Prokrastination und Terminstress – der ganz normale Alltag einer Slammerin
Der Alltag als (Tour)-Poet*in, meistens kombiniert mit anderen freiberuflichen Tätigkeiten, einem Studium oder einem festen Job, erzeugt oft Stress und macht in ruhigeren Phasen rastlos. Deshalb hier ein paar Ideen, wie man diesen Umständen begegnen kann.
Eine Freundin hat letztens zu mir gesagt: “Inke, in unserer Lebensphase gibt es gerade einfach nur zwei Modi: absolute Langeweile oder pure Überforderung.” Wir lachten beide über die Dramatik ihrer Aussage, aber ganz falsch lag sie damit nicht.
Ein paar Jahre ist es nun schon her, dass ich meinen Aushilfsjob neben dem Studium an der Supermarktkasse gegen die Bühne eintauschen konnte. Das hat mein Leben ganz schön auf den Kopf gestellt. Nach dem letzten Seminar in der Uni gehe ich oft auf direktem Weg zum Bahnhof und an manchen Tage sitze ich schon um 5 Uhr morgens im Zug, um es pünktlich zu meinem Referat an den Campus zu schaffen. Aber zum Glück habe ich als Studentin ja noch Semesterferien: Zeit für mich und neue Texte. Dachte ich zumindest. Doch viel Zeit blieb nicht und selbst wenn, wollte der abrupte Wechsel von wochenlangem auf der Durchreise sein hin zu tagelang nicht mal vor die eigene Wohnungstür kommen erstmal bewältigt werden. Stress ist für mich in vielen Fällen kein sehr angenehmes Gefühl, aber wenn ich plötzlich keinen mehr habe, fühle ich mich unvollkommen.
Wenn ich mich so umschaue, betrifft dieses Wechselbad der Gefühle nicht nur meinen Uni-Slam-Alltag. Viele von uns, die sich zumindest in Teilzeit dem Texten und der Bühne verschrieben haben, wechseln ständig von diesem einen Extremzustand in den anderen. Aber so sollte und kann das doch nicht laufen! Zwischen Überforderung und Langeweile ist eine Menge Platz für mehr. Deshalb habe ich mir nach meinen letzten frustgeladenen Semesterferien ein paar Gedanken gemacht, wie man diesem Zwischenraum näher kommen kann. Das ist dabei rumgekommen:
1. Es kann befreiend sein, Dinge abzuhaken!
To-Do-Listen sind jetzt keine neue Erfindung, aber ich habe das erst vor ca. einem Jahr ausprobiert – und ich liebe es! Aufschreiben macht jeden noch so unüberwindbar groß wirkenden Aufgabenberg überschaubar. Ich schreibe wirklich jede noch so kleine Aufgabe auf diese Listen: E-mail an X, Rechnungen an Y, Einkaufen, Wäsche waschen, Wäsche aufhängen, Wäsche abnehmen… jedes Häkchen löst Zufriedenheit aus.
2. Druck erzeugt Diamanten
Ich kann unter Zeitdruck gut arbeiten. Ohne ihn komme ich hingegen nur langsam voran und das fühlt sich dann eher nach Zeitverschwendung an. Warum sollte ich mir also ein Zeitfenster setzen, das meinem Arbeitsrhythmus gar nicht gerecht wird? Da nehme ich lieber in Kauf, ab und zu eine etwas unbequeme Nachtschicht am Schreibtisch zu verbringen, als mich permanent über unerledigte Aufgaben zu ärgern, für die eigentlich noch genug Zeit ist. Das hat für mich nichts mit Faulheit oder Prokrastination zu tun, sondern mit einer realistischen Einschätzung meiner Leistungs- und Belastungsfähigkeit. Ich kann euch versprechen, dass ich meine nächste Hausarbeit erst in absehbarer Zeit vor der Abgabe anfangen werde. Bis dahin hat ein schlechtes Gewissen keinen Platz. Wenn sich jemand langfristiger strukturieren kann, hat er*sie meinen Respekt. Weiter so! An alle anderen: macht euch nichts draus, wir kommen auch so durch.
3. Die Freizeit des Menschen ist unantastbar!
Student*in und freiberuflich tätig zu sein, gleichen sich vor allem in einem Punkt: Feierabend ist keine eindeutig definierte Uhrzeit. Und beides zusammen heißt oftmals doppelter Frust. Denn wenn ich in das eine gerade mehr Zeit investiere, fühlt es sich schnell so an, als ob das andere auf der Strecke bliebe. Freie Zeit ergibt sich bei mir nicht von selbst, ich muss sie mir nehmen, denn in naher Zukunft stehen immer Projekte, Hausarbeiten, Referate oder Touren an. Umso wichtiger, dass man seine Erholungsphasen konsequent plant. Freizeit bedeutet nicht stundenlang vor Instagram zu versacken, weil man sich vor der nächsten Aufgabe drückt. Sie sollte vielmehr aktiv passieren, auch wenn es nur darum geht, heute mal auszuschlafen und mit Frühstück im Bett den Vormittag zu verbringen.
4. Wer nicht will, der hat schon!
Als mich die ersten bezahlten Anfragen erreichten, habe ich das als riesige Ehre empfunden. Aus Angst, dass ich sonst nicht nochmal angefragt würde, habe ich probiert, einfach alles in meinen Terminkalender zu quetschen. Es fällt mir auch heute noch schwer, Auftritte abzulehnen um Stress zu vermeiden, obwohl ich weiß, dass das Quatsch ist. Es wurde auch im Blog schon mal thematisiert, aber man kann es ruhig nochmal sagen: das Schöne am Poetry Slam ist, dass wir uns das Pensum selbst aussuchen können. Also liegt es an uns, verantwortungsvoll mit unseren Kraftreserven umzugehen. Wer uns nicht nochmal anfragt, ist selbst schuld!
5. Die anderen hängen auch mal durch. Davon gibt’s nur keine Insta-Story!
Im Voraus freue ich mich immer über Lücken in meinem Kalender, weil ich weiß, dass ich die Pause echt gut gebrauchen kann. Aber dann sitze ich zu Hause, prokrastiniere vor mich hin oder kämpfe mit einer Schreibblockade und beobachte in den sozialen Netzwerken, wie meine Kolleg*innen fleißig von Slam zu Slam reisen und grandiose Abende verbringen. Das nervt manchmal. Dabei sitzen die gleichen Menschen übermorgen wahrscheinlich genauso wie ich wieder auf ihrem Bett und fechten die gleichen Zweifel mit sich aus. Im Prinzip wissen wir das alle, trotzdem sollte man sich in den richtigen Situationen immer wieder bewusst machen, dass dieser Selbstabgleich nur in die Irre führt.
Wir sind krass genug!
In Phasen wo sich Termin an Termin reiht, neigt man schnell dazu, nur noch den Stress zu sehen und sich dafür zu verurteilen, dass man schlecht geplant hat. Wie wär’s stattdessen damit, sich selbst ein bisschen dafür zu bewundern, was man alles in der Lage ist, zu leisten? Das soll dir oder mir erstmal eine*r nachmachen! Wenn man das verinnerlicht hat, darf es auch solche Tage geben, an denen To-Do-Listen einfach mal liegenbleiben, diese Tage haben wir uns verdient. Der Stress kommt schon ganz von alleine wieder. Und das ist schon in Ordnung, denn zum Teil ist er auch Quelle unserer Kreativität!
Mit diesen “Vorsätzen” blicke ich den nächsten Semesterferien zuversichtlich entgegen. Vielleicht waren ja auch für euch ein paar hilfreiche Ideen dabei. In diesem Sinne: Auf eine kreative und angemessen produktive aber auch entspannte Zeit, Freund*innen!