20. Februar 2023

„Slam ist immer noch furchtbar weiß“ – Was sich ändern muss

Nachdem Anfang November die 26. Deutschsprachige Poetry Slam Meisterschaft über die Bühne des Wiener Burgtheaters gegangen ist, schwirrt mir ein Tweet von Fabian Navarro immer noch im Kopf herum:

„…(Slam) ist immer noch furchtbar weiß und voller Akademikerkinder Mitte 20…“. Die Veränderungsprozesse, die sich gerade in Gang setzen, lassen aber auf eine positive Entwicklung hoffen, schreibt er. Das hoffe ich auch, aber ich habe trotzdem Zweifel. 

 

Intersektionaler Feminismus?

Ich hasse Slam und ich liebe Slam beides richtig doll. Es ist kein Geheimnis, dass die Szene superweiß ist. Aber irgendwie bleibt es bei dieser Erkenntnis und mehr passiert dann nicht. Versteht mich nicht falsch, Einsicht ist der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung. Aber es bringt nichts, wenn man dann nicht weitergeht.

Wir reden endlich mehr über die Sichtbarkeit von FLINTAs auf Bühnen und das ist sehr wichtig und sehr gut, aber Awareness sollte da nicht enden. Es bringt nichts, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, als sei es damit erledigt. Veranstaltende müssen anfangen, auch andere marginalisierte Gruppen konsequent mitzudenken und zu buchen. Gerade Schwarze Menschen und People of Color sind im Slamkontext immer noch stark unterrepräsentiert. 

Dabei hat die Schwarze Community bzw. das afroamerikanische „Black Arts Movement“ in den 60er Jahren die Anfänge von Spoken Word stark mitgeprägt. 

 

„Spoken word, specifically slam poetry, is often criticized as simplistic or lacking merit, but for decades, it has been a powerful tool of expression and activism in the Black community”1

(Spoken Word, insbesondere Slam Poetry, wird oft als simpel oder minderwertig kritisiert, aber seit Jahrzehnten ist es ein mächtiges Werkzeug des Ausdrucks und des Aktivismus in der Schwarzen Gemeinschaft)

 

Wir sind so oft immer noch die Menschen „mit Migrationshintergrund“. Die fast Vergessenen, aber ach ja, da war ja noch was. Wo sind die BiPoC Poet*innen auf den Slam Bühnen im deutschsprachigen Raum?

 

BIPOC

Die Abkürzung „B(I)PoC“ ist ein politischer Begriff, der sich auf Schwarze, Indigene und People of Color bezieht. Person of Color (Plural: People of Color, abgekürzt PoC) ist eine Bezeichnung für Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß angesehen werden und sich aufgrund ethnischer Zugehörigkeit Alltags- und anderen Formen von Rassismus ausgesetzt sind

Weiß(sein)

Weißsein bezeichnet eine soziale Konstruktion und wird genutzt, um die dominante Mehrheitsgesellschaft zu beschreiben, die häufig nicht benannt wird. Weiße Personen verfügen über Privilegien und Macht, indem sie sich unter anderem nicht mit Rassismus auseinandersetzen müssen

Migrationshintergrund

Die Verwendung des Begriffs „mit Migrationshintergrund“ außerhalb statistischer Betrachtungen ist umstritten, da er auch in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder von Zugewanderten als „anders“ und damit „nicht richtig zugehörig“ kategorisiert.

 

Von Allyship und Zugehörigkeit 

Viele Texte von weißen Poet*innen wirken manchmal wie eine Demonstration oder Rechtfertigung, um zu zeigen, dass man sich der eigenen PrIvIlEgIeN bewusst ist. Und dann? Passiert nichts. Schließlich hat man sich bestätigt, dass man selbst nicht so ist. Dass man selbst nicht rassistisch/sexistisch/oder-sonst-was ist. Spoiler: Ist man eben doch. 

Es ist fast ironisch, weil ich durch Slam das erste Mal das Gefühl hatte, wo dazuzugehören. Gerade für die Szene in Wien und alle Menschen von FOMP, die mich unermüdlich gefördert und unterstützt haben, bin ich unendlich dankbar. Und gleichzeitig hatte ich immer das Gefühl, bei Slams fehl am Platz zu sein. Zum einen, weil ich häufig die einzige nicht-weiße Person im Line-Up war. Zum anderen, weil so viele subtile, aber rassistische Mikroaggressionen2 und ungute Situationen passiert sind und nur wenige Menschen, eingeschritten sind oder sich solidarisch gezeigt haben.   

Rassismuskritik hört nicht dabei auf, ein, zwei Bücher zum Thema zu lesen. So viele Leute bezeichnen sich als Ally, aber sagen dann GAR NICHTS zu rassistischen Vorkommnissen – häufig mit der Begründung, sich nicht gut genug auszukennen. 

 

Nachwuchs und mangelnde Repräsentation 

“Aber es gibt einfach nicht genügend BiPoC Poet*innen” dieses Argument ist auch nicht mehr gültig. Es gibt sie. Es gibt sie immer mehr. Ihr müsst sie nur auf eure Bühnen lassen. Und wenn ihr in eurer Stadt niemanden kennt, dann fragt bei anderen Poet*innen nach und nutzt deren Netzwerke. 

Der Nachwuchs muss aktiv und stärker gefördert werden und es müssen Räume geschaffen werden, die auch für BiPoCs zugänglich sind. Wenn Schwarze Menschen oder Personen of Color niemanden auf der Bühne sehen, mit dem sie sich identifizieren können, dann macht es das automatisch schwerer, sich selbst auf der Bühne zu sehen. Oder anders ausgedrückt: Wenn ich niemanden wie mich auf der Bühne sehe, wie soll ich dann wissen, dass ich da hinkommen kann?

Es ist ein bisschen vergleichbar mit der Gender- und Stereotypenforschung in der Linguistik, wie Morgaine Prinz, wunderbarer Mensch, Poetin und Slam-Alphas Vorstandsmitglied, angemerkt hat: Wenn Mädchen immer nur von Ärzten und Krankenschwestern lesen, denken sie, dass Jungs Ärzte werden können und sie selbst eben die Hilfskraft. 

 

Was sich ändern muss

Ich hasse Slam und ich liebe Slam beides richtig doll. Ich bin dankbar für die Menschen, die ich kennenlernen durfte: Manchmal krasse Künstler*innen, die ich zuvor nur von YouTube kannte und manchmal Menschen, die mittlerweile meine Freund*innen sind. Ich bin dankbar für die Bühnen, auf den ich stehen durfte, die Texte, die ich teilen konnte. 

Aber ich bin auch so frustriert, so unendlich müde. Manchmal frage ich mich, ob ich das Problem bin, ob ich zu empfindlich bin, ob ich zu sehr übertreibe. Dass dieser Frust, diese Wut, die ich spüre, ungerechtfertigt ist. Aber es geht nicht nur mir so. Das Problem ist nicht persönlich, sondern strukturell. 

Was muss sich also ändern? Elif Duygu, eine fantastische Slam Poetin und gute Freundin von mir, hat es bereits auf den Punkt gebracht: Slam muss auch in die Außenbezirke kommen und nicht nur in den Hipstervierteln bleiben. Workshops sollten nicht ausschließlich an Gymnasien abgehalten werden und BiPoC Poet*innen sollten nicht nur ab und zu oder einmal im Jahr zum „internationalen Tag der Muttersprache“ eingeladen werden, sondern jedes Mal. Ich möchte fette Ausrufezeichen hinter diese weisen Worte von Elif setzen!!!

Ich habe keinen Schritt-für-Schritt-Plan, was genau getan werden muss, um die Szene weniger weiß zu gestalten. Aber ich denke oder hoffe zumindest, dass ein diverseres Lineup auch ein diverseres Publikum anziehen wird. Ein diverseres Booking, das queere Personen, behinderte Menschen, Schwarze Menschen, People of Color und weitere marginalisierte Gruppen mitdenkt, muss deshalb selbstverständlich werden. 

Die Szene ist immer noch „furchtbar weiß“, das ist kein Geheimnis. Aber ich glaube nur, wenn wir weiter darüber sprechen und Bewusstsein schaffen, können wir aktiv nach Wegen suchen, um das zu verändern. Wir haben alle unsere blinden Flecken – und da nehme ich mich nicht raus – aber wir sollten aktiv daran arbeiten, uns ihrer bewusst zu werden. Diese Diskussionen sind wichtig. Auch wenn es unbequem ist. 

 

1 Poetry as a Cultural Weapon: Black Poets and the Power of Spoken Word – Quench (cardiffstudentmedia.co.uk)

 

2 (Rassistische) Mikroaggressionen sind alltägliche verbale oder verhaltensbedingte Äußerungen, ob absichtlich oder unabsichtlich, die feindselige oder abfällige rassistische Beleidigungen und Kränkungen gegenüber BIPOCs vermitteln. Obwohl sie oft nicht verletzend gemeint sind, können sie dazu führen, dass Menschen sich unsicher und unwohl fühlen und ihnen das Gefühl geben, nicht dazuzugehören.