19. Juli 2021

How to Geschlechtervielfalt

Über Frauen, Gendersternchen, und wen wir im Line-up sehen (wollen)

Alle paar Wochen wieder sehe ich es an Orten auftauchen, an denen es nichts zu suchen hat: das Gendersternchen. Grundsätzlich bin ich ja ein großer Fan des Gendersternchens. Es schließt in Worten wie Poet*innen oder Künstler*innen alle Geschlechter (männlich, weiblich, und nicht-binäre Geschlechter) ein, es etabliert sich immer mehr, und ich finde, es sieht auch noch hübsch aus[1]. Es macht eine Menge Wörter vielfältiger, gibt ihnen Tiefe und Ausdruckskraft. Und dann gibt es bestimmte Worte, die verlieren an Inklusivität, wenn sie durch ein Sternchen ergänzt wird. Zu diesen Worten gehört zum Beispiel Frau* oder in der Mehrzahl dann Frauen*.

Wieso denn eigentlich das Sternchen?

Um zu verstehen, wieso das Sternchen am Wort Frau(en) überhaupt ein Problem ist, müssen wir erst einmal aufdröseln, wer denn von denen, die das Wort verwenden, damit gemeint ist und auch, wie der Ausdruck denn überhaupt entstanden ist. Grundsätzlich soll das Gendersternchen ja verdeutlichen, dass Geschlecht ein gesellschaftliches Konstrukt ist – und dass somit also auch Sprache konstruierbar, formbar und veränderlich ist, und das ganz nach den Bedürfnissen der jeweiligen Gesellschaft. Wir können hier den ersten, wichtigen Punkt mitnehmen, nämlich, dass also auch das weibliche Geschlecht an sich ein Konstrukt ist. Irgendwelche Menschen haben sich über die Jahrhunderte oder eher Jahrtausende gesellschaftsspezifische, weibliche Stereotypen ausgedacht und sie verfestigt – so weit, so logisch, so bekannt.

Was das Sternchen hinter Frau(en) problematisch macht

Was passiert nun, wenn mit einem Sternchen hinter Frau(en) auf dieses Konstrukt aufmerksam gemacht werden soll? Das erste Suchergebnis auf Google sagt mir, dass mit dem Sternchen verdeutlicht werde, „dass es sich auf alle Personen bezieht, die sich unter der Bezeichnung „Frau“ definieren, definiert werden, und/oder sich sichtbar gemacht sehen“. Übersetzt: Alle, die sich also (teilweise) als Frau sehen. Und ihr merkt schon, es braucht also kein Sternchen hier. Wer sich als Frau definiert, findet sich im Normalfall im einfachen Wort „Frau“[2] sofort wieder.

Der Ausdruck Frauen* hingegen hat eine problematische Wirkung. Es scheint zu sagen: „Da gibt es eben Frauen, und dann die anderen, die eben auch ‚irgendwie‘ Frauen sind, weil sie das selbst so ‚beschlossen‘ haben“. Und das, mit Verlaub, ist einfach Bullshit. Trans Frauen sind Frauen, so wie cis Frauen Frauen sind. Es braucht kein Sternchen, um Frauen im Wort Frauen sichtbar zu machen. Alle für eins, eins für alle.

Intendiert wird mit dem Begriff „Frauen*“ aber meist, nicht nur cis und trans Frauen anzusprechen, sondern auch noch „die, wegen denen es dieses Gendersternchen überhaupt gibt“[3], nicht-binäre Menschen nämlich, also Menschen, die sich nicht (nur) einem der beiden binären Geschlechter zugehörig fühlen. Von ihnen werden viele von der Gesellschaft als weiblich gelesen und sie erfahren dadurch grundsätzlich dieselbe Misogynie wie Frauen auch. Trotzdem sind sie keine Frauen, sondern eben nicht-binäre Personen, und auch wenn sie sonst sprachlich durch einen Genderstern sichtbar gemacht werden, gibt es in diesem Fall deutlich elegantere und treffendere Lösungen, sie anzusprechen als mit einem Sonderzeichen hinter „Frau“. Der Genderstern soll ja eben nicht nur gesellschaftlich weiblich gelesene, nicht-binäre Personen sichtbar machen soll, sondern alle – und dann kann man z.B. auch von FINTA-Personen sprechen. FINTA steht für female, inter, nonbinary, trans, agender.

Wen wollt ihr auf Bühnen sehen?

Wenn nun also Slam Veranstaltende in Facebookgruppen oder Instagramposts nach Künstler*innen für ihre Line-Ups suchen, passiert derzeit noch häufig folgendes: „Wir brauchen dringend noch eine Frau* für unseren Slam übermorgen in XYZ“ oder „Frauen* gesucht für Feminismus Slam“ oder auch Wortkreationen wie „Fem* Slam“. Gemeint ist am Ende eigentlich: „Wir haben zu viele als männlich gelesene Personen auf Bühnen, wir wollen aber eigentlich Diversität.“ Und ich frage mich dann: Wieso schreibt ihr das nicht so? Und wieso heißt Diversität nur weiblich gelesen? Was ist mit als nicht-weiblich gelesenen nicht-binären Menschen, mit trans Männern, mit intergeschlechtlichen Personen? Was sagt das über uns aus, dass wir Menschen, in dem wir sie äußerlich „lesen“, sofort wieder in ein binäres System einordnen (nämlich weiblich und männlich)?

Liebe Veranstalter*innen,

lasst euch von Diversität mehr herausfordern. Diversität ist mehr als binäre Geschlechter. Diversität ist die Repräsentation aller Geschlechter, aller Körper, aller Hautfarben, aller Kulturen, aller sexuellen und romantischen Orientierungen, undundund, kurzum: allem, was Menschen ausmacht – auf, hinter, vor den Bühnen. Fordert euch selbst heraus – und auch euer Publikum. Euer Publikum will sich identifizieren können – je mehr und diversere Möglichkeiten ihr ihm mit den Auftretenden und deren Themen gebt, desto wahrscheinlicher fühlt sich auch das Publikum gesehen, bestärkt, ermutigt auch selbst offen und selbstbewusst aufzutreten, egal ob nun auch auf Bühnen oder abseits davon.

Also: ladet divers ein. Aber macht die Diversität nicht ausschließlich an dem fest, wie Menschen ihr Geschlecht ausdrücken und erst recht nicht daran, wie ihr deren Geschlechtlichkeit lest und (binär) einordnet, und vor allem, lasst den Ausdruck „Frauen*“ gehen. Sofern er nicht als Selbstbezeichnung benutzt wird, ist er vor allem eines: transfeindlich. Wenn ihr trans, inter und nicht-binäre Menschen auf euren Bühnen haben wollt, kontaktiert das Netzwerk TINte für Kontakte (TIN = Trans, Inter, Nicht-nbinär). Für Facebookgruppengesuche und sonstige Posts nutzt zum Beispiel, wie oben erwähnt, den Begriff FINTA. Seid euch dabei aber eben auch im Klaren: Zu FINTA gehören auch Männer und von euch als Männer gelesene Personen. Schenkt auch ihnen euer Vertrauen und vor allem Platz auf euren Bühnen.

Und ganz zum Schluss: Bucht doch einfach mal zuerst Diversität und füllt dann mit weißen endo[4] cis Männern auf – und nicht andersrum. Das beugt der verzweifelten Suche am Ende vor und es ist insgesamt mehr Platz für (Geschlechter-)Vielfalt.

 

 

[1] Dazu möchte ich sagen: ich finde auch _ eine absolut adäquate Lösung, und sollte sich irgendwann die Gesellschaft für eine all-geschlechter-inklusive Lösung ohne * entschieden haben, bin ich auch komplett dabei.

[2] Es gibt Menschen, die „Frau*“ für sich als Selbstbezeichnung gewählt haben. Auch das ist natürlich absolut legitim und muss respektiert werden. Aber: was für einige gilt, gilt eben nicht für alle.

[3] Dazu einen kurzen Exkurs in die Geschichte der geschlechtersensiblen Sprache. Bereits in den 1980er Jahren begannen deutsche Feminist*innen sich für eine solche Sprache einzusetzen, die eben nicht mehr nur das generische Maskulinum verwendete. In den folgenden Jahrzehnten etablierten sich u.a. die Nennung der beider binären Geschlechter („Poetinnen und Poeten“), die Nutzung des Binnen-I („PoetInnen“), neutraler Begrifflichkeiten („Schreibende“) und eben geschlechterinklusiver Methoden wie dem Gendersternchen oder dem Unterstrich (Poet*innen, Poet_innen).

[4] Endogeschlechtlich ist das Gegenteil von intergeschlechtlich.