27. April 2021

Warum Auftritte anders sind, als ich es am Anfang erwartet hätte

„Ich nehme einen Text, gehe auf die Bühne, trage ihn vor und gehe wieder ab.“

Eine sehr einfache Vorstellung einen Slam-Auftritts, die ich Anfang 2019 hatte, als ich mich zum ersten Mal für einen Poetry Slam anmeldete. Meine Vorstellungen stimmten mit der Realität nicht überein; ein Auftritt stellte sich als viel komplexerer Vorgang heraus, als ich es mir jemals hätte träumen lassen.

Eine kleine Reise in meine eigenen Erkenntnisse:

 

Anmoderation – was soll ich sagen?

Anfangs habe ich die Anmoderation sehr einfach gehalten: Das Publikum musste sich mit einer Begrüßung begnügen. Nach ein paar Slams habe ich angefangen, irgendetwas zu sagen. Jedes Mal spontan, jedes Mal unvorbereitet. Die Strategie hat ganz gut funktioniert, obwohl es mir immer und immer wieder peinlich war, weil ich – subjektiv gesehen – unvorbereitet kontextlose Dinge von mir gab, die wenig mit dem Text an sich zu tun hatten.

Was ich dabei nicht wirklich verstanden hatte: Die Anmoderation ist Teil des Auftritts. Sie ist der erste Eindruck eines Dates, die äußerliche Erscheinung bei einem Vorstellungsgespräch. Man kann sich mit den ersten Worten auf der Bühne also wirklich unsympathisch machen. Oder aber man nutzt die Einleitung zum eigenen Vorteil, wenn der Text zu kurz erscheint, oder so abstrakt wirkt, sodass man fürchtet, ohne Kontext könnte er nicht verstanden werden. Man ist dem ersten Eindruck der Zuhörer:innen nicht ausgeliefert; ganz im Gegenteil.

 

Das Publikum als Teil der Performance

In meinem Kopf herrschte nicht nur die Vorstellung, dass Anmoderation und eigentlicher Text zwei getrennte Dinge wären, sondern ich distanzierte mich selbst auch vom Publikum. Ich teilte meine Wahrnehmung in „Ich“ und in „die anderen“ ein. Als ich zufällig von Schauspieler:innen hörte, was für eine wichtige Rolle die Zuschauer:innen im Theater spielten, begann ich nachzudenken. Am Ende kam ich zu dem Schluss, dass es bei Poetry Slam Auftitten genau gleich ist.

Natürlich spielt das Publikum eine Rolle, natürlich sind die Zuhörenden Teil der Performance. Wie sollte es auch anders sein? Der:die Künstlerin:in steht auf der Bühne und sendet Worte, Gestiken und Mimiken in einen Raum. Nach den Regeln der Kommunikation muss es auch jemanden geben, der die gesendeten Mittel aufnimmt, versteht und interpretiert. Ein Poetry Slam Text kann also ohne empfangende Personen gar nicht funktionieren.

Bei einem Auftritt ist es folglich wichtig, mit den Zuhörenden zu spielen, sie miteinzubinden und auf sie einzugehen. Manchmal ist es sinnvoll, den Text auf das Publikum anzupassen. Manchmal ist es sinnvoll, das Publikum absichtlich mit Worten zu provozieren.

 

Bühnen-Ich vs. Backstage-Ich

„Sei du selbst.“, „Sei authentisch.“

Diese Sätze wurden mir immer gesagt, bevor ich mit starkem Lampenfieber auf die Bühne ging. Ich schrieb persönliche Texte und dachte, das würde automatisch authentischer wirken. Nach ein paar Auftritten merkte ich jedoch, dass ich mich auf der Bühne immer anders benahm als abseits davon und kam zu dem Schluss, dass ich trotz aller Bemühungen nicht genug ich selbst war.

Ich beobachtete andere Poet:innen mit denen ich auch Backstage Gespräche führte und bemerkte: Jede:r Künstler:in ist Backstage anders als auf der Bühne, trotzdem macht sie das nicht weniger authentisch. Es ist wichtig, zwischen Backstage-Ich und Bühnen-Ich zu differenzieren (wobei das Bühnen-Ich auch nicht mit dem lyrischen Ich gleichgesetzt werden darf). Das Bühnen-Ich wird im weitesten Sinne immer zu einer Kunstfigur, was die Authentizität nicht beeinflusst.

 

Interpretationen des Texts

Ich habe kreative Texte anfangs immer sehr abstrakt geschrieben. Ich hatte eine Message, wollte, dass man diese versteht. In jedem Text gibt es Zeilen, die ich am liebsten mag. Passagen, die ich besser finde als alle anderen. Irgendwann habe ich durch Feedback gemerkt, dass andere Menschen meinen Text anders interpretieren als ich selbst. Zu Beginn hat mich das gestört, inzwischen liebe ich es.

Jede:r setzt das Gehörte bzw. Gelesene in einen eigenen Kontext, fügt die Zeilen in die eigene Geschichte ein. Niemand wird somit meinen Text genau gleich verstehen wie ich selbst. Interpretationen sind immer mit eigenen Wahrnehmungen, Meinungen und Erfahrungen verknüpft und genau das macht Kunst so schön: ein Satz kann für fast 8 Milliarden Menschen jeweils eine andere Bedeutung haben, weil jede:r einzelne eine eigene Geschichte hat.

 

Was ich daraus lernen kann

Ich lerne daraus, dass Dinge meistens gar nicht so sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Ich lerne daraus, dass ich mich öfter einfach auf Neues einlassen sollte. Es ist okay zu lernen, und später Herangehensweisen/Themen/Meinungen zu ändern.