21. September 2020

Von Anreden und lustigen E-Mails

Im Juni dieses Jahrs habe ich das ambitionierteste Slam-Projekt gestartet, dass ich bisher in Angriff genommen habe: Eine Mittelschulmeisterschaft in der Innerschweiz zu etablieren. Obwohl das Konzept schon von Richi Küttel und dem Verein solarplexus entwickelt worden war und seit Jahren gut lief, war es doch ein grosser Aufwand die ganzen Kontakte an den Schulen zu bekommen. Nicht selten ist eine Mail an die Schulleitung unerfolgreich und es braucht eine begeisterte Deutschlehrperson, welche sich für das Projekt einsetzt. Nach dem Mailadressensammeln und Neuformulieren des Konzeptes blieb mir also nur noch eins, um das Projekt erfolgreich umzusetzen: Etliche Mails zu schreiben. Und die lustigen Antworten zu lesen!

Warum Anreden für mich wichtig sind

Ich bin Henrik Amalia, bin seit 2013 in der Slamszene aktiv und seit 2017 vermehrt am Organisieren und Moderieren – zuerst mit dem Verein Zebrafant in Zug und nun für die Jugendförderung in der Innerschweiz im Verein PassWort[i], von dem ich Präsident:in bin. «Präsident:in» ist meine Eigenbezeichnung, in der ich mich mehr wiedererkenne als in dem neutralen «Präsidium». Ich bin nonbinär, also irgendwo zwischen – oder knapp ausserhalb – von den beiden altbekannten Polen männlich und weiblich. Mein Pronomen ist hen[ii] und meine Anrede ist Pers. (kurz für Person)[iii]. Weil ich amab (= assigned male at birth) bin, ist mir eine weibliche Adjektivierung in Anschriften lieber – und «Frau» fühlt sich schon mal um Meilen authentischer an als «Herr».

Genderqueeres Lexikon zu ihren Diensten

Nichtsahnend verschickte ich also eine Mail an die Innerschweizer Mittelschul-Deutschlehrpersonen, ohne in der Signatur meine Anrede oder meine Pronomen zu erwähnen. Blauäugig wie ich bin, habe ich einfach meine Eigenbezeichnung «Präsident:in» nebst «Poet:in» verwendet und es draufankommen lassen. Denn ich mag nicht immer mit einem Disclaimer herumlaufen, der meine Identität allen erklärt. Eigentlich habe ich keine Lust, jeglichen Wildfremden meine Identität ans Bein zu pinkeln und ein wandelndes genderqueeres Lexikon zu sein. Doch irgendwer muss den ersten Schritt tun, das erste Wort sprechen und das erste Mal Verwirrung stiften. Im Gegensatz zum direkten Gespräch ist es im Schutze der Computerscreens zumeist erträglicher (und nicht so awkward), die Menschen zu informieren, dass mensch ein anderes Pronomen und eine andere Anrede verwendet. In meiner queeren Bubble vergesse ich allzu oft, dass einige Menschen noch nie von der revolutionären Idee gehört haben, dass alle selbst bestimmen, wie sie angesprochen werden wollen. Und dass sich das auch ändern kann.

«wie [Name] geschrieben hat, …»

Am nervigsten sind die Mails, in denen andere über mich schreiben. Denn erst, wenn in der 3. Person über andere gesprochen wird, greifen viele automatisch auf die binären Pronomen ‘er’ und ‘sie’ zurück. In der Schule gelernt, ist das inzwischen so automatisiert, dass gar nicht mehr darüber nachgedacht wird. «Henrik klingt so männlich, dann ist es ja logisch, dass ich ‘er’ verwende», habe ich mir nicht erst von einer Person anhören müssen. Auch wenn auf der Bühne von der Moderation mein Text zusammengefasst wird, oder sich andere Poet:innen auf «was ‘er’ schon sagte» beziehen, tut das besonders weh. Denn in diesem Moment wird dir die Fähigkeit genommen selbst darüber zu bestimmen, wie andere dich wahrnehmen. Es entsteht ein initiales Bild eines Menschen, ein Prototyp ‘er’, dass ich nun erstmal thematisieren und beiseitestellen muss, bevor mein authentisches Ich zum Zuge kommt.

Herr/Frau – warum immer männlich zuerst?!

Doch es ist nicht Hopf und Malz verloren, Veränderung ist auf dem Weg. Nach und nach lese ich immer mehr geschlechterneutrale Formulierungen und die Lehrpersonen fragten auf meine Eigenbezeichnung «Präsident:in» hin auch fleissig nach. Am köstlichsten amüsiert habe ich mich über die folgenden beiden Rückfragen: «Sehr geehrte/r Herr/Frau von Dewitz (Ist der Name echt oder ein Pseudonym?)» und «Ihre Titel haben mich etwas befremdet (Poet:in, …). Sind Sie nun männlich anzureden oder weiblich?» Natürlich ist die erste Rückfrage ein Othering par excellence, denn sie suggeriert, dass mein Name so fernab des Realen ist, dass es einfach ein Pseudonym sein muss. Und auch wunderbar wie beiden Lehrpersonen nicht in den Sinn kommt, dass es etwas ausserhalb des Binären gibt oder dass «männlich» immer noch die erstgenannte Option der beiden ist. Aber ich habe dennoch über diese Rückfragen lachen müssen, weil die Fragenden mir wie unbeholfene Rehlein vorkommen, welche etwas wackelig durch die Gegend staksen. Diesen Rehlein kann ich nie lange böse sein, wenn ich sehe, wie sie es versuchen und beim nächsten Mal es dann doch schaffen, mich mit «sehr geehrte Pers. Henrik Amalia von Dewitz» anzuschreiben. Elegant lösten es andere Lehrpersonen, die einfach mit «Guten Tag» oder «Hallo» in Kombination mit dem Namen verwendeten, was ich im ‘Zweifelsfall’ immer sympathischer finde, als einfach ein «Herr» oder «Frau» reinzutun. Doch rückzufragen ist immer noch die beste Option, vor allem wenn eine längere Zusammenarbeit bevorsteht. Die Uni Bremen hat dazu hier ein super Dokument veröffentlicht.

Na, und wie weiter?

Ich habe durch diese Erfahrung gelernt, wie wichtig es ist, in der Signatur auf Pronomen und Anrede zu verweisen. Lasst uns gemeinsam das Nennen davon normalisieren. Damit weniger verwirrte Rückfragen kommen und die «Anrede»-Optionen bei Kontaktformularen nicht nur auf zwei limitiert bleiben. Lasst uns vor Moderationen alle auftretenden Menschen fragen, welche Pronomen und gegenderte Anreden sie verwenden. Ist «Gewinner:in» ok? Oder doch lieber «Publikumsliebling»?

Gewinnen tut auf jeden Fall die Sprache.

 

 

[i] Website kommt bald!

[ii] Beispielsatz: «Heute ist hen guter Laune, weil hens neue Haarfarbe hens Freund:innen so gut gefällt.»

[iii] Andere Möglichkeiten sind Ind. (kurz für Individuum), Men. (kurz für Mensch), Enby (kurz für eine nonbinäre Person) oder einfach keine Anrede.

 

Dieser Blog-Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem Verein TINte.