26. April 2023

Zum 8. März – ein Nachtrag

Es gibt verschiedene Namen mit verschiedenen Geschichten für den 8. März: internationaler Frauentag, Frauen und Queers Streiktag, feministischer Kampftag. Ich habe dieses Jahr für den 8. März einen anderen Namen benutzt: Mittwoch.

Ich habe dieses Jahr aus verschiedenen Gründen nicht an der lokalen 8. März Demo teilgenommen. Grundsätzlich heißt feministisches Handeln für mich aber auch nicht, (nur) einmal im Jahr im Rahmen einer Demo oder deren Orga da zu sein. Feministisches Handeln bedeutet für mich, Kreuzungen, Überlagerungen und Intersektionen wahr zu nehmen, sie in ihrer Komplexität zu begreifen, zu berücksichtigen und zu unterstützen, ebenso wie die Personen an diesen. Und das geht nicht nur einmal im Jahr; Feministisch zu handeln bedeutet, jeden Tag gegen anti-feministische Strukturen anzukämpfen. Und der Hass und die Abwertung für dieses Handeln sind auch nicht nur an einem Tag im Jahr.

Der 8. März war für mich, besonders dieses Jahr, wie jeder andere Tag, nur eben mit zusätzlichen Leuten, die laut und leserlich unreflektierte bis feindliche Anti-Feminismen in die Welt tröteten: cis endo Männer, die NUR MAL WISSEN WOLLEN WANN MÄNNERTAG IST, cis endo Frauen, die es wirklich bedenklich finden, dass es „jetzt“ trans* Frauen gibt, Liberalos, die finden, dass es keinen Feminismus mehr braucht, turbokapitalistische, ausbeuterische Firmen, die Blumen verschenken, weiße Menners-Vorstände, die für Diversität klatschen, weil sie (weiße, cis, endo, hetero, nicht-behinderte, finanziell sichere, gut ausgebildete…) Frauen echt auch privat mögen und so viel mehr.

Dieses Jahr habe ich mich beim Gedanken ertappt, dass ich es hilfreicher und empowernder fände, wenn einfach einen Tag lang alle mal ihr Maul halten und zuhören würden, keine Hot Takes ins Internet klatschen und mal für zwei Sekunden drüber nachdenken, wie’s grade läuft.

Autor*in Josephine Apraku fasste es für mich so treffend zusammen, in dem Josephine einfach allen auf Instagram „Happy feministischen Ruhetag“ wünschte.

Mein 8. März bestand daraus, dass ich – untypisch für mich – nachmittags Social Media für geschlossen erklärte und zur Entspannung (lol) mehrere Folgen Law & Order: Special Victims Unit und Snacks in mich rein fütterte. Die Tatsache, dass ich eine seit den 90ern laufende Polizei-Serie über sexualisierte Gewaltverbrechen entspannender fand, als Social Media zum 8. März, sagt absurd viel in meinen Augen. Ich mutmaße, es ist eine Mischung aus meiner Lohnarbeit, meinem Ehrenamt und meiner Existenz, welche mich so sehr mit anti-feministischer Gewalt konfrontiert, die mich diesen Wunsch nach einem feministischen Ruhetag hat fühlen lassen. Dieser Wunsch, dieser Bedarf ist nicht neu und wurde – wie so vieles – zuerst von Schwarzen Personen formuliert als Kernelement Schwarzer Befreiung formuliert. Besonders bekannt in diesem Zusammenhang ist ein Slogan von Performance Künstlerin, Autorin, Theologin und Aktivistin Tricia Hersey (The Nap Ministry) der „Rest is resistance“ lautet.

Es sind die Transfeindlichkeit, die Behindertenfeindlichkeit, der Rassismus, der Sexismus, die internalisierte Frauenfeindlichkeit, die Misogynoir, die Verharmlosung von Gewalt gegen (mehrfach) marginalisierte Personen, der Turbo-Kapitalismus, die Sexworker*innen-Feindlichkeit und so viel mehr Aspekte und Konstrukte, die uns alltäglich umgeben, die mich wünschen lassen, einen Tag lang Ruhe zu haben. Leider kristallisiert sich in meiner Realität immer mehr raus, dass der 8. März nicht dieser Tag ist. Fairerweise muss ich sagen, dass ich nicht weiß, ob ein Tag in unserer Gesellschaft überhaupt Ruhetag sein kann. Aber vielleicht ist das hier ja wünsch Dir was.

Ich wünsch mir, dass trans* exkludierende „Feminist*innen“ endlich nicht mehr als Feminist*innen gelten. Das Gleiche auch für Sexworker*innen exkludierende Personen. Auch Leute, die „neutral“ über körperliche Selbstbestimmung diskutieren wollen, egal ob aufgrund von Abtreibung, Hormontherapie, Operationen oder Kleidungsstücken, sollten nicht mit „Feminist*in“ gemeint sein. Leute, die rassistisches oder behindertenfeindliches Verhalten replizieren oder entschuldigen, sind nicht feministisch. Kurzum: Leute, die nur (weiße, cis, endo, hetero, nicht-behinderte, finanziell sichere, gut ausgebildete, …) Frauen (weißen, cis, endo, hetero, nicht-behinderten, finanziell sicheren, gut ausgebildeten, …) Männern gleichstellen wollen, sind für mich keine Feminist*innen mehr. Sie nutzen Tools, die auch von Feminist*innen genutzt werden, um auf Kosten marginalisierter Personen(gruppen) ihre Machtpositionen zu stärken. Wer nach Ries*innen tritt, auf deren Schultern man steht, ist anti-feministisch.

Leider werden zu viele 8. März Demos (eben auch die in meiner Stadt) von Menschen organisiert, besucht oder angeeignet, die nach den Ries*innen unserer Bewegung (vielleicht unabsichtlich) treten, ihnen ins Wort fallen, sie nicht mitdenken oder -meinen oder explizit ausschließen. Es sind selbstverständlich nicht alle Demos (Getting/ Giving #notAllMen Vibes here), aber eine signifikante Zahl. Und bitte, don’t geht me wrong: Ich freue mich ehrlich für alle vom Patriarchat negativ betroffenen Personen, die im Rahmen des 8. März und seiner Veranstaltungen und Demos Selbstwirksamkeit und nachhaltiges Empowerment finden; Ich wünschte, ich gehörte auch dazu.

 

Es geht mir darum deutlich zu machen, warum dieses Format (für mich) bis heute so viel Wert hat.

Mein Empowerment und einiges an Inspiration fand ich (für mich) überraschend ein paar Tage später, als ich eine Freundin, die bei einem Fem Slam auftrat, begleitete. Im Line-Up Leticia Wahl (besagte Freundin), Lila Sovia, Vorstandskollegin Morgaine Prinz und Ex-Vorstandskollegin Shafia Khawaja, an der Moderation und Booking Antonia Josefa und Musik-Feature Luna Desmond von Luna and the Fathers. Es war die Cleverness, die Kreativität, der Humor, die Verletzlichkeit der Performances, die mir ein Gefühl von Ruhe und Mut gaben. Marginalisierte Perspektiven auf Bühnen zu erleben, empowered mich meistens mehr, als selbst auf einer Bühne über meine Realität und Perspektiven zu sprechen. Zu begreifen, mit wie viel Mut, Ausdauer und auch Frust und Wut andere marginalisierte Personen weitermachen, weiterkämpfen, weiter die Welt besser machen wollen, ist beeindruckend und wichtig.

Ich weiß, dass sich niemand so gerne über Poetry Slam mokiert, wie die Poetry Slam Szene – und dennoch: dieses Format, diese Veranstaltung hat mir etwas gegeben, was ich nicht erwartet hatte. Und das ging auch vielen im Publikum so. Es geht mir hier nicht darum, Poetry Slams als Format zu pushen und all die hämischen Kommentare gegen das Format zu beschämen. Es geht mir darum deutlich zu machen, warum dieses Format (für mich) bis heute so viel Wert hat. Es kommt aus marginalisierten Communities, es kann marginalisierten Perspektiven eine Bühne geben und das ist wichtig. Und so wichtig ich es finde, genau für diese Perspektiven Poetry Slam niemals „für tot zu erklären“, so elementar finde ich es auch, deutlich zu machen, welche Perspektiven bis heute auf deutschsprachigen Slam Bühnen gewinnen, die größte Sichtbarkeit erreichen und die meisten Gelder und höchsten Gagen einstreichen.

In diesem Sinne, einige Wochen nach dem 8. März, während des Autismus-Awareness-Monats und ein paar Wochen vor dem Pridemonat: Wir brauchen mehr und unterschiedliche Perspektiven auf Bühnen. Als Poet*innen, Booker*innen und Moderator*innen sollten wir rein weiße/ rein männliche/ rein nicht-behinderte/ rein cis-hetero-endo/ rein gymnasiale / etc. Line-Ups benennen und uns bemühen, diese zu verhindern.

 

Bildquelle: Ben Mater/unsplash.com