17. August 2020

Labels und Grenzen

Als die Slam Alphas gegründet wurden, habe ich mich riesig gefreut. Was für eine grossartige Initiative! Ich wünschte mir, Teil davon sein zu können. Da ich mich aber nicht als Frau, sondern als nichtbinär[1] identifiziere, hatte ich Zweifel, ob dieser Wunsch in Erfüllung gehen könnte.

Im Frühling 2019 hatten H. und ich (zwei Enbies[2]) am informellen Meeting der Alphas an den CH-Meisterschaften teilnehmen können. Wir hatten angefragt, ob dies möglich sei, und haben uns dann im Konsens mit den anwesenden «Frauen*»[3] dazugesellt. Nach der Sitzung wurde mir gegenüber im Gespräch unter vier Augen von einer der anwesenden «Frauen*» Folgendes geäussert: Dass ich dabei gewesen sei, sei okay, aber bei H.[4] hätte sie sich nicht sicher genug gefühlt. Als Grund dafür gab sie an, dass H. eine gewisse «weibliche Erfahrung» fehle. Aber bei mir sei das nicht so, deshalb sei das mit mir in Ordnung. War es für mich nicht. Weil TIN[5]-Inklusion heisst für mich, dass alle Personen, die sich auf diesem Spektrum bewegen, einbezogen werden.

Gespräche mit verschiedenen Personen, die bei den Slam Alphas tätig sind, haben nicht wirklich zur Klärung beigetragen, die Unsicherheit war gross. Deshalb hatte ich im Sommer 2019 die Idee, direkt in einer Mitgliederversammlung, sozusagen institutionell, zu klären, wo die Grenze für Mitgliedschaft gezogen wird. Ich wollte einfach den Antrag stellen, als explizit nichtbinäre Person Teil des Vereins sein zu können. Dieses Vorhaben habe ich mit zwei Menschen aus dem Vorstand besprochen, die beide als Privatpersonen mein Anliegen unterstützten. Die beiden machten mir aber auch von Anfang an klar, dass das ist nicht die Position des Vereins oder des Vorstands sei. Mein Anliegen, dass nichtbinäre Personen (alle!) Teil von den Alphas werden können (und ev. sogar grundsätzlich auch trans und inter Personen) wurde im Vorstand besprochen, ich freute mich sehr darüber. Dann kam der Bescheid nach einer Vorstandssitzung: Wir können uns das nicht vorstellen, die Anliegen von Frauen und TIN-Menschen sind zu unterschiedlich. Du kannst deinen Antrag aber gerne an der MV stellen. Der Vorstand wird dafür plädieren, den Antrag abzulehnen. Ich war geschockt und enttäuscht, weil meine queerfeministisch-inklusive Blase in diesem Moment zerplatzte. Im Herbst am SLAM 2019 habe ich mich nicht getraut, den Antrag zu stellen. Ich hätte mit einer direkten Ablehnung der gesamten MV nicht umgehen können.

Es fühlt sich wie Verrat an, dass manchmal in den Posts der Alphas explizit «Frauen*», «Mädchen*» und Enbies (nichtbinäre Personen) angesprochen werden, aber die Grenze der Teilhabe wiederum an biologistischen Merkmalen festgemacht wird. Die gleiche Grenze wurde von einer «Frau*» aus dem Vorstand der Alphas wieder gezogen, als es um Blogeinträge ging: Auf einen Aufruf zu Blogeinträgen meldeten sich sowohl H. wie auch ich. Während es bei mir scheinbar selbstverständlich war, dass ich einen Eintrag schrieb, wurde H. klar kommuniziert, dass H. lediglich einen «Gastbeitrag» schreiben dürfe. Noch einmal: wir identifizieren uns beide als nichtbinär.

 

TINte?

Im Sommer danach habe ich beschlossen, TIN-Repräsentation in der Slam-Szene selbst in die Hand zu nehmen. Zusammen mit Runa und Jonin entwickelte ich die Idee zum Projekt weiter und wir gründeten das Netzwerk TINte Bühnenliteratur. Wir haben uns am SLAM 2019 positioniert und als Ansprechspartner:in für TIN-Menschen, Veranstaltende und grundsätzlich Interessierte bis Verunsicherte angeboten. Das Netzwerk hat schon viel mündliche Unterstützung zugesichert bekommen und befindet sich im Aufbau. Gerade eben ist die Website online gegangen, wir durften erste Menschen für Auftritte vermitteln und ich habe in dem Rahmen auch schon einen Workshop zu gender_queer_sensiblem Veranstalten geben dürfen. Dabei haben wir vor allem von Privatpersonen und einzelnen Vereinen/Netzwerken in der Slamszene viel Unterstützung bekommen.

Die Alphas haben sich – nachdem Personen aus dem Vorstand uns ihre volle Unterstützung im Namen der Alphas versichert hatten – sehr zurückgehalten, mit uns in Kontakt zu treten. Im Zusammenhang mit TIN-Themen sind sie insofern «fortschrittlich», als dass trans Frauen zu den «Frauen*» dazugezählt werden (was für mich eine Selbstverständlichkeit ist und sein sollte). Gleichzeitig machen auf einem häufig auftauchenden Vereinsfoto viele der Anwesenden mit den Händen das Vulva-Zeichen. Da frage ich mich, was die Message dahinter sein soll und auch wieder wo hier die Grenzen gezogen werden. Die Vulva wird als Geschlechtsorgan tabuisiert, entsexualisiert, hypersexualisiert und vieles mehr. Darüber zu sprechen und selbstbestimmte Sichtbarkeit herzustellen ist eine wichtige Aufgabe des (Queer-)Feminismus. Wenn allerdings das Vulva-Zeichen unkommentiert in einem Verein von und für «Frauen*» und «Mädchen*» auftaucht, zieht das in meinen Augen eine scheinbar natürliche Verbindung von Weiblichkeit und Vulven, die die Realitäten von trans Personen negiert.

Beim Wording glaube ich zwar keine böse Absicht, aber eine totale Überforderung zu sehen, was trans und vor allem auch nichtbinäre Repräsentation angeht. Wenn ein Vorstandsmitglied auf Facebook schreibt, der Verein sei «für Frauen* und Mädchen*, und damit für alle, die so gelesen werden», verletzt mich das. Sie wollte mich nicht verletzen, davon bin ich überzeugt. Warum es mich verletzt? Ich werde ab und zu weiblich gelesen. Ich bin trotzdem keine Frau. Auch keine «Frau*». Mit der obigen Formulierung wird mir aber genau diese Selbstbestimmung über meine Labels abgesprochen.

So kann ich zum Beispiel auch nur einen Antrag als «weibliches*» Mitglied stellen (fair enough, aber dann sagt bitte nicht, Enbies sind willkommen). Fördermitglieder werden im Antrag automatisch als «männlich*» bezeichnet. Really, liebe Alphas? REALLY? Do we have to start there? Ich sage nicht, dass ihr das alles schon wissen müsst. (Auch wenn ich nach der Aufklärungsarbeit, die ich bei einigen (vor allem Personen aus dem Vorstand) schon geleistet habe etwas andere Standards erwartet hatte.) Anyway: Wenn ihr euch Allies nennen wollt, dann erwarte ich definitiv mehr Arbeit von euch. Es ist okay, Dinge nicht zu wissen. Aber es ist nicht okay, Dinge zu tun, die genderqueere und trans Personen ausschliessen, und sich dann selbst als Ally zu bezeichnen.

 

Und jetzt? Liebe und Arbeit und so!

Ja, dieser Blogeintrag ist wütend. Ja, vieles schildere ich aus meiner Erinnerung und andere Personen werden die gleichen Ereignisse etwas anders im Kopf haben oder beurteilen. Ja, I call you out, weil vieles schief gelaufen ist. Aber nicht nur: Dieser Blogeintrag ist zum Beispiel auf der Basis entstanden, dass ich explizit gefragt wurde danach, aus meiner TIN-Positionierung heraus einen «durchaus auch kritischen» Beitrag zur Arbeit der Alphas zu schreiben. Liebe raus dafür <3 Ich möchte diesen Blogeintrag als Chance nutzen, um einen Dialog zu starten. Ihr wärt gerne Verbündete für uns und es ist nicht so, als würden wir euch nicht brauchen oder wollen (gilt auch für die cis Männer unter euch). Lasst uns auf dieser Basis schauen, was unser aller Bedürfnisse sind und zusammen die Szene queerfeministisch aufmischen! Und dabei auch an die Menschen denken – seien sie nun Mitglied bei TINte, Slam Alphas, beiden oder keinem – die von der Gesellschaft und uns rassifiziert werden, von der Gesellschaft und uns behindert werden, für die der Eintritt zu Slams eine Hürde darstellt, … Die Liste kann und muss fortgeführt werden. Ja, es ist viel Arbeit. Lasst sie uns alle gemeinsam tun.

[1] Für weitere Informationen zu Nichtbinarität siehe https://buehnentinte.org/1-terms/ oder www.nichtbinär.ch

[2] =nichtbinäre Personen

[3] Ich übernehme die Bezeichnung mit * hier von den Alphas und setze ihn in Anführungszeichen. Der Grund dafür ist, dass ich die Selbstbezeichnung von Menschen respektieren möchte, den Begriff aber selbst sehr problematisch finde und deshalb nicht verwende. Über die Verwendung der Begriffe Frauen/Frauen* können wir gerne ein anderes Mal sprechen.

[4] ein nichtbinärer Mensch

[5] trans, inter und nichtbinär, Definition siehe: https://buehnentinte.org/1-terms/