Braucht es die Slam Alphas noch?
RedaktionEigentlich haben alle mittlerweile in Slam Kontexten das Wort Awareness gehört, Line-Ups werden quasi nicht mehr ausschließlich cis männlich gebucht, Substanzkonsum in Backstages ist keine Selbstverständlichkeit mehr und unsere Sprache gendersensibel. Die Fallzahlen sexualisierter Gewalt und grenzüberschreitenden Verhaltens nehmen doch auch ab, schließlich gehen wir respektvoll miteinander um, oder?
Es sind diese und weitere Fehlannahmen, die häufiger zur Titelfrage „Braucht es die Slam Alphas überhaupt noch?“ führen. Hier kommt ein kleines 1×1 der Fehlannahmen über unsere Arbeit und was wir dazu sagen!
Fehlannahme 1: „Die Alphas hassen Männer.“
Nein, tun wir nicht. Und die Tatsache, dass Kritik an patriarchalen Strukturen und Verhaltensweisen als Männerhass bezeichnet wird, ist unlogischer Quatsch.
Fehlannahme 2: „Die Alphas canceln Männer.“
Nein, tun wir nicht. Wenn eine Person aus der Slam Szene, ungeachtet ihres Geschlechts, patriarchale Gewalt gegen eine andere Person aus der Slam Szene ausübt, unterstützen wir die betroffene Person. Dass sich das für einige Männer nach canceln anfühlt, liegt außerhalb unserer Verantwortung. Wir haben auch keine „Sperrliste“, „Abschussliste“ oder sonstige Listen mit Menschen, die sich (mutmaßlich) in unseren Augen falsch oder strafbar verhalten haben. Das ist schon rein rechtlich nicht möglich. Ganz abgesehen davon, dass das voraussetzt, wir hätten einen klaren, einstimmigen Umgang mit Verursacher*innen und Täter*innen und deren (vermeintlicher) Schuld. Wenn wir gefragt werden, können höchstens weitergeben, was rechtlich gesichert und/oder öffentlich bekannt ist. Das machen wir nicht proaktiv, weil das unsere Kapazitäten sprengen würde. Dass Mitglieder (auch des Vorstands) der Slam Alphas bei manchen Veranstalter*innen (vielleicht auch aus Prinzip) nicht auftreten, kann nicht nur rechtliche, sondern auch ganz einfach persönliche Gründe haben.
Fehlannahme 3: „Die Alphas initiieren Prozesse gegen unschuldige Männer.“
Nein, tun wir nicht. Wenn sich Betroffene an uns wenden, versuchen wir sie im Rahmen unserer Möglichkeiten zu unterstützen. Wir raten rechtliche Schritte weder an noch ab. Wir wissen zu genau, wie individuell Situationen und Erlebtes verarbeitet werden. Wir wissen ebenfalls zu genau, dass rechtliche Schritte bei Betroffenen wesentlich wahrscheinlicher zu Re-Traumatisierung als zu „Recht bekommen“ führen. Wenn eine betroffene Person rechtliche Schritte einleiten will, wollen wir, dass diese Person diese Entscheidung unabhängig von finanzieller Sorge treffen kann.
Fehlannahme 4: „Die Alphas kümmern sich nur um und finanzieren Rechtsstreitigkeiten von Slammerinnen.“
Äh, nö. Diese sehr pauschale Annahme hat an mehreren Ecken Probleme. Wir unterstützen im Rahmen der #SafeSpace oder der #BraveSpace Spendenkampagnen spezifisch bei Betroffenheit durch verschiedene Auswirkungen patriarchaler Gewalt in der Slam Szene. Dabei geht es oft um rechtliche Schritte von Seiten mutmaßlicher Täter*innen, wenn Betroffene zuvor ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in der Szene thematisieren. In diesem Kontext unterstützen wir aber Betroffene unabhängig ihres Geschlechtes und ihrer Funktion in der Slam Szene. Nicht nur Slammer*innen können betroffen sein, sondern auch Booker*innen, Moderator*innen, Stage Hands, Awarenesscrew u.v.m.. Wir unterstützen nicht alle Rechtsstreitigkeiten in der Slam Szene und schon gar nicht finanziell.
Fehlannahme 5: „Die Alphas sind das Awarenessteam der Slam Szene.“
Schwierig. So pauschal würden wir sagen „nein, sind wir nicht“. Wir sind ein kleines Rädchen im immer größer werdenden Awarenessgefüge der Slam Szene. Wir bemühen uns, Betroffene patriarchaler Gewalt in der Szene zu unterstützen, uns an Diskursen, aber auch an Awarenessteams vor Ort zu beteiligen. Es gibt einen Erfahrungsschatz bezüglich Awarenessarbeit bei den Alphas, aber dieser ist als Ressource und nicht als Entscheidungsinstanz oder psychosoziale Beratungsstelle zu verstehen. Wir sind also nicht „das Awarenessteam der Slam Szene“.
Fehlannahme 6: „Die Alphas sind eine Beratungs- oder Schlichtungsstelle.“
Nein, sind wir nicht. Dazu haben wir als rein ehrenamtlicher Verein weder die Qualifikation noch die Kapazitäten. Es ist auch nicht unser Ziel, eine solche Stelle zu sein. Wir bemühen uns aber, insbesondere Betroffenen patriarchaler Gewalt in der Szene auf Wunsch entsprechende Stellen bei sich vor Ort zu empfehlen.
Fehlannahme 7: „Die Alphas sind nur für (cis) Mädchen und Frauen.“
Nein, sind wir nicht. Ehrlicherweise müssen wir sagen, wir sind das nicht mehr. Die Alphas haben so begonnen, sind aber jetzt ein Verein zur Unterstützung und Vernetzung aller FLINTA+ in der (deutschsprachigen) Slam Szene. Um das auszuschreiben: Wir sind für alle Frauen (cis, trans*, inter*) und Femmes, lesbische Menschen, weitere inter* und trans* geschlechtliche Menschen (zum Beispiel auch trans* und/oder inter* Männer!) und nicht-binäre sowie agender Personen, also Personen. Bis heute gilt unser großer Dank Einzelpersonen und TINte, die nachhaltig positiv auf die Ausrichtung des Vereins eingewirkt haben.
Fehlannahme 8: „Man muss berühmt sein, um bei den Alphas dabei zu sein.“
Nein, musst du nicht. Die Alphas waren in ihren Gründungsjahren mal exklusiver für bekannte Reisepoetinnen(*), aber haben sich sehr bewusst vor Jahren für eine Öffnung entschieden.
(*Anmerkung: Die Alphas wurden (soweit unsere Kenntnis) als Netzwerk (szene)bekannterer Poetinnen gegründet, die entsprechend ihrer Bekanntheit oftmals mehr unterwegs waren, daher nutzen wir den Begriff „Reisepoetinnen“. Ziel war es dabei unter anderem, mehr Slammerinnen auf Bühnen zu platzieren.)
Fehlannahme 9: „Männer/ Nicht-Mitglieder/ XYZ dürfen nicht zu Alphas Veranstaltungen.“
Doch, sehr gerne sogar. Wir halten keine Geheimtreffen ab. Alle Angebote (z.B. Stammtische oder Meetings) ebenso wie Vereinstreffen (Vorstandstreffen oder Generalversammlungen) sind öffentlich. Ausnahmen gibt es nur, wenn es um Vereinsinterna geht, aber das ist bei jedem anderen Verein auch so. Bei Vorstandstreffen sind nur Vorstandsmitglieder stimmberechtigt, bei Generalversammlungen nur aktive Mitglieder des Vereins. Es kann von aktiven Mitgliedern (also auch Vorstandsmitgliedern) der Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt werden, wenn ein Thema dessen bedarf. Wir finden’s ein bisschen ermüdend, dass an uns dieses völlig andere Maß an Transparenz angelegt wird im Vergleich zu anderen Vereinen in dieser Szene. Und es ist schwer, diesen Doppelstandard nicht pauschal als gegen unsere Arbeit gerichtet wahrzunehmen.
Fehlannahme 10: „Es braucht die Alphas doch eigentlich gar nicht mehr.“
Wir sagen nicht nur aus Selbsterhaltungswunsch, dass es uns noch braucht. Diskussionen in den verschiedensten Backstages und bei Meister*innenschaften zeigen immer wieder, dass Geschlechtergleichstellung und Diversitätssensibilität leider noch nicht Alltag in unserer Szene und schon gar nicht auf unseren Bühnen sind. Wir sind auf einem soliden Weg, aber noch nicht da. Grade in dem Bereich, in dem wir bestehende, problematische Szenestrukturen durch wertschätzende und sozial-nachhaltigere Strukturen ersetzen wollen, ist noch einiges zu tun. Szenearbeit ist ein dauerhaftes Projekt und passiert (leider) nicht von allein.
Zum Abschluss
Szenearbeit ist vielfältig und wir bieten nicht alle Facetten von ihr an. Aber wir arbeiten in mehr Bereichen, als das so richtig bekannt zu sein scheint. Wenn dich interessiert, was wir als Verein *eigentlich* so machen, dann lies gerne hier (Link zur Vereinsseite) nach. Falls du Fragen zu unserer Arbeit hast, melde dich gerne per Mail oder sprich uns bei Veranstaltungen an.