und kann Situationen, in denen ich gesteckt habe oder stecke, besser reflektieren und verarbeiten.
Wut und Trauer sind nichts Schlechtes und man muss die eigenen Gefühle nicht verbergen.
Vor allem aber habe ich gelernt, dass es manchmal einfach unnötig ist, sich über bestimmte Sachen aufzuregen. Es tat mir gut, so viele neue, tolle Menschen kennenzulernen und das Touren verhalf mir zu wesentlich mehr Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein. Auch wenn nicht jede Tour toll war und ich danach manchmal wirklich fertig war, bereue ich nichts. Wie sagt man so schön? Aus Fehlern lernt man!
Ja, so ist es wirklich. Hätte ich manche Sachen nicht gemacht, manche Texte nicht ausgesprochen und manche Niederlagen nicht erlebt, wäre ich heute nicht da, wo ich jetzt bin. Mittlerweile habe ich viele Freund*innen in der Slam-Szene gefunden und fühle mich nicht mehr einsam, wenn ich in einem Backstage sitze und auf meinen Auftritt warte.
Im Juni 2019 durfte ich erneut am Hessen-Slam teilnehmen. Im August startete der Poetry Slam Poesiereich in Homberg Ohm, den Pauline Phuze und ich gemeinsam organisiert und aufgebaut haben. Ich darf Workshops an Schulen geben, wo ich mit Kindern zum Beispiel an Ausdruck und Auftreten bei Präsentationen arbeite und fühle mich mittlerweile sehr wohl mit mir selber und meinem Umfeld. Ich bin froh, dass ich das alles erleben darf und bin neugierig, wo mich mein Weg noch hinführen wird.