20. Juli 2020

Was geht eigentlich ab?

Höchstwahrscheinlich habt ihr’s mitbekommen: Die #SafeSpace Kampagne der Slam Alphas geht durch die Decke. Die Geldsammelaktion für Betroffene sexuellen Missbrauchs innerhalb der Slam-Szene ging durch einen Post von Helene Bockhorst anfangs Juli viral und wurde von einigen Prominenten geteilt. Dank der enormen Aufmerksamkeit und der breiten Unterstützung innerhalb der Szene gingen viele Spenden über das Vereinskonto und PayPal ein. Was bedeutet das für einen Verein, der zuvor hauptsächlich Szene-intern aktiv war? Wie wirkt sich diese neue Situation und die öffentlichkeitswirksame Kampagne auf die ehrenamtliche Arbeit aus? Wir haben ein schriftliches Interview mit der Vorsitzenden Fee Brembeck und der Vereins-Kassenwartin Janea Hansen geführt.

Liebe Fee, liebe Janea, wie geht es euch?
Janea: Gut geht es. Ich habe gerade Urlaub von meiner Lohnarbeit und hatte mir vorgenommen, eine Weile  auch keine von den vielen anderen Tätigkeiten, die ich freiwillig und ehrenamtlich mache, auszuüben. Es hat bei fast allem geklappt, nur nicht bei meiner Arbeit für #Safespace, weil da so langsam wieder Land in Sicht ist und ich das ungerne aufschieben will.
Fee: Ich bin ein bisschen erschöpft von den letzten Wochen, aber habe nun meine Uni-Prüfungen hinter mich gebracht und freue mich auch, meine Zeit wieder etwas freier einteilen zu können.

Wie hat sich eure Arbeit und euer Arbeitsaufwand durch die #SafeSpace Kampagne verändert?
Janea: Normalerweise mache ich einmal am Ende des Monats ein paar Stunden verwaltungstechnische Arbeit für Slam Alphas. Seit dem letzten Spendenaufruf habe ich in einer Woche jeden Tag 2 Stunden Arbeit investiert, um die ganzen Spenden in der Buchhaltung zu vermerken, zu schauen, wer Zuwendungsbestätigungen braucht und E-Mails zu beantworten. Es war mit einem Schlag sehr, sehr viel. Coronabedingt sind aber die meisten meiner Auftritte ausgefallen und die Veranstaltungsreihen, die ich normalerweise betreue, haben derzeit (noch) Sommer- oder Coronapause. Zu einem anderen Zeitpunkt wäre dieser enorme Zulauf ehrenamtlich für mich einfach nicht bewältigbar gewesen. Insofern war es fast ein Glücksfall.
Fee: Für mich waren es vor allem zwei Baustellen, die plötzlich ziemlich groß wurden. Zum einen wollten wir natürlich die große Reichweite, für die wir sehr dankbar sind, möglichst gut nutzen. Ich habe also die vergangenen Tage viele Multiplikator*innen angeschrieben und um weitere Verbreitung gebeten, viele Telefonate geführt und Infomaterialien verschickt. An dieser Stelle möchte ich mich auch gern noch mal bei Helene und allen bedanken, die so tatkräftig zur Verbreitung beigetragen haben.
Zum anderen haben wir um ein Vielfaches mehr Nachrichten bekommen, viele davon mit drängendem Inhalt. Journalist*innen baten dringend um Rückruf, potentielle Spender*innen wollten genauere Infos, verschiedene Anfragen mussten an die richtigen Stellen weitergeleitet werden und einiges mehr. Dass das passiert, ist grundsätzlich wirklich toll in meinen Augen und ich arbeite auch gerne ehrenamtlich dafür.
Leider gab und gibt es auch viele Nachrichten, die weniger produktiv sind. Mails, in denen – zum Teil in recht unverschämter Weise – alle Infos angezweifelt werden, Drohungen und sehr ungeduldige Nachfragen, aber auch vermeintlich gut gemeinte Angebote, Schlägertrupps zu mobilisieren, was natürlich weder in unserem, noch im Interesse der Betroffenen steht, kosten uns Zeit und Nerven, die ich lieber anderweitig in die Kampagne investieren würde.
Bevor die Kampagne diesen Auftrieb erfahren hat, konnte ich größtenteils selbst entscheiden, wann ich mir Zeit für die Vorstandsarbeit nehme und wie viel Aufwand ich betreiben möchte. Aktuell geht das eher nicht, weil ich ja Ansprechperson bin und mir das Anliegen zu wichtig ist, um es durch lange Abwesenheitszeiten zu gefährden.

Es gab ja teilweise Kritik an der Außenkommunikation und bezüglich der Transparenz der Kampagne. Was könnt ihr dazu sagen?
Fee: Einerseits glaube ich, dass wir alle im Vorstand unsere ehrenamtliche Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen erledigen und ich bin auch stolz auf den Beitrag, den wir bereits leisten konnten. Ich hoffe daher sehr darauf, dass man uns Versäumnisse, Verzögerungen oder Fehler, die definitiv passiert sind, mit Blick darauf, dass wir learning by doing betreiben, nachsehen kann. Teilweise gibt es auch Forderungen – zum Beispiel nach ständiger Erreichbarkeit oder juristischem Wissen-, denen wir in der Form einfach nicht nachkommen können. Wenn zum Beispiel vertrauliche Informationen gefordert wurden, um uns und den Betroffenen Glauben zu schenken, die wir gar nicht herausgeben können oder dürfen. Oder wenn Informationsmangel beklagt wurde, der durch einen Blick auf unsere Website leicht beseitigt hätte werden können, hat mich das manchmal auch gestört. Wir haben uns dieser Aufgabe freiwillig angenommen und damit auch Verantwortung dafür, dass es so reibungslos wie möglich klappt. Da müssen wir dann auch für Fehler einstehen, die wir machen, egal aus welchen Gründen, und Antworten geben, die man vielleicht schon als beantwortet betrachtet hat. Deshalb lernen wir weiter dazu und sollten auch das, was nicht gut läuft, weiter verbessern. Ich selbst bin dankbar um konkrete und konstruktive Kritik und möchte meine Arbeit auch der Verbesserung des Vereins widmen, gerade weil ich ihn für extrem wichtig und wertvoll halte.
Janea: Da es sich eben bei all unseren Tätigkeiten um ehrenamtliche Arbeit handelt, sind wir auf diesen Gebieten grundsätzlich nicht ausgebildet. Wir machen es, weil wir es möchten und es sonst keiner macht. Da ist es natürlich unmöglich, immer alles richtig zu machen. Ich habe meine Tätigkeit bei den Slam Alphas erst vor kurzem (im Januar 2020) aufgenommen, weil ich einer Freundin da helfend zur Seite gesprungen bin. Vieles ist für mich daher natürlich sehr neu und es war auch eine Übergabe, die mitten in einem laufenden Prozess (der SafeSpace Kampagne, die seit Juli 2019 läuft) passiert ist, und daher nicht ganz reibungslos sein konnte. Ich versuche derzeit vor allem, keine Fehler zu machen, was aber natürlich bedeutet, dass einzelne Handlungen länger dauern und es häufig etwas dauert, bis ich klare Aussagen zu Verhältnissen machen kann, da ich auf keinen Fall falsche Information herausgeben möchte. Wir bemühen uns und hoffen einfach, dass Verständnis dafür da ist, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten unser Bestes geben.

Was geschieht konkret mit dem Geld, das gespendet wird? Wie sind die Abläufe im Hintergrund?
Fee: Wir stehen mit den Betroffenen der aktuellen Fälle in Kontakt und bekommen von ihnen Anträge auf Kostenerstattung mit Nachweisen zugeschickt. Mit dem Geld, das mittlerweile gespendet wurde, konnten wir schon sehr viele dieser Kosten abdecken und zum Glück ist inzwischen so viel Geld da, dass wir auch alle anderen anfallenden Kosten aus den zivilgerichtlichen Prozessen zahlen können, sobald die Urteile da sind. Das Geld, das dann noch übrig bleiben wird, soll weiter für die Kampagne verwendet werden. Es stehen zum Beispiel Strafprozesse – auch in anderen Fällen – aus, bei denen wir den Betroffenen gerne bestmögliche anwaltliche Unterstützung ermöglichen wollen. Teilweise stehen auch Berufungsverfahren im Raum, bei denen wir finanziell helfen möchten. Leider ist das Thema sexualisierte Gewalt in der Slam Szene noch nicht durch und wir sind froh, wenn wir unseren Beitrag dazu leisten können, dieses Thema aufzuarbeiten und den Betroffenen beim Kampf um Gerechtigkeit beizustehen.
Janea: Wir führen genau Buch über jeden einzelnen Zahlungsein- und Ausgang zur SafeSpace Kampagne. Wir haben also ein genaues Bild davon, wie viel Geld konkret zur Verfügung steht, um den Betroffenen bei allen anfallenden Kosten zu helfen. 

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Fee: Ich wünsche mir eine Szene, in der Betroffenen Glauben geschenkt wird, und die Glaubwürdigkeit einer Person nicht von ihrer hierarchischen Stellung oder ihrem Geschlecht abhängt. Ich wünsche mir, dass Strukturen geschaffen werden, in denen Übergriffigkeit ein Ausschlusskriterium ist, und in denen Solidarität über Broculture und anderen Verbindungen steht. Ich wünsche mir diversere und ausgeglichenere Machtstrukturen unter Veranstaltenden, damit diese Strukturen eine Chance haben. Für unseren Verein wünsche ich mir, dass wir noch inklusiver und zielbringender agieren können und uns weiter professionalisieren, damit wir letztlich eine strukturelle Veränderung bewirken können.
Janea: Ich wünsche mir, dass die Poetry Slam Szene ein Ort ist, wo sich nicht nur alle willkommen, sondern auch sicher fühlen können. Solange dies nicht uneingeschränkt der Fall ist, hoffe ich zumindest, dass diese Arbeit, die wir hier investieren, Mut gibt und hilft, dass niemand mit solchen Erfahrungen allein dasteht.

 

Vielen Dank, dass ihr euch Zeit genommen habt. Alles Gute.

Für mehr Informationen bezüglich des Kontostandes und der Verwendung des Geldes geht es hier zum aktuellen Factsheet