Nein heißt Nein
Sie steht hier und er dort. Ihr gegenüber. Gar nicht so weit entfernt. Wenn man es genau betrachtet, sogar exakt ein Schrittchen zu nahe, über der Grenze der sonst allgemein respektierten Privatsphäre. Sie bemerkt diese Aufdringlichkeit zwar, doch der Abstand ist gefühlt noch nicht gering genug, um wirklich etwas dagegen zu sagen. Sie möchte ja auch kein unnötiges Aufsehen erregen, also weicht sie einfach ein Stückchen zurück.
So ganz eindeutig sah das aber wohl noch nicht aus, denn ohne zu zögern, folgt er ihr einen Schritt weiter.
Jetzt steht er da. Diesmal definitiv zu nah. Ihn höflich anlächelnd, dreht sie sich demonstrativ weg.
Er kommt daraufhin noch einen Schritt näher, sodass sie ihn jetzt eindeutig von sich schieben muss. Ein weiterer Überzeugungsschritt ist dennoch nötig. Zum ersten Mal sagt sie also etwas. Ein einfaches Wort, das eigentlich alles endgültig klären sollte: „Nein.“
Er? Versteht: „Ja!“ Oder so ähnlich, zumindest kommt er wieder.
Sie ruft jetzt also: „NEIN!!“
Und er?
Versteht: „JA!!“ Oder so ähnlich, zumindest kommt er wieder. Und wieder und wieder und wieder.
Sie schlägt jetzt Nein, sie tritt jetzt Nein und sie schreit jetzt Nein! Und er…? Sagt nur: „Ist ja gut, komm mal runter, sag das doch gleich, wenn du nicht willst.“ Sie wird still. Betreten schaut sie zu Boden. Sie schämt sich, denn er hat Recht…
Sie hätte gleich aufhören sollen ihn anzulächeln und zu lachen, wenn er einen Witz erzählt hat, hätte ihm nicht antworten sollen, wenn er mit ihr geredet hat und sowieso aufhören sollen ihn anzusehen. Aber sie dachte, dass man das halt so macht, wenn man beieinander steht. Aber sie hatte doch „Nein“ gesagt und gedacht, dass damit klar wäre, wie sie das alles meint. Eben wie ein „Nein“. Vielleicht war es ja etwas zu zart gewesen oder ihr Blick nicht wirklich fest entschlossen dabei. Aber sollte das nicht eigentlich egal sein?
Ist denn nicht jedes „Nein“ genau gleich viel wert?
Wieso habe ich manchmal das Gefühl, dass man gewissen Leuten erst ein Schwert in die Brust rammen muss, damit sie verstehen, dass man das mit dem „Nein“ auch wirklich ernst meint? Wenn dir jemand sagt, er*sie möchte jetzt keine Schokolade, glaubst Du ihm*ihr doch auch nicht erst, wenn er*sie dir die ganze Tafel aus der Hand schlägt! Wieso ist ein einfaches „Nein“ also in diesen Situationen weniger wert als in allen anderen?
Ist es vielleicht, weil wir Unterwäsche tragen, die manchmal auch noch schön ist?
Das tun wir auch einfach mal nur für uns. Und klar, manche Outfits sind echt heiß, aber das Wetter auch. Und wieso sollten wir nicht heiß sein dürfen? Ohne uns dadurch zu verpflichten, irgendwem anderen einen Gefallen zu tun oder die Verantwortung für ankommende verbale und körperliche Grenzüberschreitungen zu übernehmen. Aber auch Frauen selbst denken oft auf diese Weise. Wir sind teilweise so sehr in alten Denkmustern gefangen, dass wir den Fehler bei uns selbst suchen und über solche Situationen lieber schweigen.
Daher die Frage: Wo fängt sexuelle Grenzüberschreitung eigentlich an?
Bei einer Vergewaltigung? Bei dem armen Mädchen aus den Nachrichten, von dem du neulich gehört hattest, das es jemandem zum Opfer fiel? Oder vielleicht bereits bei dem Kommentar auf der Straße, den sie einfach hin nimmt, weil es nur unangenehmen Stress gibt, wenn man in dem Moment etwas sagt? Aber das Gefühl danach, von Leere und Beschmutzung, das sie noch eine Weile begleitet, das trägt nur sie alleine.
Und wo findet sexuelle Grenzüberschreitung übrhaupt statt? In schmutzigen Ecken, in die keiner geht, und ein ehrenwerter Mann sowieso gleich dreimal nicht? Oder vielleicht letztens im Club, wo Du sie geküsst hast, obwohl sie offensichtlich kein Interesse daran hatte? Oder sogar im eigenen Bett, als Du einfach so große Lust hattest und Deine Freundin aber gerade eigentlich nicht bereit dazu war? Aber für die Ruhe, dafür, keine Diskussion ertragen zu müssen… Dafür hat sie halt mitgemacht.
Ich weiß, dass nicht alle Männer so sind. Ich möchte nicht generalisieren, sondern lediglich sensibilisieren, denn oft genug habe ich von Männern gehört, dass solch geschilderte Situationen für sie unvorstellbar wären. Entweder, weil sie sich selbst nie so verhalten würden, oder weil ihnen ihr Verhalten gar nicht bewusst ist. Aber für viele Frauen sind genau diese Ereignisse Teil des Alltags und egal wie sehr wir dabei sind, den Gender-Gap zu reduzieren, an diesem Punkt scheitern wir immer noch täglich. Deswegen möchte ich damit aufhören, ein Tabu-Thema daraus zu machen. Denn ich möchte nicht damit aufhören müssen, Menschen auf der Straße anzulächeln, weil mein Gegenüber das als Aufforderung interpretieren könnte, mir zu nahe zu kommen.
Ich will mich weiterhin ernsthaft für das Leben meiner Mitmenschen interessieren können, bereit sein, eine Tasche zu tragen oder gar ein Kompliment zu machen, egal ob Mann* oder Frau*. Viel zu oft höre ich bei diesem Thema aber immer noch die Aussage: „Aber wenn Frauen „Nein“ sagen, meinen sie doch eh eigentlich ja.“ Liebe Leute, in den seltenen Momenten, in denen das tatsächlich der Fall ist, hat man im besten Fall bereits ein Safe Word abgemacht. Und wenn es doch mal ein “eigentlich ja” gewesen sein sollte und Du deine Chance deswegen verpasst hast? Dann hast Du sie halt verpasst. Und sie auch. Vielleicht lernen wir dann wenigstens daraus, ehrlicher zu kommunizieren, uns klarer auszudrücken und wirklich einfach ja zu sagen, wenn wir es auch meinen. Damit wir uns in Zukunft alle wieder verstehen können.
Denn wenn Männer anfangen, ein Nein zu respektieren, sagen Frauen vielleicht auch einfach öfter Ja. Wer weiss.