12. April 2021

Triggerwarnungen – Ja? Nein? Warum?

Filme und Videospiele haben eine FSK, um Menschen davor zu schützen, unerwartet mit bestimmten Themen konfrontiert zu werden, die ihnen schaden könnten. Theaterstücke, Bücher und auch Poetry Slams haben keine solche Kontrollinstanz, obwohl auch dort sehr oft sensible Themen dargestellt werden.

Slam soll safer werden

Wer ein schwieriges Thema in einem Text behandeln möchte, kann einen sehr einfachen Weg wählen, um Betroffene zu unterstützen und trotzdem etwas beim Rest des Publikums zu bewirken: Die Triggerwarnung[1]. Wenn das Publikum vorgewarnt wird, hat jede:r Einzelne die Wahl, ob er:sie das hören möchte oder aktuell nicht in der richtigen Verfassung dazu ist.

Ich habe schon oft als Gegenargument für Triggerwarnungen gehört, dass es Leute bloßstellen würde, die nach einer solchen Warnung den Raum verlassen. Das mag sein, aber ohne Triggerwarnung kann die betreffende Person nicht einmal selbst entscheiden, ob sie den Raum verlassen möchte. Wenn es also um das Wohlbefinden dieser Person geht, ist es besser, eine Warnung auszusprechen, bevor ihr ungefragt und unerwartet wehgetan wird.

Ich bin froh, dass so viele Menschen ihre Texte immer wieder unspaßigen Themen widmen, weil Aufklären wichtig ist. Priorität sollte es dabei aber meiner Meinung nach haben, Wunden von Personen nicht wieder aufzureißen und den Unsicheren ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Ich wünsche mir, dass die Verletzten nicht mehr darunter leiden müssen, dass die Gesellschaft noch Zeit braucht, um ihr Thema zu begreifen. Es ist oft schwer genug.

In letzter Zeit gibt es vor allem von Veranstalter:innen viele Bestrebungen, Poetry Slams zu sicheren Orten zu machen. Aber auch Auftretende können mit Triggerwarnungen dazu beitragen, dass sich sowohl andere Poet:innen als auch Zuhörer:innen wohlfühlen.

Nicht jede:r ist ein Quentin Tarantino

„Ja, aber muss man denn nicht schockieren? Ist das nicht der einzige Weg, wirklich etwas zu verändern?“ Kurzum: Nein. Ich wünsche mir viel eher Rücksicht und, dass sich niemand anmaßt, zu entscheiden, was für jemanden triggernd sein kann und was nicht. Wenn man ein Publikum für ein ernstes Thema sensibilisieren möchte, kann man sich zwischendurch mal kurz  fragen, ob die erwünschte Reaktion wirklich nur durch Schockieren erreicht werden kann. Denn wahrscheinlich das auch auf eine vorsichtigere und vielleicht auch kreativere Art und Weise. Auch die künstlerische Freiheit endet da, wo die Freiheit eines:einer anderen beginnt.

Ich bin es leid, immer in Habacht-Stellung neben der Bühne zu sitzen, mich kurz vor meinem Auftritt noch mal ins Backstage zu verkrümeln, weil jemand auf der Bühne denkt, er:sie müsste Menschen schockieren. Danke, nein, ich bin bereits schockiert. Der Schock sitzt tief, so tief, dass ich Angst habe, er geht nie wieder weg. Aber mein tatsächlich stattfindendes Leiden soll weniger relevant sein als die kleine Chance, dass vielleicht jemand wachgerüttelt wird. Der gravierende Unterschied ist, dass ich tatsächlich wachgerüttelt bin, und zwar für eine Handvoll Nächte und viele andere sich vermutlich denken: „Ah ja, wichtiges Thema, aber zur Auflockerung würde ich mich doch wieder über was Lustiges freuen.“

Die Schuld liegt nicht bei den Getriggerten

Ich bin mir zu 100% sicher, dass diejenigen, die am meisten von so einem Auftritt mitnehmen, die sind, die es am wenigsten gebraucht hätten. Es ist einfach verdammt unfair, so ausgesetzt zu sein und fremdbestimmt verletzt zu werden. Es gibt ein Wort für Menschen, die anderen bewusst Leid antun: Täter:in. Ohne Vorwarnung triggernde Themen anzusprechen ist übergriffiges und verletzendes Verhalten. Jeder Mensch hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, was meiner Ansicht nach psychische Unversehrtheit mit einschließt, und dieses Recht wird damit verletzt. Nun stellen sich manche vermutlich empört die Frage: „Muss man damit nicht rechnen, wenn man zu einem Poetry Slam geht?“ Wirklich? Ist es so, dass ich bei einer Literaturveranstaltung meine Grundrechte an der Garderobe abgebe? Dieses Argument sagt weitergedacht aus, dass sensible Menschen vollständig selbstverantwortlich sind, wann, womit und von wem sie getriggert werden – sie könnten ja auch einfach zu Hause bleiben. Wer so denkt und argumentiert, ist in meinen Augen offen diskriminierend gegenüber sensiblen Menschen, sowie Menschen mit traumatischen Erfahrungen oder psychischen Erkrankungen. Es suggeriert, dass es in dieser Gesellschaft eben keinen Platz für uns gibt, wenn wir nicht bereit sind, uns ständig in Gefahr zu bringen und uns anzupassen. Es überträgt uns die gesamte Verantwortung dafür, wenn wir verletzt werden, aber sie liegt nicht bei uns.

Das Ding mit dem selbst betroffen sein ist irgendwie komplizierter. Vielen hilft es, ein traumatisches oder schwieriges Erlebnis mit dem Schreiben zu verarbeiten und vielleicht sogar mit anderen zu teilen. Es ist nicht fair, dass diesem Menschen etwas passiert ist, was andere nicht kennen, woran sie keinen Gedanken verschwenden. Es ist verständlich, darüber wütend zu sein, den anderen zeigen zu wollen, wie scheiße das ist. Aber man ist nicht der:die einzige Verletzte. Betroffen sein erteilt einem nicht die Absolution, anderen wehzutun.

„Darf man denn jetzt gar nichts mehr sagen?“

Mir wurde schon öfter von anderen Menschen erklärt, dass sie Triggerwarnungen überflüssig finden, weil sie die Themen gar nicht schlimm finden und manche Dinge natürlich nicht schön zu hören sind, aber man schon drüber wegkommt. Das ist schön für diese Leute persönlich, aber dass sie von nichts getriggert werden, ist kein Argument gegen Triggerwarnungen, weil es in dieser Diskussion einfach nicht um sie geht. Wenn eine Person in einem Raum mit 200 Menschen betroffen ist, geht es um sie und diesen Trigger und eben nicht um alle anderen. Erstmal muss man jeden Trigger ernstnehmen und nur, weil man vielleicht niemals alles abdecken kann, was irgendeine Person eventuell triggert, sollte man es nicht gleich ganz bleiben lassen.

How to: Triggerwarnungen

Folgende Themen können z.B. triggernd wirken: (sexualisierte) Gewalt, Diskriminierung (z.B. Rassismus, Sexismus, Ableismus, LGBTIQ+ Feindlichkeit, Bodyshaming), Selbstverletzendes Verhalten, Suizid, Tod, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Stalking, Essstörungen, Slut- und Victimshaming, insgesamt düstere oder traurige Thematiken.

Aber das sind längst nicht alle. Zu entscheiden, was triggern könnte, ist nicht leicht, weil keine klare Vorhersage darüber getroffen werden kann, was jemanden verletzt. Am besten geht man einen fertigen Text nochmal von oben bis unten durch und überlegt, welche Stellen ein emotionales oder schwieriges Thema beinhalten. Wenn man sich unsicher ist, kann man auch Freund:innen bitten, dir bei der Überlegung zu helfen. Auch witzige Texte können einzelne Formulierungen enthalten, die unabhängig vom Kontext stark triggern.

Die Triggerwarnung selbst sollte rücksichtsvoll und nicht stigmatisierend sein.

  • Do „Mein Text behandelt folgendes Thema: …. Wenn ihr das gerade nicht hören möchtet / euch aktuell nicht damit auseinandersetzen wollt, verstehe ich es, wenn ihr kurz rausgehen wollt.“
  • Do Wenn ihr eurem Text nichts vorwegnehmen möchtet, müsst ihr auch keine konkreten Themen ansprechen. Sagt einfach „Mein Text ist etwas düster / ernst / hat ein paar heftige Stellen“ oder „Mein Text wäre vermutlich FSK 16.“ Damit kann jede:r etwas anfangen.
  • Do Lasse nach deiner Triggerwarnung genug Zeit, damit man aufstehen und gehen kann und beginne nicht direkt mit einem Splatter-Horror-Szenario.

Tipp an die Moderation: Seid kulant, was das Zeitlimit betrifft und fangt erst nach der Triggerwarnung an, zu stoppen. Rücksichtsvolles Verhalten sollte niemandem zum Nachteil gereichen. Außerdem könnt ihr dazu beitragen, Triggerwarnungen zu normalisieren, indem ihr zu Beginn einer Veranstaltung erklärt, was Triggerwarnungen sind, dazu aufruft diese einzusetzen und dem Publikum versichert, dass es vollkommen okay und keineswegs unhöflich ist, den Raum zu verlassen.

Triggerwarnungen sind dazu da, um Menschen zu schützen – vor negativen Gedanken und Gefühlen und vor Worten, die sie nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Man mag sie zunächst als eine Einschränkung wahrnehmen, aber letztendlich führen Triggerwarnungen vor allem zu mehr gegenseitiger Rücksicht, zu größerem Verständnis für sensible Menschen und sie machen Poetry Slams zu einem sichereren Raum für alle. Und das ist doch eigentlich nur wünschenswert.

[1] „Eine Triggerwarnung ist eine Ankündigung, die am Beginn eines Textes, Filmes oder Ähnlichem steht, um vor verstörenden oder erschütternden Inhalten zu warnen – sozusagen eine Auslöserwarnung. Der Hinweis soll Menschen schützen, die etwas Vergleichbares erfahren haben und somit ein traumatisches Wiedererleben durchmachen könnten.“

(https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.triggerwarnung-definition-mhsd.b85cc840-1e8f-402f-a4b0-ec74d46ee6a7.html, 02.04.21)