18. November 2019

Alkohol und Slam – Untrennbar?

Die Slam-Szene in Graz wird oft dargestellt als bestehe sie nur aus Alkohol, Kiffen und Speck. Was mache ich als Nicht-Trinkerin, Nicht-Raucherin und Vegetarierin eigentlich in dieser Szene?

Ich sage sehr oft „Nein, danke!“

Aber das tue ich in der großen, weiten Welt ja auch, schließlich ist es in Österreich (und ich bin mir sicher, Deutschland oder die Schweiz sind da nicht anders) üblich, Alkohol zu saufen als wäre es eine Pflicht. Besondere Kämpfe trage ich immer mit meinem Großvater aus, der will mein Nein nicht akzeptieren. Aber wie steht es eigentlich um die Szene? Schließlich ist es Tradition, dass Poetry Slams, wenn nicht mit einer Aftershowparty doch zumindest mit einem „Feierabendbier“ enden. Ob ich die Szene alkoholfrei machen will? Natürlich nicht! Aber es sollte genau so normal werden, keinen Alkohol zu trinken wie es zu tun.

Traditionsgemäß gibt es als Preis bei Slams einen Whiskey. Es freut mich sehr, dass das mittlerweile nicht mehr Standard ist. Doch Menschen sind Gewohnheitstiere. Die brauchen für Veränderung ein bisschen Zeit. Es ist zum Glück nicht mehr an der Tagesordnung, dass Leute sagen: „Das ganze Bier geht auf mich!“ und ich die Einzige bin, die ihr Getränk selbst zahlen muss. Und ich weiß nicht, was für ein irrsinniger Aberglaube damit einhergeht, aber einige Volltrottel wollten früher tatsächlich nicht mit mir anstoßen, weil ich keinen Alkohol trank. Darauf bestehe ich aber. Immer. Wenn ihr mit allen anstoßt, könnt ihr auch mit mir anstoßen. Man nennt das Höflichkeit.

 

Wie schafft man es, als Non-Alkoholikerin akzeptiert zu werden?

How-To-Überblick

  • Sag nein.
  • Bleib dabei!
  • Besteh drauf, dass die Leute auch mit dir anstoßen.
  • Wenn es dich nicht stört, bleib bei den Rauchern stehen, auch wenn du nicht rauchst.
  • Wenn Du willst: Geh trotzdem als Letzte*r nach Hause.
  • Genieße deinen Abend.
  • Zieh es durch. Irgendwann werden die Fragen weniger und bleiben schließlich ganz aus.
  • Viele Leute werden deinem Beispiel folgen und etwas Nichtalkoholisches bestellen (Yeah!).

 

Nein heißt nein – auch nur manchmal

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals wirklich dazu gezwungen worden zu sein, zu trinken. Aber anfangs war es sehr mühsam. Denn meistens glauben die Menschen, sie könnten einen überreden. Da muss man dann drei-, viermal hintereinander Nein sagen, damit sie es wirklich hören. Und dann machen sie Witze über mich, weil sie denken, sie können mich so dazu bringen, was mit Alkohol zu bestellen. Oh, wie Recht du hast! Wenn du mich lächerlich machst, fühl ich mich doch gleich so viel wohler in deiner Gegenwart und will unbedingt sein wie du!

In Österreich ist es übrigens (besonders auf dem Land) oft üblich, dass es Körbe mit regionalen Köstlichkeiten zu gewinnen gibt. Sehr selten sind diese Körbe für mich geeignet. Wenn ich sage, ich esse kein Fleisch, kommen sie dann meist mit einem Schnaps daher. Doch seit zwei Jahren nehme ich enorme Verbesserungen wahr. Ich werde nicht mehr ausgelacht, wenn ich Nein zu Speck sage und oft bieten mir andere Slammer*innen Tauschgegenstände für Fleisch oder Alkohol an. Das ist gut. In meinem Fall ist es mittlerweile so bekannt, dass ich mich nicht umstimme lasse, dass die Moderation oft schon vorher Bescheid weiß. Vor ein, zwei Jahren hätten sie sich auf der Bühne noch darüber lustig gemacht, dass ich Speck oder Schnaps verschmähe. Aber mittlerweile gibt es das nicht mehr. Da wird nicht mehr drum herum geredet, sondern still und heimlich während der Siegerehrung der Preis ausgetauscht und ich bekomme mein Kürbiskernöl oder Obst, ohne das jemand darauf hinweisen muss.

Ich könnte mir vorstellen, dass es schwieriger ist, wenn man nicht immer Nein sagt, sondern nur manchmal. Bei zwei oder drei Slams pro Woche sollte es aber klar sein, dass man sich nicht jedes Mal volllaufen lassen will. Es ist ja nicht jede*r in der Szene Alkoholiker*in. Es sollte normal sein, dass niemand kommentiert, wenn man nichts trinkt. Ich wünsche mir, dass das normal wird, vor allem auch für die Leute, die nur ab und zu nein sagen.

Niemand muss dankbar sein, wenn er oder sie Alkohol geschenkt bekommt. Das gilt bei der Aftershowparty genauso wie auf der Bühne. Ein weiterer Tipp für Veranstalter*innen: Gebt uns nicht nur Bier in den Backstage. Ist ja toll, wenn ihr gern Bier trinkt, aber nicht überall wollen alle vor dem Auftritt was Alkoholisches.

 

U20-Schwierigkeiten

Was ich als unmöglich empfinde, sind volljährige U20er, die dauernd jüngere U20er fragen, ob sie denn schon trinken dürften und warum sie es nicht täten. Das ist vielleicht kein direktes Überreden, aber unsere Leben wären viel einfacher, wenn wir uns nicht dauernd für etwas rechtfertigen müssten, das für uns normal ist.

 

Wissen heißt Willkommen-Sein

Oft werden wichtige Dinge nicht an offiziellen Terminen besprochen, sondern draußen beim Rauchen oder um zwei Uhr nachts bei der letzten Runde. Ich hatte früher deswegen oft das Gefühl, ausgegrenzt zu werden und nicht richtig dazuzugehören. Meine Strategie war folgende: Ich bin immer bis zum Schluss geblieben und nie alleine am Tisch sitzen geblieben, sondern mit den Rauchern mit raus. Zuerst musste ich mich dazu  zwingen, aber dann hatte ich sogar Spaß daran. Ich hoffe sehr, dass das in Zukunft leichter wird. Denn nicht alle können immer bis zur Aftershowparty warten. In Graz haben wir zu genau diesem Zweck die GirlsGang und den U20-Stammtisch, wo alle Fragen beantwortet und grundlegende Dinge erzählt werden. Grundsätzlich gilt aber für Slam-Neulinge auch: Wenn ihr etwas wissen wollt, ist es eure Aufgabe zu fragen (und unsere Aufgabe, euch zu antworten).

 

Ich weiß was, was du nicht weißt

Bei Grenzüberschreitungen (egal welcher Art) landen wir sehr oft beim Thema Alkohol und Drogen. Betrunkene können oft sehr gemein werden –  und dabei nicht diskutierfähig, weil nicht mehr artikulierfähig. Am nächsten Tag haben sie es halb vergessen, während andere oft noch lange an Beleidigungen oder Streitereien kauen. Überhaupt ist es so, dass alle eine eigene Version der Wahrheit verbreiten. Da muss ich dann immer abwiegen, ob ich etwas sagen soll. Viele Leute sind (besonders wenn Gras und Alkohol im Spiel waren) mit ihren Erzählungen weit von der Wahrheit entfernt. Wenn ich dabei war, stehen die Chancen, dass ich euch sagen kann, was tatsächlich passiert ist, jedoch recht hoch.

 

Mein Körper – meine Verantwortung – meine Entscheidung

Ich kann hundert Mal Nein sagen und einmal Ja. Das ist vielleicht anstrengend, aber lange nicht so nervig wie die ständige Nachfragerei. Denn egal, wie sehr ich mich auf andere einlasse und wie lange ich bleibe: Mein Körper gehört nur mir. Essen, Trinken, Sex und Drogen sind meine eigene Verantwortung und diese Entscheidungen haben niemanden etwas anzugehen und niemand kann mich zu etwas überreden, das ich nicht will.

Solange andere mich sehen und denken: „Ach, das gibt es auch.“, reicht mir das schon. Dann muss ich nämlich nicht mehr allen erklären, dass ich kein Alien bin, sondern nur ein Mensch, der Spaß am Leben hat und sich deshalb keine Minute entgehen lassen will.