30. Mai 2022

Sehnsucht macht Lyrik

Redaktion: Nora Gomringer ist schweizerisch-deutsche Lyrikerin und Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises. Uns als Slam Alphas hat interessiert, wie sie heute auf ihre Zeit in der Poetry Slam Szene zurück blickt und wie sie die aktuelle Außenwahrnehmung einschätzt. Die Fragen beantwortete NG schriftlich. Vielen Dank dafür!

Alphas: Wie schätzt du die Rezeption des Formats Poetry Slam heute ein? Im Mainstream, in der Popkultur, in der Literaturkritik, in der Performance Kunst etc. …?

NG: Seit ich die Leitung des Bamberger Poetry Slams an den Kollegen Christian Ritter abgegeben und dann nur noch ein paar vereinzelte Dead or Alive-Versionen moderiert habe, bin ich eigentlich raus. Zwar noch als Slammerin hier und da angekündigt, gibt es kaum noch echte Verbindungen in die Szene außer hochgeschätzte persönliche. Mein Leben hat sich komplett um Lyrik in Soloprogrammen (zT mit Musikern) formiert und natürlich um meine verwalterische und kuratorische Arbeit als Direktorin. Ich nehme dennoch wahr, dass Poetry Slam in den Schulen angekommen ist und die Schulen längst nicht mehr so hilflos in den Begrifflichkeiten und Inhalten navigieren. Die Didaktik hat das Format für sich entdeckt und hilfreich gemacht. Alle Kritik zu Poetry Slam kommt vornehmlich aus der Ecke der wissenschaftlichen und praktischen Didaktik und beschäftigt sich mit dem Format und ggf noch den Agenten, erst im zweiten Blick mit Texten und Inhalten. Die Performance Kunst hat sich hier und da mit Poetry Slam verbunden, so wie jede Veranstaltungsform einen Dichter, der beim Sprechen, Singen, Rezitieren nicht sitzen muss und will, gerne inkorporiert. Außer vielleicht Autorennen. Der starke und strategisch gut platzierte Auftritt der Dichterin Amanda Gorman bei der Amtseinführung Jo Bidens im Januar 2021 war eine Art des Ritterschlags für die Lyrik und konnte auch dem Poetry Slam „gutgeschrieben“ werden, da Gorman in der ihr eignen Art eine Performance-Dichterin ist und sich die meisten Slammerinnen und Slammer sich als solche verstehen und nicht als Format-Sklaven des PS, die darüber hinaus nicht performen oder existieren. Vereinzelt interessiert sich die Germanistik mit dem Phänomen, sie legt ihr Interesse aber fast ausschließlich auf einzelne Persönlichkeiten der Szene. Längst wäre eine Statuierung des Genrebegriffs des „SlamTextes“, der alle Performance-Text-Formen und Sprechtexte fassen sollte, sinnvoll. Er stünde gleichberechtigt neben Lyrik, Dramatik und Prosa. Denn in der Tat sind viele Texte im Rahmen des PS hybride Formen und verdienen einen wissenschaftlich entgrenzten Blick. Die Soziologie hat den Slam aufgrund der demographischen Repräsentanzen der Text-Produzenten und der -Rezipienten für sich erschlossen. In der Presse beschäftigt Slam einmal im Jahr die großen Zeitungen Deutschlands, wenn der deutsche Meister, die deutsche Meisterin gekürt werden, sonst ist mancher kleinen Presse hier und da ein Portrait wert und Hinweise auf einzelne Slamveranstaltungen. Dass mich manche Auszeichnung erreicht hat weil Jurys gezielt den Poetry Slam als Trend in Deutschland verstetigen wollten, ist für die Auszeichner insofern gelungen, dass in der Pressearbeit oft wiederholt wird, dass NG „sich als Slammerin einen Namen gemacht hat“. Einladungen durch Goethe Institute sind aufgrund der Slam-Zugehörigkeit fast komplett zurückgegangen. Für mich hat es sich nahtlos in eine Einladungssituation aufgrund der Performances verändert.

Alphas: Bietet das Slamformat in deinen Augen noch Potenzial für (anspruchsvollere) Lyrik oder freie experimentellere Formate?

NG: Ich fürchte, der Slam hat sich mit der großen Präsenz und dem ausgeprägten Leistungswillen viele Agenten in ihm vollkommen professionalisiert. Das Publikum ist vielerorts „trainiert“ auf hohe Professionalität der Auftretenden, die Veranstalter planen mit „gesetzten“ Größen der Szene und die offene Liste wird vernachlässigt. Dadurch sind die Abende „marketable“, das Niveau hoch und ein bisschen wie Altstadtfußgängerzonen in ganz Deutschland: H&M, Nordsee, Douglas, Dunkin Donuts… immer wieder tauchen dieselben Slammerinnen und Slammer auf. So allerdings entsteht auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit. „Habt Ihr hier schon XY gehört? Sie macht das toll!“ „Nein, aber ich sehe, dass sie bald zu uns kommt. Bin schon gespannt.“ – Slammerinnen und Slammer touren via Poetry Slams. Ich bedaure die hohe Professionalität der Slams, aber ich spreche nicht aus der Sicht des Publikums, das etwas geboten bekommen möchte für sein Geld. Vor diesem Hintergrund sind weniger oder besser andere Experimente möglich und entwickeln sich. Die Experimente und Performances, die auf der Basis des gelebten und geliebten Dilettantismus fußten, haben weniger Platz. Und… es war oft unerträglich, einzelnen Grausligen zu lauschen, aber die 5-8 Minuten Toleranz wurden an dieser Stelle eben zurecht eingefordert und das Format zusammen mit allen Ausführenden auf diese Weise demokratisiert. Ich fand das phänomenal und beziehe mich heute noch gerne darauf.

Alphas: Betroffenheitslyrik, Erpressertexte oder politische Kampfreden funktionieren und affizieren das Publikum oft sofort. Was glaubst du will ein zeitgenössisches Publikum hören? Problematisierung? Bejahungseffekt?

NG: Viele wollen ihre persönliche Welt gespiegelt hören oder Nachrichten ihrer Bubble als Echos auf der Bühne emittieren. So entstehen Stand-Up-Texte, die im Format der Comedy nie den Anspruch haben, „Literatur“ zu sein. Slammerinnen und Slammer meiner Zeit litten daran, dass sie Stand-Up-Texte lieferten mit eben diesem Anspruch allerdings. Und hierbei konnten weder Germanistik noch Presse mithalten. Unverständnis traf auf gekränkte Eitelkeiten. Ich verstand Poetry Slam als performativen Raum, in dem ich ausprobieren wollte auch im Tabubruch, der bei mir in der Themenauswahl lag, weniger in der Art meines Auftritts.

Alphas: Die Slamszene wird von der sogenannten Hochkultur oft belächelt – glaubst du, Poetry Slam kann auch ein Hindernis für eine schriftstellerische Karriere oder eine Karriere dergleichen sein?

NG: Ein Hindernis nein, förderlich ist es in der deutschen Literaturwelt aber tatsächlich nicht.

Alphas: Was hat dich dazu bewegt, die Slamszene hinter dir zu lassen?

NG: Die Formatumstellung, die mir ermöglicht wurde, da zunehmend 60-Minuten-Gomringer im Vergleich zu Slam-Nora gebucht wurden. Und eine Konsolidierung beider Formate war weder ökonomisch noch literarisch sinnvoll für mich.

Alphas: Was hältst du von der grundlegenden Struktur des Formats, dem Wettbewerb: Empfindest du ihn als unterhaltsam und anregend oder eher als unangemessen?

NG: Der Wettbewerb hat mich nie interessiert. Ich habe versucht, ihn oft zu umgehen oder abzumildern, damit in meinem Bamberger Slamformat der Mut von Slamanfängern wachgehalten werden konnte, sich auch mit fremdsprachlichen Beiträgen zu beteiligen.

Alphas: Schafft sich der Poetry Slam selbst ab? Es gibt eine sukzessive Verkapitalisierung- wo ist die Freiheit?

NG: Es gibt riesige Freiheiten: Slams überall, viele Einladungen, wenn man sich einen Namen gemacht hat, viel mehr Auftrittsmöglichkeiten und Buchungen für weibliche Performer und sogar Gagen. Das kommt auch durch die Verkapitalisierung. Sehr früh hab ich gefordert, dass Dichter sich professionalisieren und Veranstalter sich personalisieren. Das hätte die Szene in eine andere Richtung verändert. So ist es nun anders gekommen. Die Veranstalter sind recht mächtig und Slammer reisen wie Barden von Königshof zu Königshof.

Ob er sich abschafft, kann ich nicht sagen, aber in der Tat ist sein Nutzen vielleicht aufgetragen. Was man früher nur auf und rund um Slam-Bühnen besprach, tippt man nun in alle Social Media-Kanäle und filmt sich bei den wertvollen Aussagen und auch beim Schrott.

Der Slam ist da schon die Lagerfeuer-Variante, die den Nostalgikern bleibt, aber einfach nicht mehr the New Format-Kid on the Block ist.

Alphas: Was hast du aus deiner Zeit in der Slam Szene mitgenommen?

Mut. Und einen Sinn funktionierender Gemeinschaft und sogar sowas wie Achtung und Wertschätzung selbst unter Leuten, die offensichtlich künstlerisch ganz andere Positionen vertreten. Ich kann vor 5, 50, 500 oder sogar 5000 auftreten und es macht mir nichts. Furchtlosigkeit und Improvisationstalent sind für Künstler, die vor Publikum sprechen, wichtige Gaben und ein Basisverständnis für Technik, das mit Mikrofoneinstellung auf Mundhöhe beginnt und mit Kabelarten-Kenntnis und Buchsen endet, ist zu Unrecht unterschätzte Berufsfertigkeit. Ich bin und bleibe dem Slam verbunden, singe so wenig sein Abschiedslied wie ich es je der Lyrik sänge, denn alle Formate, die Raum ja sogar nur „Räumchen“ für poetisches Licht und experimentelle Ästhetiken lassen, bieten phänomenale Tragfähigkeit, da immer einer auf der Bühne oder im Publikum ist, der von Sehnsucht erfüllt ist. Und Sehnsucht macht Lyrik.