20. Februar 2017

Es ist ja auch Werbung für dich!

 

Ich bin Schriftstellerin und Poetry Slammerin – das ist mein Beruf. Ich verdiene Geld damit, Texte zu schreiben und mit ihnen aufzutreten. Davon zahle ich meine Miete, mein Essen, meine Versicherung. So wie die meisten anderen auch.

 

In letzter Zeit werde ich immer häufiger angefragt, ob ich nicht bei der Eröffnung eines hippen Stores, einem Firmenjubiläum oder einer Kulturhaus-Veranstaltung auftreten möchte. Sie hätten mich mal dort oder hier auf der Bühne gesehen und wollen mich nun gerne für ihre Veranstaltung. Ach so: Bezahlen könnten sie leider nichts. Aber es wäre ja auch Werbung für mich.

Spontan möchte ich dann immer gern bei meinem Vermieter nachfragen, ob ich umsonst bei ihm wohnen könne – das wäre ja auch Werbung für ihn. Auf eine solche Idee käme aber natürlich niemand. Genauso wenig, wie man beim Bäcker oder im Klamottenladen fordern würde, für Brot und Bluse nicht bezahlen zu müssen. Auch bei dem_der Frisör_in würde sich wohl kaum jemand trauen, einen gratis Haarschnitt zu verlangen – schließlich liefe man mit der Frisur dann ja herum und das wiederum wäre prima Werbung für den Laden!

So funktioniert das nicht – in keinem anderen Bereich. Das muss man doch auch als Veranstalter_in verstehen, denke ich mir, denn im Prinzip ist es ganz einfach: Von Werbung kann ich meine Miete nicht bezahlen. Trete ich also irgendwo unbezahlt auf, müsste ich einen anderen Job annehmen, mit dem ich Geld verdiene. Und dann wiederum hätte ich keine Zeit mehr, irgendwo aufzutreten.

Nur von Spaß kann man nicht leben

Ein Argument ist dann immer: Aber es macht dir doch Spaß!

Ja, klar – meine Kolleg_innen und ich machen Kunst und ja, wir machen das gerne. Ja, tatsächlich, es macht uns Spaß. Und ja, höchstwahrscheinlich würden wir auch Kunst machen, wenn wir unser Geld in einem Brotjob verdienen würden – und noch ausreichend Zeit dafür hätten. Wir haben uns aber eines Tages dazu entschieden, das Risiko einzugehen, nur von der Kunst zu leben. Festes Gehalt: Fehlanzeige. Altersvorsorge: Fragezeichen. Krankengeld: nicht vorhanden.

Dafür können wir im Schlafanzug im Büro sitzen. Und wir können damit Geld verdienen, was uns glücklich macht. Das ist der Unterschied. Aber dass wir uns für so etwas Risikoreiches entschieden haben und dass uns unser Beruf Spaß macht, ist doch kein Grund, uns nicht für unsere Arbeit zu bezahlen, oder?

Weist man Veranstalter_innen auf diese Tatsache hin, gibt es drei mögliche Arten der Reaktion:

Im schlimmsten Fall erhält man 1. gar keine Antwort mehr und ärgert sich über die verschwendete Zeit. Oder 2., der_die Veranstalter_in ist ganz verständnisvoll, weiß die künstlerische Arbeit natürlich zu schätzen – und hat aber dennoch bereits das Budget ausgeschöpft. Wovon man sich im wahrsten Sinne des Wortes auch nichts kaufen kann, aber immerhin etwas besänftigt ist. Oder, 3. und letzte Möglichkeit, der_die Veranstalter_in lenkt ein und fragt, wie das branchenübliches Honorar aussieht, um sich nach der Nennung einer Summe zu empören: „300 Euro für ’ne Stunde Lesung?! So ’nen Stundenlohn hätte ich auch gern!“

Die unsichtbare Arbeit

Das ist das nächste Problem:  Der ständige Zwang, sich für die Höhe der Honorare rechtfertigen zu müssen.

Wie oft musste ich schon erklären, dass es eben nicht bloß ‚eine Stunde Lesung’ ist, für die ich bezahlt werde. Darin steckt so viel mehr: Ich sammele Ideen, ich fahre zur Recherche an Orte, besuche Menschen, rede mit ihnen, ich lese Emails, beantworte Emails, ich denke wieder nach, schreibe, tippe Emails, kaufe Bücher zur Recherche, bearbeite den Textanfang, fahre Zug, überarbeite, schreibe, telefoniere, tippe, lerne auswendig. Nebenbei programmiere ich noch meine Homepage, teile in sozialen Netzwerken meine Termine, schreibe Pressemappen, Presseinfos, Texte für Flyer, beantrage Fördergelder, erstelle Berichte von Veranstaltungen, für die ich Fördergeld beantragt habe, schreibe, überarbeite, maile, treffe mich mit Veranstalter_innen, konzeptioniere, lese, schreibe, lerne auswendig. Damit ‚die Stunde Lesung’ dann eben auch gut wird. Das passiert nämlich nicht von ganz allein. Und dann geht auch noch die Steuer ab. Und ich sollte was für den Fall zurücklegen, dass ich mal krank bin. Als Puffer. Und Altersvorsorge. All das.

Aber natürlich sieht das niemand, wenn ich auf einer Bühne stehe und Texte performe.

Wir müssen sensibilisieren!

Als ich angefangen habe, Geld mit meinem Schreiben zu verdienen, hatte ich noch einen anderen Job auf Honorarbasis, bei dem ich pro Tag etwa 150 Euro verdient habe. Wenn ich Anfragen bekommen habe, erklärte ich den Veranstalter_innen immer folgendes:

Ich kann gerne kommen und auftreten. Dann muss ich mit An- und Abreise zwei Tage Zeit einplanen, die ich mir freinehmen muss von meinem anderen Job. Dort würde ich pro Tag 150 Euro verdienen. Deswegen ist meine Arbeit für den Auftritt 300 Euro wert. Anders geht’s leider nicht, weil mir sonst niemand meine Miete zahlt.

Mit diesem Gedankenspiel war es für viele Veranstalter_innen plötzlich nachvollziehbar. Denn ich mache diesen Job nicht, um mich selbst zu bewerben – es ist letztlich ein Job wie jeder andere, der also auch genauso bezahlt werden muss. Das klingt vielleicht unromantisch, ist aber eine so, so wichtige Tatsache.

Deswegen, liebe professionelle Künstler_innen: Nehmt es nicht einfach so hin, wenn ihr dreiste Anfragen ohne Honorarmöglichkeit bekommt. Sensibilisiert eure Umgebung! Sensibilisiert euch! Nehmt diese Jobs nicht an! Und empfehlt auch niemanden weiter. Veranstalter_innen sollen gar nicht erst das Gefühl bekommen, dass es irgendeine_n Professionelle_n gibt, der_die für einen Auftritt ohne Honorar tatsächlich anreisen würde.

Und liebe Veranstalter_innen: Wenn ihr professionelle Künstler_innen buchen wollt, überlegt euch, welche Leistung sie bringen, wie viel Arbeit sie haben (auch, wenn ihr die nicht immer sehen könnt) und was euch das Ganze wert ist. Denkt dran, dass ihr auch den_die Barkeeper_in nicht fragen würdet, ob sie umsonst arbeiten wollen. Denkt dran, wie sehr euch unbezahlte Überstunden selbst nerven. Denkt dran, dass auch ihr nicht eure_n Vermieter_in fragt, ob ihr umsonst bei ihnen wohnen könnt. Egal, wie viel Spaß ihnen ihr Beruf auch machen mag: Künstler_innen leben nicht vom Applaus, auch Künstler_innen müssen Rechnungen bezahlen, auch Künstler_innen haben letzten Endes: einen ganz normalen Job. Also seid fair. Aus Werbung kocht man sich eben kein Abendessen.