16. März 2020

Künstlerin und Mutter – vom Überleben und Dazulernen

Sommer 2016: Ich bin seit einem Jahr selbstständig. So richtig selbstständig, mit Steuerzeug und Rechnungen und Terminplanung und Agentur im Rücken und immer unterwegs. 2015 hatte ich 265 Reisetage. Ich war nie zuhause. Soziale Events wie der Geburtstag meiner Mutter oder die Hochzeit meiner besten Freundin müssen mir sehr lange im Voraus angekündigt werden. Ich brauchte ein Save-the-Date, bevor andere überhaupt nur über das Jahr nachdenken.
Auch Sommer 2016: ein positiver Schwangerschaftstest in meiner Hand. Wow, puh, wie war das nochmal mit Kindern? Da muss man zuhause sein, oder? Oder mitnehmen? Oder was? Oder überhaupt Geld verdienen? Wenn ich kein Geld verdiene, wovon lebe ich denn dann? Karottenbrei?

 

Es ist nicht so, dass mich die Schwangerschaft damals überraschend erwischt hat. Trotzdem habe ich erst in dem Moment so richtig darüber nachgedacht, was es heißt, ein Kind zu haben und selbstständig zu sein. Und mich gefragt, ob das überhaupt funktionieren kann. Eines war für ich sehr schnell klar: Dieses Kind wird mich nicht davon abhalten, Dinge zu tun. Aber auch: Für Bier, Pizza und ein durchgelegenes Hostel-Bett kann ich jetzt nicht mehr unterwegs sein.

 

Natürlich ist die Sichtweise, aus der ich hier schreibe, sehr privilegiert. Wir sind zu zweit für das Kind zuständig, ich verdiene Geld, ich habe eine (tolle!) Wohnung und ich kann sehr viele Kinderlieder sehr gut auswendig. Weil ich aber oft gefragt werde, wie das denn ginge, mit Selbstständigkeit und Kind und Körperpflege, will ich ein bisschen davon berichten.
Manchmal frage ich mich, wie ich meine Zeit verbracht habe, bevor ich Mutter geworden bin. Vermutlich mit YouTube, Instagram und Gesichtsmasken. Ich kann mich nicht so richtig erinnern. Denn, wenn das Kind bei mir eine Sache verändert hat – neben der Tatsache, dass Kinder alles verändern – dann, dass ich fokussiert bin. Ich muss es sein. Ich habe JETZT zwei Stunden für einen Text – und kann nicht erst 1,5 davon mit einem Video über die richtige Pflege der Monstera verbringen. Ich habe einen genauen Plan für jeden Monat. Die Tage sind quasi minütlich durchgeplant. Ich weiß, was ich wann schreiben, abgeben und tun muss. Ich weiß, wann mein Kind wo sein wird und wer wann auf dieses Kind aufpassen muss. Das zum Beispiel ist etwas, was viele Menschen sehr überraschend finden. Auch im Jahre 2020. Dass andere Menschen auf das Kind aufpassen als ich.

 

Ich arbeite gern. Ich brauche die Bühne und das Unterwegssein wie die Luft zum Atmen (in jeden Elterntext gehört ein bisschen Pathos). Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass es dem Kind gut geht, wenn es der Mutter gut geht. Und mir geht es nicht gut, wenn ich mich wochenlang nur mit Windel- und Brustinhalten beschäftigen kann. Also war ich recht schnell wieder unterwegs und werde seither ständig gefragt, wo mein Kind gerade sei, während ich auf irgendeiner Bühne Texte vorlese. Spoiler: Es lebt noch. Und es ist ok. Mehr müssen die Leute ja auch nicht wissen. Aber, um hier ehrlich zu sein, dieses Unterwegssein bedarf heute natürlich viel mehr Aufwand als früher. Es ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Denn, wenn ich nur für den:die Babysitter:in aufgetreten bin, dann fühlt sich das vielleicht schön an, bringt am Ende aber (außer dem:der Babysitter:in) gar niemandem etwas.

 

Ich habe es sehr zu schätzen gelernt, wenn Veranstalter:innen ohne Nachfrage anbieten, dass das Kind und sogar noch eine Betreuungsperson mitkommen können. Dass es von einigen inzwischen als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird, dass Menschen mit Kindern auch auftreten – Grüße gehen raus nach Hamburg. Aber: Ich kann das nicht so gut. Es geht hier gar nicht ums Kind. Es geht um mich. Ich kann nur mit freiem Kopf auf einer Bühne stehen, wenn im Backstage kein aufgeregtes Kind wartet. Ich trenne das bewusst. Hier Bühne, dort Familie. Alle sind da anders – für uns funktioniert es am besten, wenn das Kind zuhause oder bei Oma und Opa bleibt und ich meinen Kram alleine machen kann. Mein Alltag ist inzwischen sehr gut durchgeplant. Das Kind geht in die Kita, ich sitze am Schreibtisch und schreibe Texte – zum Beispiel diesen hier. Später springe ich in einen Zug und fahre zu einem Job oder verbringe meine Nachmittage auf dem Spielplatz oder dem Spieleteppich. Abends checke ich nochmal die Mails und dann ist auch mal gut. Ich bin nicht mehr vierundzwanzig Stunden erreichbar und erstaunlicherweise funktioniert mein Leben trotzdem noch.

 

Ein überlebenswichtiger Tipp, wenn sich die Prioritäten verschieben, kam von meiner Freundin Pauline Füg. Pauline erzählte mir, dass sie sich ein Jahres- oder Monatsbudget vornimmt, für das sie ehrenamtlich Jobs machen kann. Dinge, die ihr wichtig sind, die sie unterstützen möchte, die aber nicht besonders gut oder gar nicht bezahlt werden. So mache ich das auch, seitdem ich Mutter bin. Früher habe ich – auch aus Angst, nicht die Miete zahlen zu können – fast jeden Job angenommen. Heute bin ich gezwungen, abzuwägen, ein gutes Mittelmaß zwischen Jobs und Freizeit zu finden. Dabei lautet mein Tipp nicht: Kriegt Kinder, um euer Leben auf die Reihe zu kriegen (ihr schlaft dann in der Regel nämlich nicht mehr). Aber ich glaube, man kann von Menschen, die ihren Alltag gut organisieren müssen, viel lernen – und das sind meistens Leute mit Kindern. Oder Hunden.

 

Das ganze Arrangement bricht nur dann in sich zusammen wie ein Kartenhaus, wenn das Kind krank wird. Wenn die Anzeige auf dem Fieberthermometer am Abend immer höher klettert, fängt in meinem Kopf eine Maschinerie an zu arbeiten: Wer bleibt wann zuhause, was kann ich absagen, was muss ich machen, wer kann einspringen, wie lange wird es dauern? Andere müssen für diese Aufregung im Kopf einen Konzern leiten, für mich reicht der heiße Kopp meines Kindes. Und dann ist es am Ende manchmal so, dass ich wirklich Dinge absagen muss. Weil das Kind immer die erste Priorität ist. Weil wir meistens abwechselnd zuhause bleiben und ich mir dann die Rosinen – sprich, die gut bezahlten Sachen – rauspicke. Auch das muss man lernen und auch damit muss man in der Selbstständigkeit planen.

 

So wie es ist, finde ich es für mich perfekt. Bevor ich Mutter geworden bin, haben Leute zu mir gesagt: „Es ist das Beste auf der Welt, als Mutter selbstständig zu sein.“ Bevor ich Mutter geworden bin, haben Leute zu mir gesagt: „Es ist das anstrengendste auf der Welt, als Mutter selbstständig zu sein.“ Beides stimmt. Es ist sinnvoll, sich einen Plan zu machen – für Zeit, Finanzen und diesen ganzen Firlefanz, den eine Selbstständigkeit so mit sich bringt. Es ist auch sinnvoll, mit allen Beteiligten zu besprechen, wie man sich das denn dann so vorstellt, wenn das Kind da ist. Auf der anderen Seite weiß ich jetzt auch: Nix ist planbar. Und das ist doch eigentlich das Beste am Leben.

 

Beitragsbild von Simona Bednarek