4 Punkte, und jetzt?
Genauso wie das Leben an sich, hat Poetry Slam auch Höhen und Tiefen. Das bedeutet aber nicht, dass du davor Angst haben musst. Ganz im Gegenteil, man lernt immer wieder aus den Tiefen und daraus bilden sich neue Höhen. Im Folgenden berichte ich dir, was mir einer meiner ersten Auftritte gelehrt hat: keine Angst vor schlechten Wertungen zu haben und, dass man Texte nicht für andere, sondern für sich selbst schreiben sollte.
Ja, manchmal hat man Angst. Manchmal hat man so sehr Angst, dass man sich fühlt, als könnte man sich nicht von der Stelle bewegen. Aber im Endeffekt geht es darum, zu der Angst hin und nicht von ihr weg zu laufen. Das kostet eine Menge Überwindung, aber glaub mir: am Ende ist es das wert.
Das Ding mit der Wertung
Es gibt ja unterschiedliche Slams: Slams mit Punkte- oder Applauswertung und Slams ohne Wertung als Poetry-Slam-Show. Ich war damals auf einem Poetry Slam mit Punktewertung. Schon bevor der Slam überhaupt anfing, war ich total nervös und hatte Angst vor einer schlechten Wertung. Dann ging’s los: ich stand auf der Bühne und habe meinen Text vorgetragen, danach war die Wertung an der Reihe. Ich weiß noch, dass nicht weit weg von mir eine 9 hochgehalten wurde und in etwa der gleichen Entfernung, ein bisschen weiter in der anderen Richtung, eine 4. Der Rest war irgendwo so im 6er/7er-Bereich.
Meine Augen waren sofort fixiert auf diese 4 Punkte. Ich fühlte mich angegriffen, in meiner Denkweise und in meiner Art zu schreiben. Schließlich ist es ja ein selbstgeschriebener Text, in dem ich meine Gedanken zum Ausdruck brachte. Ich machte mir Gedanken, ob der Text (und ich?) tatsächlich so „schlecht“ war(en). Ob es überhaupt Sinn macht, weiter zu schreiben, oder ob ich es nicht doch lieber lassen sollte. Es war einer meiner ersten Auftritte und diese Wertung bedeutete viel für mich. Das war auch der Grund, warum mich diese Tafel mit den 4 Punkten lange verfolgte, vielleicht sogar bis heute. Ich las mir den Text nochmal und nochmal und nochmal durch und konnte nicht loslassen. Erst recht nicht, als der Abend vorbei und ich wieder zuhause war. Ich dachte, dass die schlechte Wertung nicht nur etwas über den Text aussagte, sondern auch über mich als Person.
Die nächsten Tage nach dem Auftritt
Ich war unfassbar demotiviert und hatte keine Lust mehr zu schreiben, weil sich meine Gedanken immer noch um diese 4 Punkte kreisten. Ich weiß noch, was mich damals noch mehr getriggert hat: die Frage in mir, wann ich denn das nächste Mal hinter einem Mikrofon stehen würde. Ich war verunsichert. Bei jedem potenziellen Auftritt sah ich diese Wertung vor mir und verband diese damit, dass ich nur schlechte Texte schrieb. In mir war ein unglaublicher Druck, weil ich das Gefühl hatte, nicht gut genug zu sein. Ich habe mir selbst so viele Fragen gestellt: „Was, wenn ich wieder eine schlechte oder sogar eine noch schlechtere Wertung bekomme? Ist auf der Bühne stehen und mich bewerten zu lassen wirklich das, was ich machen will?“
Eine andere Frage, die ich mir stellte, war, wann ich denn zuletzt geschrieben hatte – es war vor diesem Auftritt. Und das machte mich traurig, weil ich gerne schrieb. Also setzte ich mich an meinen Schreibtisch und begann wieder zu schreiben, aber etwas war anders. Ich habe nur noch für die Menschen im Publikum geschrieben – und nicht mehr für mich. „Was könnte ich schreiben, sodass es sich gut anhört? Was könnte ich schreiben, sodass es jeden anspricht?“ – waren die Standard-Fragen beim Schreiben meines neuen Textes, weil ich Angst hatte, wieder eine schlechte Wertung zu erhalten. Der Textentwurf ist nicht zu einem Text geworden, weil es mir so – irgendwie alles verbunden mit Zwang – keinen Spaß gemacht hatte, zu schreiben. Ich schreibe doch eigentlich aus meinem Kopf heraus, und denke dabei nicht erst an die Meinungen anderer. Ich habe viel nachgedacht und dabei ist mir etwas klar geworden, das ich unter dem ganzen Druck gar nicht gesehen hatte…
Mindshift
…es geht nicht darum, Leute zu beeindrucken oder „die:der Beste“ zu sein. Es ist egal, was irgendjemand aus Unterbrotpfann zu deinem Text sagt und es geht nicht darum, was andere Poet:innen von deinem Text halten. Es geht darum, was du von deinem Text hältst.
Lass es auf der Bühne mehr darum gehen, dass du mit deinem Text zufrieden bist und, dass du etwas tust, was dich glücklich macht. Dass du das, was dich bewegt, laut aussprichst. Deine Geschichten und Gedanken teilst und dabei du selbst bist.
Wenn du nämlich im Inneren mit dir im Reinen bist, gibt es nichts, was dich von außen so schnell aus der Bahn werfen kann, seien es Wertungen oder andere ungewünschte Reaktionen – und das ist wohl das gesündeste Mindset, mit welchem du auf die Bühne gehen kannst.
Was ich aus den 4 Punkten gelernt habe
Ich habe oben geschrieben, dass mich die 4 Punkte bis heute noch verfolgen. Das stimmt, aber es gibt einen Unterschied zu damals. Ich habe den 4 Punkten eine andere Bedeutung gegeben. Die Wertung war für mich eine Erkenntnis. Ich verbinde sie nicht mehr mit negativen, sondern mit positiven Gefühlen. Ich habe durch diese Wertung mein Warum gefunden und jedes Mal, wenn ein Teil in mir wieder Angst bekommt (z.B. auf der Bühne einen neuen Text vorzutragen), rufe ich mir die Wertung ins Gedächtnis und zeige mir dadurch mein Warum auf:
Ich möchte das Publikum mit meinen Worten zum Nachdenken anregen und ihm neue Sichtweisen zeigen. Ich möchte das Publikum durch meine Worte berühren und es etwas fühlen lassen.
FÜR DICH: Lass dir das unbeschreibliche Gefühl nicht nehmen, wenn du etwas erschaffst, dass dich strahlen lässt. Hab den Mut! Geh los! Für deine Träume! Für Dich! Du bist es wert! ♥