28. Februar 2022

Wofür stehen die Alphas

Teil 2 „Slam Alphas – was wir tun, tun sollten und nicht tun“

Die Slam Alphas sind, nach aktuellen Statuten, ein Verein für intersektional feministische Anliegen im Poetry Slam. Die Bezeichnung ist zunächst unkonkret und ihre Bedeutung wird von unterschiedlichen Personen mit unterschiedlichen Erwartungen gefüllt.

Ich erinnere mich gut an einen Slam-Abend vor einigen Jahren, als ich gerade neu in der Szene war und die ersten Auftritte weiter weg von meinem Home-Slam hatte. Eine ehemalige Slammerin, die schon länger nicht mehr auftritt, fragte mich, ob ich vorhabe, mit Slam „weit zu kommen“ und gab mir auf meine Zustimmung hin den Hinweis, dass ich dann zu den Slam Alphas gehen sollte. Das war das erste Mal, dass ich vom Verein hörte. Ich sollte am besten einfach mal einen Blogbeitrag schreiben, um von den Mitgliedern wahrgenommen zu werden, die innerhalb der Szene bereits ein gewisses Standing hatten. Das sollte mir selbst wieder mehr Auftritte und größere Reichweite beschaffen. Ich wurde allerdings auch direkt darauf hingewiesen, dass die Slam Alphas sich – zum damaligen Zeitpunkt – zwar die Förderung von Frauen und Mädchen als Vereinsziel gesteckt hätten, dem aber nicht in konkretem Sinne gerecht werden würden. Und ich glaube, das ist bis heute das Problem.

Zwischen Erwartung und Ehrenamt

Es gibt eine starke Diskrepanz zwischen dem, was von den Slam Alphas erwartet wird und dem, was an Aktivismus und Engagement betrieben wird. Der unumstrittenste Erfolg ist dabei sicherlich die Safe-Space-Kampagne., Geld für   Betroffene sexualisierter Gewalt innerhalb unserer Szene zu sammeln, um deren Gerichtskosten zu decken, ist ein Vorhaben, das auf breiten Konsens trifft. Doch bereits hier gibt es in den Details die ersten Unstimmigkeiten: Spendenbescheinigungen, die nicht oder viel zu spät ausgestellt wurden, mangelnde Kommunikation von Überforderung und Delegieren seitens der entsprechenden Posten im Verein.

Generell ist diese Überforderung oft ein Grund dafür gewesen, dass die Slam Alphas kritisch beäugt werden. Es gab sehr viele Poet:innen, die viel zu lange auf eine Aufnahme in den Verein oder Eintragung auf der Karte warten mussten. Anfragen, die einfach untergegangen sind, weil alle Vereinsvorsitzenden gerade zu viel um die Ohren hatten. Projektideen zur konkreten Förderung von Poet:innen, die aus demselben Grund nicht angepackt werden konnten. Für diese Tatsachen gibt es auch kein Schönreden; diese Anliegen hätten zeitnah bearbeitet werden müssen, wurden es aber nicht. Auf der anderen Seite fehlte und fehlt der Szene allerdings auch das Hintergrundwissen zum Verein. Die Vereinspositionen im Vorstand sind Ehrenämter und alle Menschen, die sie bekleiden, tun diese Arbeit ohne Vergütung oder  Anerkennung, sondern meistens mit Gegenwind, sobald nicht alles perfekt umgesetzt wird. Der Verein ist ein ehrenamtlicher, die Personen hinter ihm sind Privatpersonen mit Jobs, mit einem eigenen Leben und eigenen Problemen und zum Teil auch mit  Schicksalsschlägen. Die Vereinsarbeit, die sie tun, ist genau das: zusätzliche Arbeit, und zwar unbezahlt. Und wer sich noch nie in Bezug auf die eigenen arbeitsbezogenen Kapazitäten verschätzt hat, werfe den ersten Stein.

Der Blog als diskursiver Spiegel der Szene

Außerdem ist der Verein keine geschlossene Einheit mit ein und derselben Meinung. Das ist besonders wichtig, sich vor Augen zu führen, wenn es um die Blogbeiträge geht. Die Blogbeiträge werden von einer Person verfasst, die gegebenenfalls Teil des Vereins ist, vielleicht aber auch nicht, und spiegeln diese einzelne Meinung wieder. Die Slam Alphas sind nicht dazu da, diese zu verändern, sondern wollen lediglich die Möglichkeit geben, diese für ein breites szeneinternes Publikum zugänglich zu machen. Intersektional feministische Anliegen unterstützt der Verein in dem Sinne vor allem damit, denen ein Sprachrohr zu geben, die der Szene gerne etwas sagen möchten,  selbst, wenn die Redaktion oder auch der gesamte Vorstand diese Meinung nicht oder nur partiell teilt. Natürlich sind einige der Beiträge von einem unrealistischen, idealistischen Standpunkt aus geschrieben. Diese Ideale müssen auch nicht den Idealen der Leser:innen entsprechen. Sie sollen lediglich eine Perspektive bieten, mit der sich auseinandergesetzt werden kann. Achtung: Kann. Niemand wird dazu gezwungen, die Blogbeiträge zu lesen oder die Forderungen umzusetzen, wenn sie nicht als zielführend erachtet werden. Zwischen Ideal und Realität liegt nun mal oft ein unüberbrückbarer Zwischenraum. Bookings werden beispielsweise in der Realität oft nicht von Diversitätsgedanken bestimmt, sondern von räumlicher Nähe, Budget, Übernachtungsumständen, persönlicher Veranstaltungsästhetik und überhaupt der Kenntnis von bestimmten Personen. Und das ist doch auch okay so. Mir ist bewusst, dass der Tonfall in Blogbeiträgen oft anklagend, manchmal sogar antagonisierend ist und persönlich finde ich das auch überhaupt nicht gut. Aber vielleicht  kann man als Leser:in ja dennoch  prüfen, ob nicht trotzdem gute Ansätze enthalten sind, um deren Umsetzung man sich bemühen kann. Oder aber man stellt fest, dass man grundsätzlich bereits bemüht ist, in diese Richtung zu arbeiten – dann umso besser.

Der Blog als Sprachrohr ist ein wichtiges Mittel der Szene, durch den oft Diskussionen angestoßen werden und ein Gesprächsanlass gegeben wird; das ist der eigentliche Wert dieser Arbeit. Ziel ist nicht das Postulieren von ‘richtigem’ Verhalten, sondern das Anregen eines Diskurses, dessen Grundlage über einfache Posts auf Social Media hinausgeht.

Kritik an den Alphas

In meiner Wahrnehmung ist die zentrale Kritik, die an den Slam Alphas geübt wird, der Eindruck, dass zwar gepredigt, aber nicht gehandelt wird. Konkrete Handlungen zur Förderung und zum Schutz von Poet:innen – was haben die Slam Alphas dafür (abgesehen von der Safe-Space-Kampagne) getan? Und tatsächlich muss sich auch der Verein an dieser Stelle eingestehen, dass es nicht mehr allzu viel vorzuweisen gibt. Klar, es gibt Dinge, die ein ehrenamtlicher Verein ohne bezahlte Stelle nicht leisten kann. Aber es gibt auch keine internen Booking-Strukturen. Wer Mitglied bei den Slam Alphas ist, wird nicht automatisch von anderen Slam Alphas gebucht, nur hin und wieder werden Booking-Anfragen weitergeleitet, wenn die angefragte Person selbst keine Zeit hat. Das passiert vielleicht einmal pro Jahr. Selbst Autor:innen für die Blogbeiträge zu finden, die Mitglied bei den Alphas sind, ist oft schwer, weil auch wiederum die Mitglieder nicht bereit sind, ihre Zeit und Energie für diese Vereinssache zu investieren. Eine zynische Bilanz einer Mitgliedschaft bei den Slam Alphas könnte lauten, dass jährlich Mitgliedsbeitrag gezahlt wird, um keine Vorteile und keine Gemeinschaft zu bekommen, aber dafür im schlimmsten Fall Anfeindung ausgesetzt zu sein.

Auf dem Blog und dem Instagram-Account wird immer wieder Solidarität und Zusammenhalt gepredigt, aber im Verein nicht gelebt. Es gibt neue Poet:innen, die abgeschreckt sind vom „coolen“ und „elitären“ Anschein der Mitglieder. Die Slam Alphas haben ein Imageproblem und es gilt, dieses in den nächsten Monaten und Jahren zu bereinigen. Es müssen Veränderungen getroffen werden, sodass konkrete Einzelhilfe und Unterstützung auch im Alltag bei der Personengruppe ankommen, deren Förderung sich die Slam Alphas verschrieben haben – über die Safe-Space-Kampagne hinaus. Meiner Ansicht nach ist es hierfür auch nötig, davon abzusehen, die gesamte Vereinsarbeit dem Vorstand zu überlassen. Alle Mitglieder müssen sich in der Pflicht sehen, die Relationen zur restlichen Slam Szene zu verbessern, Ideen zur Unterstützung der betreffenden Poet:innen zu entwickeln und diese dann auch umzusetzen. Es gilt zudem, den Verein für das eigene Booking zu nutzen und seine Mitglieder tatsächlich zu kennen – denn die wenigsten Mitglieder kennen sich tatsächlich gegenseitig -, um sie dann wiederum auch außerhalb des Vereins für passende Veranstaltungen empfehlen zu können. Und schließlich gilt es, meiner persönlichen Ansicht nach, Einzelmeinungen in den Blogbeiträgen besser zu kennzeichnen und den emotionalen sowie verletzten bis angreifenden Tonfall perspektivisch durch einen wissenschaftlicheren bzw. konstruktiveren Stil zu ersetzen – ein Ziel, das sich die aktuelle Blog-Redaktion auch bereits gesetzt hat und verfolgen wird.

Von Seiten der restlichen Slam-Szene würde ich mir für diesen Wandel ebenfalls Unterstützung wünschen. Auch Nicht-Mitglieder haben sicherlich Ideen, die an den Verein herangetragen werden könnten oder konstruktive Kritik, die sehr gerne geäußert werden darf. Ich würde es begrüßen, wenn die Slam Alphas nicht mehr für die Fehler oder Ideologien vergangener Vorstände verurteilt werden würden, sondern in Zukunft als Ressource angesehen werden würden, um die Szene sicherer und gerechter für alle Beteiligten zu gestalten. Sie sollten eine Anlaufstelle für Projekte und Vernetzung sein, mit dem Ziel, die Szene für alle Geschlechter zu einem angenehmen und konstruktiven Ort zu machen.