2. März 2020

Vom Schreiben leben

Du stehst zum ersten Mal bei einem Poetry Slam auf der Bühne – und zack!, im nächsten Augenblick bist du freischaffende Autorin und drückst dich mal wieder vor der Steuererklärung. Wie ist das, wenn aus einem Hobby ein Job wird? Ein persönlicher Rückblick.

 

Okay, krass: Vergangenen Monat, im Februar 2020, hatte ich zehnjähriges Bühnenjubiläum. 10. ZEHN! Eine Dekade! Ich weiß noch, wie unglaublich begeistert ich war, als ich erfuhr, dass Poetry Slam existiert. Ich kam vom Dorf, war 19, steckte mitten im Abi und hatte mich bis dahin bloß an der leisen Hoffnung festgehalten, dass es irgendwo da draußen doch auch noch andere Menschen geben musste, die schrieben — und zwar in ihrer Freizeit, nicht nur für den Deutsch-Leistungskurs. Nachdem ich sämtliche damals auf YouTube verfügbaren Slam-Videos angesehen hatte, meldete ich mich für den nächsten Koblenzer Reimstein an. Ich schrieb etwas, das ich für einen witzigen Slam-Text hielt, lieh mir das Auto meiner Eltern, flog in der Vorrunde raus und war mehr als nur verknallt: Volles Haus und tolle Stimmung im Publikum. Das zittrige Herzklopfen vorm Auftritt. Der Auftritt! Der Backstage-Raum! Andere Menschen, die schrieben! What, Fahrtgeld?! Und dann gab’s auch noch Tapas.

 

Aus der Schule zum Slam

Seitdem begleitet mich Slam. In den ersten Monaten als neues Hobby, für das ich immer wieder Freund*innen überreden musste, mich irgendwohin zu fahren, wo es eine Bühne gab. Dann zog ich nach Berlin – und vor mir lag das schiere Slam-Paradies – auch wenn es etwas dauerte, bis ich alles so richtig verstanden hatte („Was ist jetzt so krass an diesem Ruhrgebiets-Slam, von dem alle reden?“, fragte ich mich etwa im Oktober 2010).

Ich fing an, als man sich schon von den alten Zeiten erzählte – nach Shows mit 20 Leuten im Line-Up in WG-Küchen übernachten etc. – und als es bereits sehr professionell und mitunter gut bezahlt vonstattenging. Es fiel mir nicht schwer, mich 2011 erstmal gegen die Uni und für die Bühne zu entscheiden. Etwa ein Jahr lang war Slam alles, was ich machte. In meiner WG schaute ich bloß ab und zu zum Wäschewaschen vorbei, das klassische Tourpoet*innen-Leben also. Und als ich dann tatsächlich doch noch studierte, lebte ich den Luxus, mich durch Auftritte und die Leitung von Slam-Workshops an Schulen finanzieren zu können. Natürlich war das oft auch stressig – ich geriet an zu viele Dozent*innen, die die Anwesenheitspflicht mehr als wörtlich nahmen, und spielte wie viele andere Slammer*innen mit dem Gedanken, das Studium einfach abzubrechen – lief doch alles auch so gut! Und außerdem hatte ich ja noch ein anderes Eisen im Feuer, nämlich mein Romanprojekt.

 

Vom Slam zum Buch

Es gab nicht den großen Cut. Ich studierte irgendwie fertig, überarbeitete das Manuskript, trat weiterhin bei Slams auf – und hatte dann das Glück, meinen ersten Buchvertrag zu unterschreiben, noch bevor ich mein Bachelorzeugnis ausgehändigt bekam. Mein erster Roman „Das Rauschen in unseren Köpfen“ erschien Anfang 2017 und drängte Slam in den Hintergrund – zumindest, was die Zahl meiner Auftritte anging. Ansonsten wurde diesem Background plötzlich sehr viel beigemessen: Ah, man liest total raus, dass du Poetry Slammerin bist! So eine rhythmische Sprache! No shit! Wann hat Sprache denn keinen Rhythmus? Gibt es überhaupt einen Unterschied beim Schreiben von Slamtexten und von Romanen? Guess what, natürlich gibt es den. Tatsächlich hat beides für mich auch heute noch eher wenig miteinander zu tun: Ich schreibe Texte für die Bühne und ich schreibe Romane.

Und zwar plötzlich beruflich. Beziehungsweise nein, nicht wirklich plötzlich – ich bin ziemlich smooth reingeschlittert in dieses ‚vom Schreiben leben’. Zwar mit merklichen Schritten wie dem Wegfall des Studierendenstatus oder dem Eintritt in die Künstler*innen-Sozialkasse. Aber trotzdem sitze ich noch heute manchmal da und denke mir: Okay, Moment, wie strange ist das, ist es wirklich mein Job, zu schreiben? Habe ich gerade frei oder arbeite ich?

Egal ob Slam oder Roman, it’s not all about fancy Hotelfrühstück und ausverkaufte Shows. Auch als freischaffende*r Autor*in oder Tourpoet*in musst du dich um die Buchhaltung kümmern, die Steuer erklären, hinzu kommen (Eigen-)Werbung, die Organisation von Auftritten/Lesungen, die Kommunikation mit Auftraggeber*innen und natürlich Recherche und das Schreiben selbst, ob für Bühne oder Buch. Und Zugfahrten sind nicht immer ein angenehmer Quell der Inspiration, sondern können ziemlich anstrengend sein.

 

Vom Buch zum Job

Wenn man etwas zum Job macht, das vorher ein (wenn auch sehr zeitintensives) Hobby gewesen ist, dann macht man eben – genau das! Diese Sache ist dann kein Hobby mehr. Das ist manchmal schwer zu verstehen – für dich selbst und vor allem für andere, die dich zum Beispiel nicht für deine Arbeit bezahlen wollen, weil du das ja eh gerne machst. Außerdem kann es Grund genug sein, plötzlich gar nicht mehr so cool zu finden, was du zuvor beinah bedingungslos geliebt hast – als es nämlich noch ein schöner Ausgleich zum Uni- oder Arbeitsalltag gewesen ist – und nicht selbst deine Arbeit.

Natürlich macht es trotzdem auch noch Spaß. Ich liebe es, mein eigener Boss zu sein, mir meine Zeit einteilen zu können, wie es mir gefällt (oder die Deadline es zulässt). Aber ich bin keine Freundin dieses neoliberalen Postkartenspruchs Choose a job you love, and you’ll never have to work a day in your life! Ich finde es durchaus okay, Arbeit auch als Arbeit zu bezeichnen und nicht immer alles ausnahmslos super zu finden, obwohl ich mir diesen Job selbst ausgesucht habe. Ich bin manchmal überfordert – von zu vielen Terminen, Aufträgen und Ideen oder von zu wenigen. Ich hab’ manchmal Angst, nicht genug Geld zu verdienen oder nie wieder eine Idee zu haben. Es ist toll, wenn’s grade läuft, man von Auftritt zu Lesung zu Auftritt tingelt und sich wichtig fühlt – aber zu diesem Leben gehören auch Phasen, in denen es nichts vorzuzeigen gibt, in denen Neues entsteht. Die gilt es auszuhalten, genauso wie die Tatsache, dass ein kreativer Prozess nicht nur daraus besteht, sich von früh bis spät hochinspiriert die Finger wund zu tippen, sondern zu einem beachtlichen Teil auch aus Leere und Warten. Das ist nicht immer angenehm.

 

Vom Job zum Schreiben

Ich habe eine Weile ganz bewusst versucht, mich vom Slam zu distanzieren — auch weil ich dachte, das sei nötig, um als Romanautorin ernstgenommen zu werden. Es ist ja kein Geheimnis, dass das Format in Literaturkreisen oft – und tatsächlich immer noch – belächelt wird. Poetry Slam, das sind doch diese Studis, die in Kneipen WG-Geschichten vorlesen und so tun, als wären sie echte Autor*innen! Nichts als schlechte Texte und Selbstinszenierung! Als gäbe es in der Literaturwelt nicht ebenfalls schlechte Texte, als wäre die Branche nicht selbst eine einzige, ewig andauernde Selbstinszenierung. Inzwischen denke ich mir – whatever. Ich mache, was ich mache.

Seit Jahren scherze ich regelmäßig, dass ich ‚nur’ als Zuschauerin sicher nie zu einem Slam gehen würde. Und es stimmt, ich saß bisher selten im Publikum und häufiger Pizza essend backstage, während die Veranstaltung lief. Aber ich bin dennoch unzählige Male auch Zuschauerin gewesen. Ich habe bei Meisterschaften mitgefiebert und nervös Punkte zusammengerechnet. Habe hinter Bühnen und Vorhängen gestanden und zugehört, habe Lieblingstexte mitgesprochen, laut gelacht, mir die Kehle heiser geschrien (NRW Slam 2011, looking at you!), ich habe Idole getroffen, Freund*innen supported und selbst Poet*innen auf die Bühne moderiert. Ich war inspiriert und motiviert und habe auf Aftershow-Partys Textfetzen in Notizbücher geschrieben. Ich war oft genug genervt, habe ab und an alles verflucht und mehr als einmal groß verkündet, ‚nie wieder’ bei Slams auftreten zu wollen. Aber ich bin bis heute nicht davon losgekommen. Ich habe literally schon mal innerhalb von zehn Minuten sowohl meinen offiziellen Slam-Ruhestand ausgerufen als auch eine Auftrittsanfrage angenommen. Irgendwo in mir steckt – und spätestens jetzt wird’s kitschig – immer noch eine 19jährige, die schreiben, schreiben, schreiben will und für die sich durch Slam vor zehn Jahren (10!) eine komplett neue Welt eröffnet hat. Ich verdanke der Szene so unglaublich viele großartige Auftritte und Erfahrungen, so viele tolle Freund*innen, dazu Bekannte in ungefähr allen Städten, die es gibt, und nicht zuletzt meine Fähigkeit, auf Bühnen und mit Mikrofonen ganz gut zurechtzukommen. Schreiben gehört schon immer zu mir, und Slam hat mir erstmals ermöglicht, vom Schreiben leben zu können (und sichert nach wie vor einen Teil meines Einkommens!).

Slam kann ein Sprungbrett sein – in die Literatur, ins Kabarett, ins Fernsehen, in Musik- oder Stand-Up-Karrieren (es wird gemunkelt, man könne als ehemalige*r Slammer*in gar eine Literaturinstituts-Professur bekleiden oder in der Bachmannpreis-Jury sitzen), aber es ist auch so viel mehr als nur das. Und wann immer ich mich frage, warum zur Hölle ich eigentlich mache, was ich mache; wann immer ich alles über den Haufen werfen will oder in einer Schreibkrise nicht weiterweiß, dann weiß ich wenigstens immer noch – „The points are not the point, the point is poetry. If you don’t understand the poem, feel it. And if you don’t understand the feeling, poem.“

Vom Schreiben leben ist harte Arbeit. Aber ziemlich oft ist es auch unglaublich schön.