21. Oktober 2019

Wie das Slammen zu einem Protest gegen mich selbst wurde

Poetry – Protest – Passion

Seit ich 10 Jahre alt bin, schreibe ich Texte. Meine Slam-Karriere ist allerdings relativ jung. Sie hat erst Ende letzten Jahres mit dem Protest-Slam des Referats für Politische Bildung in Heidelberg begonnen. Mein damals vorgetragener Text richtete sich gegen Rassismus, gegen die Unterdrückung von Frauen in Religionsgemeinschaften, sexuelle Gewalt, die Marginalisierung von psychischen Krankheiten und gegen Menschenrechtsverletzungen. Slam-Auftritte sind wunderschöne Momente des Protests. Hunderte von Menschen schenken Aktivist*innen ihre Aufmerksamkeit, respektieren die Worte in bewegter Stille und schenken ihnen gebührende Anerkennung mit ermutigendem Applaus. Poetry Slam ist deshalb für mich zu einer Bühne geworden, auf der ich meinem Aktivismus leidenschaftlich Ausdruck verleihen kann. Ich bin bis heute überwältigt davon, wie viele Menschen ich erreichen und berühren durfte. Unter dem Motto Poetry – Protest – Passion habe ich angefangen zu slammen – und das hat sich bis heute bewährt.

 

Meine Hautfarbe und ich werden keine Freunde

In den letzten Wochen sind meine Auftritte zu einem Protest gegen mich selbst geworden. Ein Protest gegen meine Komplexe. Ein Protest gegen meine Ausreden und ein Protest gegen all die Werte und Normen, mit denen ich nicht einverstanden bin, aber die ich trotzdem verinnerlicht habe. Also gewissermassen zu einem Protest gegen die gesellschaftlichen Moralvorstellungen, die einen festen Platz in mir selbst gefunden haben, selbst wenn ich sie nicht vertrete. Mein neuster Text heisst «Meine Hautfarbe und ich werden keine Freunde». Eines der persönlichsten Eingeständnisse, nämlich, dass ich meine Hautfarbe an mir selbst nicht schön finde, trage ich auf die Bühne, um für inklusivere Schönheitsideale und gegen meine Komplexe zu protestieren. Im Sommer könnte dieser Protest nicht aktueller sein. Ein paar Stunden Sonnenschein und ich werde sichtbar dunkler. Die meisten sehen mir das nicht an, doch es reicht, dass ich mich selbst nach einem Tag Sonne skeptisch im Spiegel betrachte. Denn in diesen Momenten ist es egal, ob mich die anderen schön finden oder nicht. Ich habe die Vorstellung, dass hell sein schöner ist, so tief verinnerlicht, dass eine meiner Stimmen das Ideal in Dauerschleife abspielt, obwohl alle anderen, vernünftigeren Stimmen sich dagegen aussprechen. Ein bisschen gebräunt zu sein, ist in der westlichen Gesellschaft das anstrebenswerte Schönheitsideal für den Sommer, aber dunkelhäutig zu sein nicht wirklich. Generell ist die Farbe Schwarz in der westlichen Kultur mit negativen, dunklen Kräften konnotiert, während Weiss für Frieden und Reinheit steht. Doch auch in der indischen Kultur gilt ‘je heller desto schöner’. Selbst bei indisch-klassischen Tanzauftritten in der Schweiz wird man mit einer dicken Schicht heller Hautfarbe bemalt, um schöner zu sein. Kein Wunder sitzen die Komplexe, eine dunkle Hautfarbe zu haben, so tief. Einerseits werden aufgrund meiner Hautfarbe meine Existenz als Schweizerin und meine Deutschkenntnisse ständig in Frage gestellt. Andererseits verrät meine Hautfarbe meine Herkunft und deshalb wird meine westliche Lebensweise von Menschen gleicher Herkunft verurteilt oder gar öffentlich denunziert.

 

Poetry Slam als Protest gegen Parallelgesellschaften

Mir ist es wichtig, den Protest gegen die Implikationen, die meine Hautfarbe und meine Herkunft mit sich bringen, nicht nur privat, sondern auch öffentlich auszutragen und Bewusstsein für diejenigen Konflikte zu schaffen, unter welchen Tausende von Secondos (2. Generation von Migrant*innen) leiden. Denn in der liberalen Zelebrierung der Multikulturalität werden die konservativen, sich oft auf Zwang und Gewalt berufenden Parallelgesellschaften eher selten thematisiert. Dass integrierte Menschen mit Migrationshintergrund von Menschen gleicher Herkunft ausgegrenzt und diskriminiert werden, ist zwar bekannt, doch fehlt oft die Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft für die Betroffenen. Das liegt auch daran, dass Parallelgesellschaften gegen aussen ein friedliches Bild abgeben und die internen Zwangsmechanismen geheim gehalten werden, sodass der Öffentlichkeit nur wenig über die Innenwelt dieser Diasporagesellschaften bekannt ist. Die Perspektive der Secondos, welche unter den Parallelgesellschaften leiden, wird selten zur Sprache gebracht, weil öffentliche Kritik an den Parallelgesellschaften Beschimpfungen oder sogar Gewaltdrohungen zur Folge haben können. Vielleicht habe ich auch deshalb lange gezögert, das Thema in Form von Slam-Texten zu verarbeiten. Aber inzwischen überwiegt für mich die Notwendigkeit, Bewusstsein für die Konflikte des multikulturellen Zusammenlebens zu schaffen und differenziertere Debatten zu den Themen Migration und Rassismus anzustossen. Poetry Slam ist für mich deshalb zu einer Plattform geworden, auf welcher ich gegen die Implikationen meiner Hautfarbe protestiere. Gegen die Vorurteile meines Erscheinungsbildes, gegen meine Komplexe und gegen jegliche Spuren rassistischer und sexistischer Gesinnungen – sowohl in der Diaspora als auch in der Mehrheitsgesellschaft.

Auftritt am 15. Wortsplitter Poetry Slam in Mannheim © Tamara Schmitt

And the protest goes on…