17. Februar 2020

U20 Slam – Alle gleich, oder?

Warum wir mit dem U20-Bashing aufhören und jungen Stimmen mehr Bedeutung geben müssen.

Ich schreibe aus der Perspektive einer U20-Poetin, die sich regelmäßig von Kolleg*innen und Veranstalter*innen anhören muss, warum U20-Slam scheiße ist. Auf der Bühne gäbe es ausschließlich junge, wütende Mädchen mit Gedichten über die Liebe und das Klima. Es gäbe wirklich niemanden, der witzige Texte schriebe, Performance zeige und mehr als drei Mal vom Blatt hochschaue. Zu U20-Slams gehe man sicherlich nicht freiwillig, weil ja sowieso alles gleich klingen würde.

Es ist ja nichts Neues, dass sich die U20-Szene ständigen Vorwürfen und Unterstellungen gegenübersieht. Immer müssen sich die jungen Kunstschaffenden rechtfertigen und beweisen, dass ihre Texte Berechtigung und Relevanz haben. Da gibt es diese Mauer. Zwischen Frischlingen und Profis und sie scheint unüberwindbar. Es herrscht ein fortlaufender Kampf. Darum, gesehen, gehört und gefördert zu werden. Denn das gestaltet sich super schwierig, wenn niemand von den großen Slammer*innen und Veranstalter*innen zu U20-Slams geht, um Ausschau nach Nachwuchstalenten zu halten.

 

Warum ihr zu U20-Slams gehen solltet

Wenn ihr glaubt, dass es faktisch nur noch junge Frauen in der Nachwuchsszene gibt, dann muss ich euch widersprechen. Nur, weil der Frauenanteil in der jungen Szene größer ist, als bei einigen Best-Of-Slams, heißt das nicht, dass keine männlichen Poeten* unter 20 existieren. Ihr müsst sie nur kennenlernen. Und das funktioniert am besten, wenn ihr euch vor die kleine Bühne setzt und zuhört. Klar, hauptberufliche Künstler*innen haben oft wenig Zeit und verbringen sowieso schon genug davon auf, vor und hinter der Bühne. Aber ihr könnt ja mal anbieten, den Wettbewerb zu featuren. Somit können Fahrtkosten oft übernommen werden, ihr könnt den Wettbewerb mit eurer Bühnenerfahrung aufwerten, begegnet den jungen Talenten auf Augenhöhe, kommt ins Gespräch und könnt euch vernetzen. Ich will nicht abstreiten, dass bereits viel Arbeit in die Nachwuchsszene gesteckt und sich um die Sichtbarkeit von „U-Zwanzis“ gekümmert wird, aber diese positive Unterstützung und Energie kommt selten von Ü20-Poet*innen, die selbst nicht aktiv an diesen Angeboten beteiligt sind, sprich diese Veranstaltungen moderieren oder organisieren.

 

Warum der Nachwuchs selten lustig schreibt

In der U20 Szene sind die Altersunterschiede der Teilnehmenden deutlich geringer als bei den Ü20igern. Viele beginnen mit 14, 15 oder 16 Jahren. In diesem Alter stellen sich schlichtweg ähnliche Fragen, da die Teilnehmenden ähnliche Lebensrealitäten haben: Wen darf ich lieben? Was mache ich nach der Schule? Wie rette ich die Erde? Selbstverständlich entstehen dann thematisch vergleichbare Texte. Zudem ist man bei lustigen Texten auf eine Reaktion des Publikums angewiesen. Schon auf der Bühne wird spürbar, ob das Publikum den Humor versteht. Es ist schwer, mit den eingeplanten Pausen für Lacher umzugehen, wenn niemand lacht. Das braucht mehr Mut, als einen nachdenklichen Text zu lesen, der kein hörbares Feedback braucht. Vor dem Publikum zu stehen und zu wissen, dass der Text nicht funktioniert, ist weitaus unangenehmer, als später im Backstage eine niedrige Wertung zu hören. Der ruhige, politische Text ist manchmal einfach sicherer.

Um sich an witzige Texte zu wagen, braucht es deshalb Raum zum Ausprobieren. Es braucht Menschen, die verständlich erklären, wie man so einen Text aufbauen kann, die Feedback geben und ermutigen. Dazu kommt, dass Neulinge oft ein kleineres Repertoire an Bühnentexten haben und sich somit nur schwer an den Abend anpassen können. Auch das bestärkt die Bedeutung von Workshops, Schreibtischen und Backstage-Gesprächen.

 

Warum wir gute Vorbilder brauchen

Wer mit Poetry Slam anfängt hat oft ein ungenaues Bild davon. Menschen stehen auf der Bühne und lesen Texte vor. Das ist grundsätzlich richtig, aber erklärt den Wettstreit nicht in seiner Gänze. Dass die Texte völlig unterschiedliche Themenbereiche umfassen und vor allem von der Performance leben, lernt man erst mit der Zeit. Deswegen halte ich es für super wichtig, sich Feedback einzuholen: Texte zu besprechen, Performances anzupassen, Neues auszuprobieren und sich über Möglichkeiten auszutauschen, wie man dem Publikum eine coole Show bieten kann. Und vor allem braucht die neue Generation gute Vorbilder, an denen sie sich orientieren kann. Wir alle müssen lernen, was auf der Bühne funktioniert, welche Seite wir von uns zeigen wollen und wie wir mit dem Publikum interagieren können. Die wenigsten Poet*innen können nach ein paar Auftritten Solo-Shows spielen. Viele beginnen im U20-Bereich, probieren sich aus und hoffen, dass sie spätestens mit 21 Jahren auf die großen Bühnen dürfen. Wenn sie „endlich gut genug sind, um bei den Großen mitzuspielen.“

U20 Crew Foto
Bild: Lufre Photography

Einige Slam-Größen sprechen abfällig über das Format „Poetry Slam“ und sind froh, wenn sie endlich nicht mehr im Wettbewerb antreten müssen. Aber in den Nachwuchskünstler*innen steckt noch Leidenschaft, Liebe und Begeisterung für das Format Slam. Die brauchen Vorbilder, die für ihre Bühnenzeit brennen, damit sie ihre Texte voller Stolz präsentieren können. Da gibt es so unglaublich viel Potential, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Das Vorurteil, U20- Poet*innen seien alle Anfänger*innen, muss endlich abgeschafft werden. Einige haben bereits mehr Bühnenerfahrung gesammelt, als Menschen, die im Ü20-Line-up stehen. Diese „Nachwuchsprofis“, gehören auf die großen Bühnen.

 

Also los!

Spart euch die abfälligen Kommentare, bietet Features und Unterstützung an. Macht euch auf die Suche, geht zu U20-Slams, sprecht auf Augenhöhe miteinander und gebt unseren jungen Stimmen die Chance auf Auftritte, die sie verdienen. Lasst uns diese Mauer zwischen U20 und Ü20 gemeinsam zum Einsturz bringen!

 

 

Beitragsbild von Marvin Ruppert