3. August 2020

Meine Hassliebe zu Poetry Slams

In diesem Artikel schreibe ich über meine Beziehung zu Poetry Slams. Über meine Gedanken, die sich anfangs viel um Bewertungen, Formate und Vergleiche drehten. Über meinen Prozess, diese Gedanken loszulassen. Und über die neue Freiheit, die mich das schreiben lässt, was ich möchte und schliesslich meine Motivation ist, auf der Bühne zu stehen.

 

In ein Format passen

Als ich angefangen habe bei Poetry-Slams mitzumachen, wurde mir schnell klar, dass meine Texte nicht länger als sechs Minuten dauern dürfen, ich keine Requisiten verwenden kann und Texte, die performt und auswendig vorgetragen werden, oft besser beim Publikum ankommen als vorgelesene Texte. Ich beobachte viel und verglich mich oft mit anderen. Ich fand alle Poetry Slammer*innen cool, die man auf YouTube sehen kann und wollte von ihnen lernen, wie man schreibt. Ich wollte dieses Format verstehen, aber irgendwann verstand ich meine eigenen Worte nicht mehr so ganz. Ich verstand es nicht mehr, ohne äussere Bilder zu schreiben.

 

6 Minuten

Ich liebe Slams – auf der Bühne gehört dir die Welt. Alle schauen dich an, hören dir zu. Die sechs Minuten sind wie eine Droge, sie rauschen an dir vorbei und obwohl du ganz wach bist, hast du keine Kontrolle. Keine Kontrolle über deine Gefühle, die Nervosität davor, die Erleichterung oder das Sieger*innenlachen danach.

Sechs Minuten, die jedes Mal anders und einzigartig sind. Sechs Minuten, die jedes Mal anders gesagt und neu gehört werden. Es ist geil und wenn wir ehrlich sind, brauchen wir diese sechs Minuten immer wieder. Egal wie scheisse es manchmal sein kann, diese Zeit lassen wir uns nicht nehmen.

Doch manchmal hasse ich auch alles, was diese sechs Minuten mit sich bringen. Ich hasse Ungerechtigkeiten im Backstage. Ganz ehrlich: Wer hat schon einen guten Auftritt, wenn hinter der Bühne miese Laune herrscht? Klar kann ein Unwohlsein auch bei einem selbst liegen, aber manchmal ist die Stimmung im Backstage so angespannt und unangenehm, dass Mobbing und Spott zur Tagesordnung gehören. Und auch auf der Bühne gibt es oft komische Momente: Seien es dumme Kommentare, schräge Blicke aus dem Publikum oder unfaire Bewertungen aufgrund subjektiver Wahrnehmungen. Das kennen wir alle. Oft bringt es mich zum Nachdenken, wenn jemand motiviert und selbstsicher aus dem Backstage auf die Bühne geht und nach dem Auftritt Kommentare äussert wie „Sorry, heute bin ich schlecht“ oder „Ich mag den Text auch nicht, keine Ahnung wieso ich den ausgesucht habe“. Sowas zu hören, tut mir weh. Zu oft erkennen wir das Potenzial in anderen, aber nicht in uns selbst.

 

Schreiben ist Freiheit

Ich beschäftigte mich lange mit Texten und Meinungen anderer, aber nicht mit meiner eigenen Motivation. Es geht nicht darum, “die eine Message“ an die Welt zu haben, sondern sich frei zu machen und zu fühlen. Wenn eine Bewertung zu sehr weh tut, ist es an der Zeit, sich nach innen zu richten. Mit den Menschen zu reden, die deinen Texten lauschen, dir konstruktive Kritik geben und dich motivieren. Trotz Formaten und Bewertungen sollten wir uns immer unserer eigenen Kraft als Schreiber*innen bewusst sein: Wir können alles schreiben. Wir sind mehr als nur diese sechs Minuten, auch wenn wir sie manchmal geil finden und brauchen. Wir öffnen uns den Leuten da draussen und lassen sie an unserer Freiheit teilnehmen. Einfach nur, weil wir Freude am Schreiben, Sprechen und Zuhören von Texten haben.  Also freu dich über deine zwei gesunden Hände, hau in die Tasten und halte deinen Lieblingskugelschreiber in den Himmel. Es ist spannend zu lesen, weil es geschrieben ist. Nicht, weil es 100 oder 3 Likes hat. Du hast die Kraft das zu schreiben, was sich in dir bewegt.

 

Den Rahmen sprengen

Mit ein bisschen Know-how kann man seine Performance verbessern und die eigene Art zu Schreiben verfeinern. Die Form ist wandelbar, doch der Inhalt kommt aus dem Herzen. Ich schrieb und schreibe viel, aber heute schreibe ich anders. Ich schreibe wieder auf, was aus mir herauskommt und nicht nur, was in sechs Minuten passt. Ich schreibe wieder frei, ohne „So soll es sein.“ oder „So ist es richtig.“ Fuck it.

Schreiben und Sprechen sind Formen unseres eigenen inneren Ausdrucks. Wir haben die Freiheit, uns so auszudrücken, wie wir wollen und den Raum einzunehmen, der uns entspricht. Sich den sechs Minuten zu stellen, wann und wie wir wollen – und sie zu geniessen: Darauf kommt es an.