15. Februar 2021

Please mind the Gap

Als künstlerisch tätige Personen, die einem relativ alternativen Arbeitsmarkt angehören, könnte man gerne glauben, dass Probleme wie der Gender Pay Gap anderswo passieren. Dabei liegt ausgerechnet in der Kunst- und Unterhaltungsbranche der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen eigentlich vergleichsweise hoch (im Jahr 2017 betrug der Gender Pay Gap in Deutschland 21%, im Unterhaltungssektor waren es 32%).1 Während der Gender Pay Gap in den letzten Jahren von diesen 21% bis 2019 auf 19% gesenkt werden konnte, betrug die Brutto-Differenz der Gehälter von freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern 2019 20% – und dieser Unterschied scheint eher zu steigen, als zu sinken.² Im Poetry Slam diskutieren wir seit Jahren über ausgeglichene LineUps. Dabei geht es oft darum, dass auch Frauen sich repräsentiert fühlen müssen und in Backstages und auf Bühnen wohlfühlen sollen. Dieser Diskurs ist wichtig und hat mit der Zeit auch erste Früchte getragen. Ich befürchte nur das Geld hat noch niemand fair verteilt.

 

Rich Money GIF

 

Anmerkung bevor wir beginnen: Natürlich gibt es (auch in der Slam-Szene) mehr Geschlechter als Männer und Frauen und Frauen sind nicht die einzigen, die vom Gender Pay Gap betroffen sind. Da ich allerdings von eigenen Erfahrungen berichte, beinhaltet dieser Text die mit einigen Kolleginnen übereinstimmende (cis) weibliche Perspektive.

 

Die Ungleichverteilung der Sahnebonbons

Bringen wir den unangenehmen Teil gleich hinter uns: Das vermutet geringere Einkommen von Slammerinnen gegenüber männlichen Slammern liegt auch daran, dass wir viele Jobs in unserer Szene selbst vergeben und das wahrscheinlich immer noch nicht gerecht tun. Denn auch wenn bei einem normalen Poetry Slam alle Auftretenden ähnlich bezahlt werden (plusminus Anfahrtsweg und Professionalisierung), gibt es immer noch die Sahnebonbons unter den Anfragen, also Best-Of-Veranstaltungen, Feature Gäste und Moderationen. Über das Phänomen des kaum erreichbaren Inner-Circles der „Profi-Frauen“ wurde schon oft gesprochen. Früher hat es sich so angefühlt als müsste man es unter die fünf krassen Frauen schaffen, die angeblich die Einzigen waren, die man für besondere Anlässe buchen konnte. Währenddessen konnten Männer sich tendenziell schneller in einen viel größeren Pool aus supertollen Kerlen hocharbeiten. Mit der Zeit wurden aus den limitierten fünf Best-Of-Frauen bestimmt 30 und das ist immerhin etwas. Was die Moderationen angeht, hinken wir allerdings ein wenig hinterher, befürchte ich. Wer moderiert, bekommt mehr Geld, mehr Rampenlicht und kann sich hinterher „Moderator*in“ ins Portfolio schreiben, was direkt professioneller wirkt und ein Verkaufsargument für weitere Aufträge sein kann. Hier geht es also nicht nur um Geld, sondern auch um wichtige Bühnenerfahrung und Ansehen. Dass viele Veranstalter*innen mittlerweile ihre Bookings überdenken und den Stamm-Moderatoren auch mal eine Frau an die Seite stellen, ist lobenswert. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass die männlichen Moderationen immer noch deutlich überwiegen.

 

Looking Technical Difficulties Gif By Sticker

 

Jetzt kann ich schlecht sämtliche deutschsprachigen Slam-Moderationen überprüfen. Damit wäre vermutlich sogar unser berüchtigter Slam-Datensammler Arne Poeck überfordert. Womit Arne mir jedoch helfen konnte, war eine (nicht ganz vollständige, aber trotzdem beeindruckende) Liste der Moderationen bei den internationalen deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam von 2013 bis einschließlich 2019 („Ü20“)3. Um meinem Gefühl nachzuforschen, habe ich diese Liste einmal ausgezählt. Von den 170 aufgezeichneten Moderations-Slots waren nur 33 weiblich besetzt. Nur 11 Moderationen waren „rein weiblich“, also ohne männliche Co-Moderation (im Gegensatz zu 75 rein männlichen Moderationen). Noch ernüchternder wird das Ganze, wenn man sich auf die prestige-trächtigeren „großen“ Runden fokussiert: Nur fünf Halbfinal-Moderations-Slots waren von Frauen besetzt und nur drei Frauen durften Finalrunden moderieren. Die verfügbaren Daten weisen Lücken auf, wo vereinzelte Runden nicht aufgezeichnet wurden. Aus 2016 gibt es keine Zahlen. Die Verteilung an sich sagt noch nichts darüber aus, welche Zusammenhänge es geben könnte und wo die Ursachen für eine solche Ungleichbesetzung liegen. Auch sind die Meisterschaften nicht zu 100% repräsentativ für das alltägliche Szenegeschehen. Wenn in diesen Lücken aber nicht zufällig 100 Frauen ungesehen vor sich hin moderiert haben, bleibt diese kleine Hochrechnung dennoch erstaunlich.

 

Where My Girls At 90S GIF

 

Geld weiterreichen

Diese Schieflage setzt sich (again: gefühlt) fort, wenn es um externe Aufträge geht. Auch hier können wir uns als Szene leider nicht aus der Verantwortung nehmen. Oftmals werden Anfragen von Firmen unter Slammer*innen weitervermittelt oder eine Slam-Person bucht ein LineUp für Auftrags-Veranstaltungen. Ich freue mich riesig bei alltäglichen Slams mittlerweile mit mehr Frauen gemeinsam gebucht zu werden. Warum ich bei Firmen-Angelegenheiten hingegen trotzdem meistens noch eine von zwei „Quotenfrauen“ bin, falls nicht gar die Einzige, leuchtet mir nicht ein. Es ist vollkommen normal, dass man auf Wünsche der Auftraggeber*innen eingeht und meistens haben die nicht auf dem Schirm, dass nur Männer zu buchen nicht unbedingt cool ist. Das wäre aber eine prima Gelegenheit, um Firmen vom Gegenteil zu überzeugen. Ich wage zu behaupten, dass uns Aufträge nicht weggenommen werden, wenn wir sagen „Ich setze diese Veranstaltung gerne für Sie um, empfehle Ihnen folgende Zusammensetzung an höchst talentierten Künstler*innen – und ganz zufällig ist das LineUp dadurch sehr vielfältig besetzt“.

Nicht jede Anfrage bietet die Möglichkeit mehrere Personen zu engagieren. Wenn es um Einzelpersonen geht, lässt sich natürlich schlecht ausgewogen buchen. In solchen Fällen lohnt es sich darauf zu achten, wem wir welche Aufträge zukommen lassen. Es gibt ein einziges Feld, im dem ich mir vorstellen könnte, dass wir häufiger Frauen buchen als Männer: Workshops. Workshops sind wichtig und richtig und ich freue mich über jeden dieser Aufträge. Schwierig wird es allerdings, wenn wir für Workshops tendenziell Frauen buchen und als „Ausgleich“ den Männern die Auftragstexte geben. Bei aller Liebe für Nachwuchsförderung: Wenn ich die Wahl habe einen Workshop zu geben oder einen Auftragstext zu schreiben, würde ich immer Letzteres wählen und da geht es den meisten meiner Kolleg*innen ähnlich. Workshops sind in der Regel mehr Arbeit für weniger Geld. Mir ist selbst aufgefallen, dass ich Tendenzen hatte, pädagogische Jobs lieber an Kolleginnen zu vermitteln. Mittlerweile versuche ich darauf zu achten, nicht die Anzahl der Aufträge fair zu verteilen, sondern eher die Menge der Kohle, die dabei rumkommt. Klar ist es schön, wenn die Kids aus der 7a tolle Gedichte schreiben. Aber wisst ihr, was auch schön ist? Geld.

 

Hiring The Farewell GIF by Film Independent Spirit Awards

 

Was Firmen wollen

Kommen wir zu dem Aspekt, bei dem wir alle gemeinsam auf die böse Welt schimpfen können: Viele Aufträge kommen natürlich auch ohne die Vermittlung durch Slammer*innen zustande. Durch zahlreiche Gespräche mit Kolleg*innen fällt mir immer öfter auf, welche Firmen wen für was buchen. Während meine lieben männlichen Kollegen eher mal bei den Großkanzlei-Weihnachtsfeiern den lustigen Dude geben dürfen, werden wir Slammerinnen öfter von sozialen Projekten und für karitative Zwecke angefragt, die zwar allesamt toll sind, aber Anfragen dieser Art enden viel zu oft mit „leider haben wir kein großes Budget“. Ich kann mir viele Gründe denken, die zu diesen Tendenzen führen können. Geschlechter-Klischees, dass Frauen eher sozial und mitfühlend seien, spielen da sicher eine große Rolle. Auch die Annahme, dass Frauen nun mal leider nicht witzig sein können, hat da bestimmt ihre Finger im Spiel – Großkanzlei-Anwälte wollen bei ihrer Weihnachtsfeier schließlich Spaß haben. Bestimmt spielt auch ein wenig mit rein, dass Männer auf Poetry Slam Bühnen insgesamt noch präsenter sind. Was wir dagegen tun können? Vielleicht das Wort „Mädchenlyrik“ abschaffen, damit Slammerinnen auch als witzig wahrgenommen werden, Frauen auf große Bühnen bringen und unseren Kontakten mit all unseren fantastischen, talentierten Kolleginnen in den Ohren liegen. Ansonsten hilft wohl nur noch: Patriarchat zerschmeißen.

 

Millie Bobby Brown GIF by NETFLIX

 

Wer Geld haben will, muss Geld verlangen

In den Debatten rund um den Gender Pay Gap wird oftmals auch aufgeführt, dass Frauen ihre Gehälter bzw. Gagen anders (und dadurch oft weniger erfolgreich) als Männer verhandeln. So wurde zum Beispiel gezeigt, dass Frauen insgesamt niedrigere Gehälter verlangen, häufiger bereit sind für nichtmonetäre Faktoren wie beispielsweise Vereinbarkeit von Arbeit und Familie weniger Geld zu verlangen und eher dazu neigen, ein Angebot ohne weitere Verhandlung zu akzeptieren, um kein Risiko einzugehen, dass am Ende keine Vereinbarung zustande kommt.4 In Gesprächen mit Kolleg*innen habe ich bemerkt, dass auch im Poetry Slam Männer selbstbewusster höhere Summen verlangen und weniger mit sich verhandeln lassen, währen Frauen eher Kompromisse eingehen und sich für die verlangten Gagen rechtfertigen. Um diese Unterschiede aufzulösen wird von Studien empfohlen über Gehaltsunterschiede und verschiedene Taktiken aufzuklären5 – Vielleicht kann dieser Artikel ja ein Anfang sein. Insgesamt ist es wichtig, sich eine Verhandlungsstrategie zu überlegen und nicht einfach drauf los zu verhandeln. Hierbei hilft es ungemein, sich mit Kolleg*innen zu vernetzen und offen (also in konkreten Zahlen!) darüber zu reden, wie viel Geld man für welche Anfragen ansetzen kann. Außerdem können diese Tipps von Franziska Holzheimer hilfreich sein, sowie der Podcast „Chaos & Struktur“ von Tabea Farnbacher und Svenja Gräfen, dessen Folge zum Thema auch für diesen Text Hilfe & Inspiration war.

Leider liegt nicht alles in der Hand der verhandelnden Person. So gibt es auch Forschungsergebnisse, die deutlich machen, dass Frauen von potenziellen Arbeitgeber*innen bzw. Kund*innen diskriminiert werden: Männern wird von vorne herein ein höherer sozialer Status bzw. eine stärkere Verhandlungsposition attestiert, während Frauen explizit verdeutlichen müssen, eine professionelle, ernstzunehmende Verhandlungspartnerin zu sein.6 Das ist nicht fair, heißt aber auch, dass es sinnvoll sein kann, vor allem als Frau bewusst auf professionell und förmlich formulierte e-Mails zu achten, sowie beispielsweise Zertifikate, Auszeichnungen und bisherige Aufträge auf der eigenen Homepage gut einsehbar zu platzieren. Ach so und natürlich: Patriarchat zerschmeißen.

 

This Is Tiring Season 3 GIF by Gilmore Girls

 

Woher willst du denn das alles wissen?

Dieser Text ist kein wissenschaftlicher Artikel. Hätte ich Lust auf Forschung gehabt, wäre ich mit meinem Psychologie-Abschluss heute keine selbstständige Künstlerin. Ich möchte nicht von Zusammenhängen sprechen, die ich nicht absichern kann, nur von Beobachtungen und Gefühlen erzählen, die ich mit vielen Kolleginnen teile. Für eine umfassende Debatte zum Thema müssten ohnehin mehr Personen gehört werden als nur ich Weiße cis Frau, die in dieser Szene quasi aufgewachsen ist. Dieser Text ist mehr Bemerken als Beschwerde, aber eben dieses Bemerken ist mir ein Anliegen. Wer steht im Rampenlicht im großen Finale?  Gleiche ich meine LineUps nicht nur nach Außenwirkung, sondern auch nach Gagen aus? Wer bekommt die Kinderbetreuung und wer die Kohle? Vielleicht ist es absurd über eine „faire“ Geldverteilung in einem ungeregelten Berufsfeld wie unserem zu reden – und das auch noch während einer Pandemie, in der wir alle gleichermaßen wenig verdienen. Ich weiß auch nicht ob und wie man die bestehenden Verhältnisse ändern kann. Sie zu bemerken wäre aber bestimmt ein guter Anfang.

 

Bild: Benjamin Stolle (whitedesk)

1 statistisches Bundesamt

² „Frauen und Männer im Kulturmarkt – Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage“, G. Schulz & O. Zimmermann, 2020

3 Gezählt wurden nur die öffentlichen Runden, keine Rahmenveranstaltungen wie bspw. Erotikslams oder Slammy-Awards. Fehlende Aufzeichnungen oder „tba“ wurden nicht eingerechnet.

4 „Schlecht gepokert? Warum schneiden Frauen bei Gehaltsverhandlungen schlechter ab als Männer?“, K. Wüst & B. Burkart, 2012

5 ebd.

6 „Ask and Ye Shall Receive? How Gender and Status Moderate Negotiation Success“, Emily T. Amanatullah & Tinsley, 2013