18. Januar 2021

Was ist Belästigung – und was nicht?

 

Viele schrieben mir im Laufe dieses Jahres Nachrichten wie: „Ich versteh ja den Frust über manche Leute, aber heutzutage kann man ja kaum noch Komplimente machen oder flirten, ohne dafür angeprangert zu werden.“ Diskussionen darüber sind schwierig, meistens sind es sowieso immer die „anderen“ und es würden ja ständig vor allem unschuldige Männer in eine Schublade mit den Idioten gesteckt werden.

Wenn aber überhaupt die Sorge da ist, dass das eigene Verhalten als belästigend empfunden werden könnte, sollte nicht über eine vermeintliche Überempfindlichkeit der „Angeflirteten“ diskutiert, sondern eher das eigene Handeln verantwortungsbewusst reflektiert werden.

 

 „Der ist doch nicht so, der macht sowas nicht, da passiert das doch nicht.“

Belästigungen gehen auch nicht immer von diesem Stereotyp eines Fremden im Club aus, sondern geschehen oft genug im Kreis von Vertrauen, bei Freunden oder Bekannten[1].

Sie passieren nicht nur auf der Straße, in Clubs oder öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern auch auf und hinter Bühnen. Die öffentliche Präsenz einer Person gibt jedoch in keiner Weise die Berechtigung dazu, sie mit unangebrachten Kommentaren zu bombardieren oder respektlos zu behandeln.

Ich erinnere mich an einen Post von einer Slam-Kollegin, den sie geteilt hat, um darauf aufmerksam zu machen, dass Belästigungen auch auf Veranstaltungen und in Bühnensituationen vorkommen. Sie ist mit ihrer Soloshow aufgetreten und musste hören, wie zwei Männer, während sie auf der Bühne stand (!), aus dem Publikum lautstark anzügliche Kommentare abgaben und sie wie ein Objekt behandelten.

 

 „Es sind nicht alle so…“

Hinzu kommt, dass wir alle in einem System leben, in dem Rassismus und Sexismus zunächst in jedem Menschen internalisiert ist. Es werden immer mehr Stimmen lauter, die darauf aufmerksam machen, aufklären und für Klarheit sorgen. Wir alle haben uns schon danebenbenommen, etwas Unbedachtes gesagt und die Menschen in unserem Umfeld gekränkt. Und nicht selten war es sexistisch, rassistisch oder diskriminierend. In meiner Schulzeit wurde zum Beispiel einiges toleriert. Achtung – Triggerwarnung – ich nenne gleich einige beleidigende Sätze und Begriffe, die wie selbstverständlich genutzt wurden (und heute teilweise immer noch werden):

„Der sieht richtig gay aus.“

„Bist du gay oder was? Warum ziehst du dich so an?“

„So ein Spast.“

„Bist du behindert oder was?“

„Du kleiner Arab, siehst aus wie ein Bombenleger.“

„Richtige Tussi, wie die sich schminkt.“

„Nur Kanaken reden so.“

Es wird besonders problematisch, wenn wir den Fehler leugnen und die Verantwortung verlagern. Und im Falle einer belästigenden Handlung zeugt es von noch größerer Ignoranz, den belästigten Menschen dafür anzuprangern. Denn, wenn die eigenen Grenzen missachtet und überschritten werden, ist es nicht nur verständlich, sondern auch notwendig, dass dies kommuniziert wird – damit es nicht noch einmal passiert.

 

 „Aber ich meinte es als Kompliment!“

Viele Kommentare, die als Komplimente verkauft werden, sind in Wahrheit keine und nicht selten fällt es der Person nicht einmal auf. Aber das bedeutet nicht, dass man „gar nichts mehr sagen darf“, es gibt genug Möglichkeiten, einem Menschen etwas Nettes zu sagen oder zu flirten, ohne respektlos zu sein.

Beispiele für Komplimente:

„Ich fand deinen Text sehr berührend.“

„Ich finde deine Ohrringe sehr schön, sie passen zu deinem Outfit.“

„Deine Haare sehen top aus.“

„Ich mag deinen Style.“

„Du hast eine angenehme Stimme.“

„Du hast schön geformte Augen.“

 

Hier ist keine sexuelle oder anzügliche Anspielung enthalten. Beispiele für keine Komplimente (TW):

„Also ich mag es, dass du so arabisch aussiehst. Araberinnen haben große Hintern, das finde ich heiß.“

„Dein Top ist echt eng, aber gefällt mir.“

„Ich finde es nicht schlimm, dass du kleine Brüste hast, ich steh drauf.“

„Bei dieser Hose sieht man, dass du einen großen hast.“

„Mit dem Ausschnitt solltest du nicht auf die Bühne.“

 

Wenn in einem vertrauten und sicheren Umfeld gesprochen und gut kommuniziert wird (zum Beispiel in einer Beziehung, bei Freund*innen, etc.), dann kann das etwas anderes sein. Hier gelten vielleicht andere Grenzen, aber in der Regel sind solche Aussagen im besten Fall unangemessen, im schlimmsten Fall belästigend.

Es kann immer passieren, dass man etwas missverständlich rüberbringt. Oder tatsächlich schlichtweg – bewusst oder unbewusst – eine Grenze überschreitet, einen dummen Kommentar abgibt, belästigt, verletzt. Wichtig ist, das zu erkennen und dann das eigene Verhalten zu reflektieren. Wenn das Gegenüber einem vermittelt: „Das war nicht okay!“, sollte keine Abwehrreaktion folgen. Jede*r kann sich falsch verhalten und jede*r kann versuchen, das wiedergutzumachen. Eine Entschuldigung und eine Änderung zukünftigen Verhaltens ist ein enormer persönlicher Zugewinn und auf jeden Fall für alle Beteiligten besser, als eigenes Fehlverhalten konstant zu leugnen.

 

 „Ich dachte das wäre okay.“

Jede Person hat eigene Grenzen, es sollte nicht einfach von irgendetwas ausgegangen werden. Lieber einmal zu viel nachgefragt als zu wenig. Ich habe es zum Beispiel sehr positiv in Erinnerung behalten, als mich jemand nach einem Slam ansprach und zuerst fragte, ob es für mich in Ordnung wäre, wenn er mir einen Drink kauft und sich zu mir setzt. Oft genug wird das einfach gemacht. Und dann kommen im Nachhinein oft Aussagen wie: „Ja, du hättest dich ja auch einfach wegsetzen können.“, „Du hättest ja aufstehen können.“, „Du hättest ja Nein sagen können.“

Nein, die Person hätte auch einfach kurz nachfragen können. Die Verantwortung wird ständig verlagert.

 

Beispiele für mögliche gesprächseinleitende Fragen:

„Darf ich dir ein Kompliment machen?“

„Möchtest du Kritik?“

„Ich finde dich sympathisch, darf ich dir einen Drink ausgeben?“

 

Und ihr Lieben, wir sind alle so daran gewohnt, nur Komplimente bezüglich der äußeren Erscheinung zu machen – warum versuchen wir nicht auch mal, mehr Komplimente zu Worten, zu Taten, zu Eigenschaften zu verteilen?

„Du tust mir gut.“

„Du kannst gut zuhören.“

„Deine Worte berühren mich.“

„Ich bewundere deinen Ehrgeiz.“

„Du bist klug.“

„Du bist stark.“

 

Damit muss nicht gespart werden. Verteilt diese Komplimente überall und ich bin sicher, sie werden einen tieferen Effekt erzielen als: „Du siehst gut aus“. Vielleicht hören wir so langsam auf, verstärkt auf die Oberfläche zu achten und vielleicht hilft es den Menschen, ihren Wert mehr von innen als von außen zu ziehen <3

 

 

Wer sich weiterführend mit dem Thema auseinandersetzen möchte, findet hier Informationen und Studien:

Studie zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/20191025_Studie_Sexuelle_Belaestigung.html

Studie zu sexueller Belästigung & Gewalt:

https://www.gewaltinfo.at/fachwissen/ausmass/uebergriffe/sexuelle_belaestigung_und_gewalt.php

„Frauen gegen Gewalt“ zu Belästigung:

https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/was-ist-das-208.html

Noch eine Studie zu Belästigung am Arbeitsplatz:

https://www.arbeiterkammer.at/service/studien/frauen/Sexuelle_Belaestigung_am_Arbeitsplatz.html

Ein Leitfaden zur Sensibilisierung:

https://www.dearemployee.de/ja-das-ist-sexuelle-belaestigung-hr-leitfaden-zur-sensibilisierung/

Hilfetelefon:

https://www.hilfetelefon.de/gewalt-gegen-frauen/sexuelle-belaestigung-am-arbeitsplatz.html

[1] Hier wurde die männliche Form verwendet, weil statistisch gesehen Belästigung hauptsächlich von Männern ausgehen. Natürlich können aber auch Frauen oder Enbys sich belästigend verhalten.