3. Februar 2020

Der Slam und die liebe Wertung

Lasst uns doch mal über andere Formen der Bewertung in der Slam-Szene reden als über die Wertungstafeln – und darüber, dass auch diese Wertungen wehtun können.

Haha, witzig. Ich dachte eigentlich immer, du seist voll arrogant.“

Es ist ein bisschen traurig, aber die beiden Sätze, die ich von Fremden (ungefragt!) am häufigsten höre, lauten:

  • „Bist du dir sicher, dass man deinen Namen so schreibt?“
  • „Wow, wenn man dich nicht kennt, schätzt man dich echt ganz anders ein.“

Auf die Nachfrage, wie man mich denn vorher einschätze, kommt meistens irgendeine höflichere Form von: „Naja, dümmer halt. Und irgendwie arrogant.“

Aha, danke.

Zugegeben: Mein Name schreibt sich wirklich sehr ungewöhnlich. Trotzdem (könnte man ja wohl davon ausgehen, dass ich weiss, wie). Zudem passiert es mir echt oft, dass ich beim ersten Eindruck entweder unter- oder falsch eingeschätzt werde. Zumindest oft genug, um mir hart auf die Nerven zu gehen.

Und ich glaube, ich bin da nicht die Einzige.

Was hat das mit Slam zu tun?

In dem Moment, in dem wir eine Bühne betreten, werden wir bewertet. Und zwar noch bevor wir das erste Wort ins Mikro gesprochen haben.

In den ersten Sekunden auf der Bühne kreisen die Gedanken mindestens genau so sehr um das eigene Äußere und die Rezeption desjenigen, wie um den vorzutragenden Text. Das habe ich mit dutzenden Slammer*innen besprochen und es betrifft anscheinend hauptsächlich Frauen*.

Das Ding mit der Bewertung

Naturgemäß enden Vorurteile, sobald uns unsere Freund*innen, Kolleg*innen oder Chef*innen besser kennen. Aber das Slam-Publikum kennt uns ja im Normalfall nicht.

Und ja, schon klar: Wir bewegen uns in einem Format, das von Wertungen lebt. Das ist mir bewusst. Aber ich rede von etwas anderem: Ich glaube, die optische Erscheinung einer Poetin* beeinflusst die Wertungen stärker, als sie das dürfte.

Wir könnten das Thema angehen, indem wir sensibler zwischen Wertung (1-10, x/o etc.) und Bewertung differenzieren. Zweiteres betrifft nämlich unser Sein und nicht unsere Leistung – und das kann verdammt weh tun.

Kann es sein, dass genderbezogene Vorurteile und stereotype Bilder von Frauen* und Weiblichkeit in der Gesellschaft immer noch so tief verankert sind, dass bei Slammerinnen* oft eher schlechter gewertet wird, als es dem Vortrag entsprechen würde, weil ein erheblicher Teil des Publikums mehr damit beschäftigt ist, über die Optik nachzudenken als dem Text zuzuhören? Wird bei Slammerinnen* mehr bewertet als gewertet?

Zumindest an mir selbst habe ich beobachtet, dass ich erheblich öfter eine Runde weiterkomme, wenn ich ungeschminkt auf die Bühne gehe (und mit sehr weiten Pullis… und manchmal mit fettigen Haaren) – hauptsächlich dann, wenn viele Leute im Publikum sitzen und der Altersschnitt eher jung ist.

Man könnte fast meinen, je egaler mir mein Aussehen scheint, desto besser die (Be)Wertung.

Es ist mir peinlich, aber: Das ist mir nicht egal

Ich würde so gerne von mir behaupten können, dass es mir wurscht ist, wie irgendjemand mich findet. Aber das wäre einfach gelogen.

Es ist mir nicht egal, wenn ich bei einem Auftritt alles gegeben habe und danach jemand aus dem Publikum (oder noch schlimmer: im Backstage) zu mir kommt und mir sagt „Weißt du, mit offenen Haaren wärst du hübscher – vielleicht probierst du das beim nächsten Auftritt ja mal aus.“

So ein Kommentar ist nämlich nicht nur unangebracht, sondern auch sexistisch. Denn darin geht es alleine darum, wie ich aussehen müsste, um jemand anderem besser zu gefallen. Mal abgesehen davon, dass auch ungebetene Kommentare zu Text und Performance paternalistisch sind, sollte eigentlich allen klar sein, dass gut aussehen und jemand anderem zu gefallen (allgemein im Leben, aber vor allem auch auf der Slam-Bühne) nicht meine Aufgabe ist und auch nicht über meine Daseinsberechtigung entscheidet.

Leider kommt es aber immer wieder zu solchen Momenten – und leider nehme ich sie mir auch viel zu oft zu Herzen. Das ist mir peinlich. Und es ist mir erst recht peinlich, wenn ich selbst in diese Falle tappe: Jemand kommt durch die Backstage-Tür rein und ist mir sofort unsympathisch.

Na super.

Was hilft

Was mir wirklich hilft, ist das Gefühl, nicht gegeneinander zu spielen, obwohl es am Ende des Slams eine*n Gewinner*in gibt.

Bewertungen verlieren in einem Safe-Space ihre Macht. So ein Safe-Space könnte zum Beispiel der Backstage sein. Wir haben zwar keinen Einfluss auf das, was die Leute im Publikum von uns halten und wieviel Vorurteile da jetzt genau bei der Wertung mitspielen, aber wir haben einen Einfluss darauf, wie wir miteinander umgehen und die Szene gestalten.

Wir könnten beispielsweise aufhören, ungefragt Tipps zu verteilen und stattdessen nachfragen, ob er*sie überhaupt Feedback haben möchte. Wir könnten einfach mal ehrlich darüber reden, wenn wir aufgeregt, unsicher oder enttäuscht sind über eine Wertung. Wir könnten uns auch mal an der eigenen Nase fassen und an uns selbst beobachten, wie oft wir eigentlich andere bewerten, ohne dass es uns selbst auffällt.

Ich bin davon überzeugt, dass sich eine wohlwollende Haltung innerhalb der Szene auch auf das Publikum auswirkt.