Die witzigen Texte gewinnen halt immer
Stellen wir uns alle kurz eine klassische Backstage-Situation vor. Es sind viele bekannte Gesichter da und ein oder zwei Leute dabei, die erst seit kurzer Zeit Poetry Slam machen. Jemand fragt, was man so für Texte liest. Irgendwer sagt „lustige Prosa“ und ein Slam-Neuling sagt: „Ja klar, die witzigen Texte gewinnen ja auch immer.“ Und manchmal widerspricht dann jemand. Manchmal.
Ich glaube, „die witzigen Texte gewinnen halt“ ist eine der größten Mythen, die unter Slam-Beginner*innen kursieren. Direkt gefolgt wird der Satz dann meistens von „Aber ich bin nunmal nicht lustig.“ Und bei beiden Sätzen verdrehe ich innerlich vehement die Augen. Ich frage dann jedes Mal: „Hast du es denn schonmal versucht?“ und darauf ist die Antwort dann – zu gefühlten 95% – Trommelwirbel – „Nein.“
Das finde ich sehr schade! Vielleicht ist die Person, die da behauptet, einfach nicht lustig zu sein, eigentlich eine*r der lustigsten Dudes* oder Dudines* überhaupt! Und selbst, wenn man unsicher ist: Es gibt Bibliotheken, da kann man sich Bücher ausleihen, zu Humortheorie zum Beispiel. Oder man benutzt das Internet oder fragt einen Menschen, den man selbst lustig findet, ob er theoretische Texte oder Tipps zu humoristischem Schreiben hat. Und dann kann man es versuchen. Und vielleicht ist man dann erstmal ziemlich scheiße darin. Was normal ist. Aber dann findet man vielleicht Spaß daran und probiert es weiter und weiter und irgendwann ist man nicht mehr so scheiße darin.
Denn von den gefühlten fünf Prozent, die schon mal versucht haben, einen lustigen Text zu schreiben, haben gefühlte null Prozent es nochmal versucht. Und deshalb rollt meine innere Marina vehement die Augen, wenn der Satz „die witzigen Texte gewinnen halt immer“ fällt. Und ausserdem:
Nein. Tun sie nicht.
Ein guter, ernster Text kann es locker mit einem guten, lustigen Text aufnehmen. Die letzten beiden deutschsprachigen Meister haben ihre Titel mit ernsten Texten gewonnen. Ich will mit diesem Beitrag auch niemanden davon überzeugen, dass er oder sie unbedingt lustige Texte schreiben muss und ich finde es auch eigentlich nicht so schlimm, dass Leute erstmal denken, die lustigen Texte würden leichter gewinnen. Ich finde es schlimm, dass die Aussage meist in einem traurigen bis abwertenden Tonfall fällt – und ich dann denke:
Ja. Zu recht.
Es ist nicht einfach, lustige Texte zu schreiben. Und das ist so wichtig, dass ich es gerne nochmal schreiben möchte: Es ist nicht einfach, lustige Texte zu schreiben. Ich schreibe das extra zweimal, aber eigentlich müsste ich es mindestens sieben Mal schreiben, weil ich noch keinen lustigen Text geschrieben habe, den ich nicht mindestens sieben Mal überarbeitet habe. Ich notiere mir frenetisch, welche Lacher funktioniert haben, welche so semi funktioniert haben, und welche nur ich lustig finde. Ihr habt das bestimmt auch schon öfter erlebt. Als Kleinkünstler*in neigt man oft dazu, Sachen lustig zu finden, die normales Publikum nicht lustig findet und andersrum. Ich meine, auf wie vielen Poetry Slams wart ihr schon? Wie viele lustige Texte habt ihr gehört? Wie viel Comedy gesehen? VIEL. Logisch findet man dann unerwartete, weirde, originelle Sachen lustiger als so manchen Witz über Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Das sieht das Publikum aber manchmal anders.
So sitze ich also meistens vor der Rohfassung und tausche den ersten Witz aus, den nächsten und nächsten – und manchmal habe ich am Ende einen Text, der mit der ersten Version nichts mehr zu tun hat. Das ist Arbeit. Manchmal mache ich mir Audioaufnahmen vom Auftritt, damit ich besseres Material zum Auswerten habe. Manchmal lese ich mich knöcheltief in Kulturen, Religionen oder Geschichte ein, um einen Witz zu machen, der lustig ist, aber nicht diskriminierend. Hinter Humor steckt eine Menge Verantwortung. Ein Witz geht fast immer auf Kosten von irgendetwas oder irgendjemandem. Man sollte sich diesem Ziel bewusst sein und hinterfragen, ob es vertretbar ist, dieses Ziel zu haben.
Also was jetzt?
Ich finde es schade, dass Respekt gegenüber ernsten Texten vehement eingefordert wird, aber über lustige Texte heißt es dann „Naja, aber inhaltlich war das schon dünn…“. Ich gehe ja auch nicht zu Leuten hin und sage „Gutes Thema! Aber sprachlich…“, obwohl das manchmal nötig wäre.
Ein gut geschriebener ernster Text kann mindestens genauso erfolgreich sein wie ein gut ausgefeilter lustiger. Ich schreibe „kann“, weil es immer noch Slam ist: Da spielt der Zufall immer mit. Man kann nie wirklich wissen, was das Rezept für „Erfolg“ auf Poetry Slams ist. Aber man kann neuen Slammenden beibringen, dass „Die witzigen Texte gewinnen halt immer“ eine falsche Aussage ist. Manchmal gewinnen die witzigen Texte und manchmal gewinnen die ernsten Texte und manchmal die persönlichen und manchmal die experimentellen und manchmal die politischen und überhaupt. Nicht, dass irgendetwas davon uns überhaupt jucken sollte, aber mein Gott, das tut es nunmal.
Wenn ihr den Satz also nächstes Mal in einem Backstage hört, erinnert ihr euch ja vielleicht an diesen Beitrag und wenn ihr dann gerade keine Lust habt, dazu große Erklärungen anzustellen, dann ruft ihn auf und drückt ihn der Person in die Hand. Denn ich bin mir sicher, „die lustigen Texte gewinnen halt immer“ ist meistens nicht despektierlich gemeint, wirkt aber leider oft so und kommt vielleicht auch aus einer Unsicherheit über den eigenen (ernsten) Text – und das muss ja nicht sein. Wir können alle Texte lieb haben und wertschätzen.