2. August 2022

Poetry in der Ukraine

Anmerkung der Redaktion: Yevheniia Reznik, geb. in Kherson, Ukraine studierte Philologie und Journalismus, sowie Schauspiel in der Ukraine. Als Poetry Slammerin gewann sie u.a. die Meisterschaft zum Welttag der Poesie in Kiev. Der Text wurde von ihr auf Ukrainisch verfasst und von der Redaktion übersetzt.

Gedichte schreiben. Das begann in der Schule. Mit 12 Jahren. Damals schrieb ich ausschließlich auf Ukrainisch, weil es mir dann leichter fiel zu reimen. Außerdem ist es eine melodische Sprache. Meistens schrieb ich über Liebe. Wie alle Teenager.

Bei meiner Aufnahmeprüfung an der Theateruniversität, habe ich meinen Text vergessen und stattdessen eines meiner eigenen Gedichte vorgetragen. Ich spürte, dass meine eigenen Texte mir dabei halfen, mich besser zu fühlen, zu sehen und zu verstehen. Es ist eine Form des Dialogs. Mein Poetischer Weg begann genau dort, auf der Bühne der University of Arts in Kharkiv benannt nach Ivan Kotlyarevsky (einer der bedeutendsten Ukrainsichen Dichter des 19. Jahrhunderts).

In Kharkiv ging ich oft zu Lesungen, die Studierende meiner Hochschule, in einem Kunst-Café initiierten. Manche spielten dort ihre eigenen Songs, andere lasen dazu ihre Gedichte. Es war eine tolle Möglichkeit mich aus zu probieren und andere kreative Menschen außerhalb der Uni kennen zu lernen. Es gab viele solcher Veranstaltungen in Kharkiv, in Bars, Café und Art Spaces. Nicht umsonst nennt man Kharkiv die Kulturhauptstadt.

Dann fand ich heraus, dass es in Kharkiv eine richtige Poetry Slam Szene gab. Allerdings kannte ich dort niemanden und es war ganz schön einschüchternd. Es war schwierig für mich. Ich hatte nur gereimte Liebesgedichte aber Slam ist eine Sache für sich. Drei Runden mit je drei Minuten, in denen du alles lesen kannst. Dann schaffte ich es ins Halbfinale. Für mich war das ein großer Schritt aber es war auch angsteinflößend. Ich passte nicht so richtig in diese Veranstaltung. Erst zwei Jahre später kehrte ich zum Slam zurück, aber diesmal auf eine andere Art und Weise. Härter, klarer, rhythmischer. Durch Slam entwickelte ich meinen eigenen Stil: musikalisch, emotional und direkt. Meine Poesie lässt sich nicht drucken, sie braucht eine Autorin die sie vorträgt. Wann immer es eine Möglichkeit zum Auftreten gab nutze ich sie, ich war konstant am schreiben und vortragen. Es gab keine andere Möglichkeit für mich. Immer weiter schreiben. Prosa und Lyrik. Und sofort eine Gelegenheit suchen zu performen. Und in Kharkiv gab es immer eine Gelegenheit. Es gab so viele verschiedene Locations für poetische Veranstaltungen. So viele verschiedene Formate, Genres, Stile. Und überall verschiedene Leute. Poesie berührte jeden.

Angefangen in Kharkiv trat ich bald auf Festivals in der ganzen Ukraine auf. Dann zog ich nach Kiev. Ein Bekannter aus der Slam Szene stelle mich dann anderen Poeten in Kiev vor. Dort ist es dasselbe wie in Kharkiv: Du gehst auf Facebook und suchst nach Events und findest viele verschiedene Organisationen die veranstalten. Sehr sehr viele um genau zu sein. In Kiev hatte ich keine Zeit zu arbeiten, ich war ausschließlich mit Kunst beschäftigt. Tagsüber ein Besuch in einer Galerie oder einer Ausstellung und Abends dann die Eröffnung eines neuen Art Spaces oder eine Poetry Veranstaltung oder eine Techno Party mit Poesie oder ein Konzert mit Poesie. Es war möglich zu einem Rave zu gehen und dich einfach mit Leuten zu umgeben die Gedichte vorlasen. Und alle waren interessiert. So traf man neue Leute. Es war eine fast surreale Form des Networking.

Zusammen mit anderen Poesiebegeisterten Schauspielenden wollten wir ein Poetisches Theater in Kiev gründen. Zu einer unserer Vorstellungen kamen die Gründer von „Student Republic“ eine öffentliche, ukrainische Jugendorganisation. Es war einer dieser Orte, an denen junge, engagierte Menschen zusammenkamen, um aus den Vollen der Ukrainischen Kultur zu schöpfen. Dort wiederum wurde ich, als Regisseurin, zu einem rein ukrainischen Theaterfestival eingeladen.

In Kiev organisierten Freunde von mit Lesungen unter freiem Himmel. Man konnte seine Lieblingsgedichte oder eigene Texte vortragen, es war vollkommen frei und allen zugänglich. Jeder und jede konnte überall und zu jeder Zeit aufstehen und Poesie vortragen. Das war die Norm. Jede Stadt der Ukraine hatte ihre eigene Poetische Bewegung.

Bei Poetry Slams habe ich damals oft gewonnen. Die finanziellen Mittel kommen immer aus den Eintrittsgeldern und das Publikum entschiedet, wer gewinnt -und das ist cool. Es war lebendige Poesie. Wir redeten über Texte die uns gefielen, organisierten gemeinsame Aktivitäten, es war alles sehr simpel, sehr einfach und von Herzen. Wir waren alle unterschiedlich aber Poesie verband uns. Jeder konnte mitmachen.

Heute herrscht Krieg in unserem Land. Trotzdem werden Gedichte geschrieben. Jetzt gerade bin ich in Polen. Ich schreibe. Gedichte und an einer Solo-Performance. Ich hoffe ich finde bald andere Poetinnen und Poeten, die das Land verlassen mussten, denn leider sind keine meiner Bekannten hier. Aber. Trotz dieser Zeit. Diejenigen, die in der Ukraine sind, sind in mehr oder weniger sichere Ecken gezogen und organisieren weiterhin Lesungen.

Klarer Himmel in Lviv. Irgendwo in den Ecken und Winkeln von Kiew schießt jemand vom eigenen Balkon aus Gedichte auf Instagram. Das Leben geht weiter. Poesie ist im Moment sehr schmerzhaft. Du schreibst jedes Wort wie mit einer Klinge auf dem Körper. Und manchmal möchte ich einfach auf den Platz gehen und schreien, schluchzend vor Schmerz, vor Verzweiflung, vor Erschöpfung.

Als der Krieg anfing, da gab es keine Worte. Weder für die Aussprache noch für das Schreiben. Alle Sätze und Gedichte schienen zu dieser Zeit so albern und sinnlos. Alles hat jede Bedeutung verloren. Niemand hat etwas geschrieben. Alle Poesie ging unter ständigen Wiederholungen und Gebeten um Hilfe verloren. „допоможіть“ (übersetzt Hilfe) war das einzig mögliche Wort, das man schreiben konnte. Dann erschien „почуйте“ (übersetzt hören/ erhört uns). Und dieses „почуйте“ hallte auch in den Gedichten wider.